Kommentar: Friedrich Merz wäre gern ein kleiner Pascha
Der CDU-Grande kritisiert mangelnde Integration im Lande – und meint die von „Ausländern“. Dabei unterlaufen Friedrich Merz einige richtige und wichtige Aussagen. Nur fällt das kaum auf bei all den anderen Abwertungen, mit denen er das Land beglückt.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Ein Problem bei Friedrich Merz ist, dass er zwar zupackend und wie gedruckt spricht, aber dennoch zuweilen in Rätseln. Gerade hat er es mit den „Ausländern“, irgendwie ist halt immer Wahlkampf. Da kommen die Silvesterkrawalle gelegen, schließlich lassen sie sich in Teilen in deutschen Milieus abladen, über die man gern spricht. Natürlich nur, wenn etwas nicht klappt.
In der Fernsehsendung „Markus Lanz“ sagt der CDU-Chef also: „Wir haben es mit einem veritablen Problem mangelnder Integration junger Menschen zu tun“. Und: „Ich gehöre nicht zu denen, die pauschal sagen: Diejenigen, die hier als Ausländer leben, sind nicht integriert. Das ist Unsinn.“ Abgesehen davon, dass bei seinen Statements viel von Integration die Rede ist und man nicht weiß, wer sich wohin integrieren soll – wen meint Merz denn mit „Ausländer“? Auch jene, welche die deutsche Staatsbürgerschaft haben? Denn genau diese Unschärfe treiben Merz und seine CDU voran, etwa, wenn sie die Vornamen der in Arrest genommenen deutschen Silvesterrandalierer wissen will. Das sind die Rätsel des Friedrich Merz.
Dann berichtete er Interessantes aus dem Schulwesen. Es fange nicht in Berlin und Neukölln an, sagte Merz. Lehrerinnen und Lehrer in den Grundschulen erlebten verbale Gewalt. Wenn sie Kinder zur Ordnung rufen wollten, kämen in der Folge die Väter in die Schulen und verbäten sich dies. „Insbesondere, wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen. Da fängt es an.“
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Nun kommen von den Schulverbänden gemischte Reaktionen, so ganz will man dem von Merz geschilderten Stimmungsbild nicht folgen. Aber daran richtig wird etwas sein. Mütter und Väter erziehen ihre Söhne nicht selten zu Paschas – also Leuten, die meinen, die Welt habe ihnen zu Füßen zu liegen. Dieser Ausdruck von Patriarchat findet sich bei deutschen Familien in x-ter Generation, in Familien dies- und jenseits der Alpen; in arabischen Familien wird er gewiss nicht fehlen. In der Jugendarbeit wurde dieses Problem der männlichen Arroganz/Ignoranz/Überlegenheit (suggeriert und mit Gewalt durchgesetzt) bisher nicht genügend angesprochen. Bei Familien mit einer Einwanderungsgeschichte wird es zu wenig thematisiert. Daher sind die Vorstellungen von Männlichkeit in zum Beispiel arabischen Familien strukturell gesehen sicherlich grauenvoller als in Familien mit einer mittelalterlichen Geschichte in Deutschland.
Daher liegt Merz nicht falsch, wenn er den Pascha erwähnt – und die Kritik an ihm schlägt in diesem Punkte fehl. Ein bisschen unfreiwillig witzig ist sein Echauffieren über Paschaverhalten indes schon. Sagte er doch vor knapp dreieinhalb Jahren in einer Spitze gegen die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die zum UN-Gipfel nach New York gereist war: „Also ganz ehrlich, meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen.“ Also, wenn das nicht pascha-like erster Klasse war…
Da wird einem ja noch schwindelig
Aber zurück zum leidigen Kreisverkehr der Integration. Es gebe ein Problem mit einer kleinen Gruppe von Ausländern, sagte Merz ferner bei „Markus Lanz“. „Das sind überwiegend Jugendliche aus dem arabischen Raum, die nicht bereit sind, sich hier an die Regeln zu halten, die Spaß daran haben, diesen Staat herauszufordern.“
Da war sie wieder, die berühmte Merzsche Unschärfe. „Ausländer“ aus dem arabischen Raum – wen meinte er damit genau? Leute, die hier geboren sind? Welche, die Deutsche sind? Merz wird doch wohl nicht zu jenen Faschisten gehören, nach denen niemand Deutscher werden kann, der seine Familiengeschichte nicht über tausend und eine Generation auf deutschem Mutterboden nachweisen kann (was eine Menge Deutsche ausschlösse, so gegen gefühlte 80 Prozent der Bevölkerung, aber sind wir nicht alle ein bisschen Bluna, grinst der Faschist).
Friedrich von Arabien
Merz, der einmal eine Steuererklärung auf einem Bierdeckel versprach, hat es nicht so mit Zahlen. In Berlin-Neukölln leben 150.000 Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte. 145 Menschen wurden in ganz Berlin in der Silvesternacht festgenommen. 38 von ihnen wurden wegen Böllerei aufgegriffen. Wie viele von ihnen nun eine so genannte „biodeutsche“ Agenda haben, ist noch unbekannt. Arabische Einflüsse können indes nicht so stark sein, wie von Merz insinuiert. Wo waren denn „die überwiegend Jugendlichen aus dem arabischen Raum“? Und was machen wir mit den 18 verschiedenen Nationalitäten, welche die Polizei unter den Festgenommenen ausmachte? Seine Unschärfe polierte Merz am Ende auf Hochglanz, als er als Beleg für seine These mit den Jugendlichen auf den hohen Anteil von Afghanen verwies. Aha. In Afghanistan lebt eine Vielzahl an ethnischen Gruppen, da sind Paschtunen neben Tadschiken, nicht zu vergessen die Hazara, Turkmenen, Aimaken und Uzbeken – aber Araber kommen nicht wirklich vor. Keine Ahnung, was Merz meint. Vielleicht wünscht er sich mehr „wir“ und „ihr“, mehr Trennung. Abladen. Das ist traurig: Da sagt er einmal etwas richtiges, und vermasselt es im nächsten Moment. Armer Pascha.