Kommentar von Ernährungswissenschaftler - Altersgrenze für Energiedrinks? Wir brauchen keinen „Nanny-State“

Energydrinks sind Softdrinks, die mit primär Koffein angereichert werden.<span class="copyright">Getty Images/SolStock</span>
Energydrinks sind Softdrinks, die mit primär Koffein angereichert werden.Getty Images/SolStock

Energydrinks sind aus dem Alltag mancher Jugendlicher nicht wegzudenken, doch rechtfertigen die potenziellen Gefahren staatliche Eingriffe in den Markt? Ernährungswissenschaftler Uwe Knop meint, wir brauchen keinen "Nanny-State".

Was sind Energydrinks?

Energydrinks sind Softdrinks, die mit primär Koffein angereichert werden - daher der Name. Hinzu kommen weitere Substanzen wie Vitamine und Aminosäuren (Bestandteile von Proteinen) mit eindrucksvollen Namen, die an starke Stiere erinnern, wie Taurin. Dieser "wilde Mix", ergänzt um Zucker und Kohlensäure, soll suggerieren, dass der Energiekick nicht nur am reinen Koffein liegt - was aber der Fall ist, sonst könnten die Konsumenten auch einfach (kalten) Kaffee trinken.

Auf den meist in Dosen erhältlichen Energydrinks sind Hinweise auf den erhöhten Koffeingehalt angegeben, der maximal 320 Milligramm pro Liter hoch sein darf. Bei mehr als 150 Milligramm Koffein pro Liter müssen Getränke den Hinweis tragen: „Erhöhter Koffeingehalt. Für Kinder und schwangere oder stillende Frauen nicht empfohlen".

Zum Vergleich: 100 Milliliter Filterkaffee enthalten circa 40-50 Milligramm Koffein. Die gängigen Energy Drinks liefern einen Koffeingehalt von etwa 30 Milligramm pro Deziliter. Es gibt Colas mit vergleichbar viel Koffein - wie Afri-Cola und Fritz-Cola - mit jeweils 25 Milligramm pro 100 Milliliter. Und in Apotheken und Drogeriemärkten sind Koffeintabletten mit 100-200 Milligramm pro Pille frei erhältlich, ohne Altersnachweis oder Rezept.

Trinken Kinder und Jugendliche viel Energydrinks?

Das Robert Koch-Institut hat den Konsum von Energydrinks bei 12- bis 17-Jährigen in Deutschland in der EsKiMo-II-Studie 2020 erhoben: Für den Referenzzeitraum von vier Wochen geben 8,9 Prozent der Mädchen und Jungen an, Energydrinks konsumiert zu haben. Demzufolge trinken 91 Prozent der Jugendlichen keine Energydrinks. Knapp ein Viertel dieser Energydrinker übersteigt die sichere Koffeinzufuhr allein durch den Konsum von Energydrinks. Dies entspricht 2,2 Prozent der 12- bis 17-Jährigen insgesamt.

Ergo fast 98 Prozent der Heranwachsenden trinken entweder gar keine (91 Prozent) oder moderat (7 Prozent) Energydrinks. Die wenigen Vieltrinker könnten für die Gefahren eines übermäßigen Koffeinkonsums durch Energydrinks ganz gezielt sensibilisiert werden - sofern sie denn langfristig gesundheitliche Probleme bekommen, was natürlich auch von ihrem gesamten Lebensstil abhängt.

Welche Auswirkungen haben Energydrinks auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?

Wie sich der "High-Level-Konsum" langfristig auf die Gesundheit auswirkt, das weiß keiner. Als akute Folgen eines grenzwertigen Konsums werden erhöhter Blutdruck, Herzrhythmusstörungen und niedrigere Schlafdauer diskutiert.

Worum ging es beim "Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft" zu Energydrinks?

Bei diesem Fachgespräch Anfang September wurde diskutiert, ob eine Altersgrenze für Energydrinks eingeführt werden soll. Die Gesundheitsschäden und das Suchtpotenzial seien "ähnlich gravierend wie bei Zigaretten und Alkohol", hatte der Bürgerrat argumentiert. Für eine Altersgrenze ab 16 Jahren spricht nach Ansicht des Gremiums, dass Wein und Bier auch ab 16 Jahren erlaubt seien. Daher solle die Altersgrenze bei mindestens 16 Jahren liegen. Nach Überprüfung eines unabhängigen wissenschaftlichen Beirats sollte die Altersgrenze auf 18 Jahre erhöht werden, falls dies empfohlen wird.

Die Wissenschaftler sehen in diesen Getränken eine große Gefahr: Energydrinks könnten bei Kindern und Jugendlichen zu möglichen schweren gesundheitlichen Folgen führen - und sie seien "eine Art Einstiegsdroge für andere Drogen im weiteren Erwachsenenaltern – von Alkohol zu Cannabis und härteren Drogen".

Bekannt sei auch, dass der Konsum von Energydrinks zu aggressivem Verhalten führen könne und dass Schlafstörungen auftreten könnten. Also ein Haufen Vermutungen auf Basis schwacher Korrelationen, die zum Warnruf nach staatlichen Schutzmaßnahmen herhalten müssen.

Warum ist dieses Ergebnis beispielhaft für den aktuellen "Nanny-State"-Zeitgeist?

Heutzutage rufen zahlreiche Akteure sofort nach staatlichen Zwangsmaßnahmen, sobald auch nur der Hauch einer Korrelation minimal erhöhte Risiken zeigt. Dann sollen es sofort und am besten sowohl Steuern, Verbote, Beschränkungen als auch Warnaufdrucke, Regeln und offizielle Empfehlungen richten - und dem unwissenden Bürger so klar und staatlich verbrieft die richtige Richtung ins gelobte Land des risikoarmen Lebens weisen.

Dabei haben alle gut gemeinten Staatsmaßnahmen eines gemeinsam: Es fehlt die Kausalevidenz, also ein Beleg, dass einerseits das avisierte Risiko tatsächlich zu Schaden und zweitens die Staatsmaßnahme zu einer Verbesserung der Gesundheit führt. Beste Beispiele dafür sind  evidenzfreie Werbeverbote für "ungesunde" Kinderlebensmittel oder die  Zucker-/Softdrinksteuer genauso wie der permanente Alarm um " ultra-hochverarbeitete Lebensmittel". Reiner moralinsaur-populistischer Aktionismus, mehr ist das nicht.

Sollen alle Jugendliche einfach Energydrinks konsumieren, so viel sie wollen?

Nein. Ich bin auch überhaupt kein Freund von Energydrinks, weder war ich es als Jugendlicher noch heute. Warum jemand diese "Kunstgetränke aus dem Chemiebaukausten" trinkt, die nach aufgelöstem Gummibärchen-Zuckerwasser riechen und schmecken, das ist mir ein kulinarisches Rätsel. Ich empfehle sie auch niemanden.

Aber das ist nicht das Thema. Es geht darum, dass heute oft Moral vor Evidenz steht. Wer das vermeintlich Richtige, das Gute für die Menschheit will, der hat Recht - egal, ob es belastbare Belege für diese Forderungen gibt oder nicht. Und das zeigt sich auch hier beim Thema Energydrinks.

Fast 98 Prozent der Jugendlichen zeigen einen "moderaten" bis unkritischen Konsum - und wegen ein paar wenigen Jugendlichen soll nun eine Altersgrenze, de facto ein staatliches Verkaufsverbot her? Das ist der Klassiker absurder Gießkannentaktik, die nicht zum Ziel führt. Maßnahmen müssen ganz gezielt denen helfen, die ein Problem (mit Energydrinks) haben. Doch passiert hier was? Niemand weiß es.