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Kommentar: Für Nemi El-Hassan bräuchte es einen Platz im Fernsehen

Zwischen der Medizinerin und Journalistin und dem WDR geht es hoch her. Wegen Antisemitismus-Vorwürfen will der Rundfunk nicht mit ihr zusammenarbeiten. Es ist eine verpasste Chance.

Ein älteres Foto der damaligen Studentin Nemi El-Hassan aus dem Jahr 2016 (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Ein älteres Foto der damaligen Studentin Nemi El-Hassan aus dem Jahr 2016 (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eigentlich sollte sie demnächst die Wissenschaftssendung „Quarks“ des WDR moderieren, dann nur noch als Autorin dafür arbeiten – und nun nichts von beidem. Nemi El-Hassan, 28, in Deutschland mit palästinensischen Wurzeln geboren, hat sich in den Augen der Rundfunkchefs disqualifiziert – tatsächlich wirft einiges in ihrem Verhalten Fragen auf, anderes wurde kampagnenartig aufgebauscht.

Aber der Reihe nach. Als bekannt wurde, dass die studierte Medizinerin und Journalistin die Sendung moderieren solle, lancierten rechte Medien in der „Bild“-Zeitung Vorwürfe gegen sie.

Vorwurf Nr. 1: Ihre Teilnahme als Teenager bei einer der antisemitischen Quds-Demos in Berlin, bei denen regelmäßig Slogans zur Vernichtung Israels zu hören sind. Nur: Das ist zum einen lange her, El-Hassan hat sich davon distanziert. Eine positive Fehlerkultur würde dies anerkennen. Auch ist nicht bekannt, dass sie sich an schlimmen Rufen auf dieser Demo beteiligt hat, was sehr wichtig ist, denn: Nicht jeder Teilnehmer an diesen Demos ist antisemitisch. Ich habe als Journalist mehrmals diese Demos begleitet, auch, als sich kaum jemand für sie interessierte, und habe bei ihnen durchaus eine Vielfalt vorgefunden – gerade auch Jugendliche, die gar nichts gegen den Staat Israel und seine Bürger hegten, sondern nur mehr Rechte für Palästinenser einforderten; oder sie regten sich darüber auf, dass sie keine Ausbildung kriegten, weil sie Kopftuch trugen.

Vorwurf Nr. 2: Sie habe den Begriff des „Dschihad“ relativiert, indem sie ihn als nicht gewaltvoll dargestellt habe. Dies ist ein Thema für Freunde der Islamwissenschaft, aber diese Forschungsfelder werden bei „Quarks“ eher weniger behandelt. Klar ist zweierlei: Natürlich ist Dschihad von Beginn der islamischen Geschichte an ein kämpferischer Begriff, wie die damalige Gesellschaft voller Gewalt. Doch er hat zahlreiche Wandlungen und Interpretationsversuche erfahren, und so gibt es einen mächtigen Strang, der im Dschihad nur noch ein gewaltloses Bemühen sieht, ein guter Mensch zu sein. Viele Muslime sehen das für ihren Alltag so. Dieser Vorwurf ist daher nicht ernst zu nehmen.

Die Vermessung beruflicher roter Linien

Dann aber nahm die Debatte über El-Hassan ihren Lauf. Es tauchten Likes auf, die sie in sozialen Medien gesetzt hatte, und die waren bitter: Zum Beispiel unter der Meldung eines Gefangenenausbruchs in Israel, darunter von palästinensischen Terroristen. Warum sollte man sowas toll finden? Klar, es gibt viele Palästinenser, die zu Unrecht in israelischen Gefängnissen einsitzen – aber auch viele, die dort gerechte Strafen abbüßen. Manchmal kann man die sozialen Medien für ihre Vereinfachungen nur hassen.

Dann ging es um einen Like zu einer jüdisch-amerikanischen Organisation, die auch die antisemitische Boykottbewegung BDS unterstützt.

Doch reicht all dies aus, einem jungen Menschen die berufliche Anstellung zu verweigern? Die Idee, Moderatoren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hätten eine besondere Rolle, eine Vorbildfunktion, ist vermessen. Auch stehen bei „Quarks“ die politischen Geschehnisse des Nahen Ostens nicht gerade im Vordergrund.

Mit den jungen Arabern in Deutschland ist zu diskutieren, vieles auch zu kritisieren. Aber im Fall El-Hassan kriegte ich allmählich den Eindruck, es gehe vielen nur darum, sie „wegzukriegen“.

Im Schlusspunkt hat sie einen Gastkommentar in der „Berliner Zeitung“ geschrieben, der voller Schmerz und Bitternis ist. Auch voller Pauschalisierungen. Zum Beispiel schreibt sie, „dass die Palästina-Frage Gegenstand innerjüdischer Debatten auf der ganzen Welt ist. Dass diese Debatten oft um einiges differenzierter verlaufen als jede Debatte im deutschen Mainstream“. Das stimmt, hilft aber kaum weiter: Denn was in Brooklyn diskutiert wird, kann in Neukölln ganz anders klingen. Wenn die „Palästina-Frage“ in Deutschland bei einigen Diskutanten antisemitische Töne kriegt, ist dies zu benennen. Denn Judenfeindlichkeit unter Muslimen und Arabern in Deutschland ist ein Riesenproblem, das von Deutschen gern aufgeblasen wird, von betroffenen Muslimen und Arabern aber gern ignoriert, heruntergespielt und als „Antizionismus“ umetikettiert wird.

El-Hassans Wortwahl verstört in ihrem Gastbeitrag zuweilen. „Es gab etwa keinen ehrlichen Diskurs darüber, wie sich Antisemitismus von israelkritischen Positionen abgrenzen lässt“, schreibt sie. Ich finde, dieser Diskurs wird tagtäglich geführt – und es ist überhaupt kein Problem, Antisemitisches von Kritiken an Regierungspraktiken in Israel zu unterscheiden. Nur was heißt „israelkritisch“? Für mich ist das ein komisches Wort. Wie kann man kritisch gegenüber einem ganzen Land sein? Gegenüber seinen Millionen Bürgern, seiner Armee, aber auch seinen Theatern, seinen Eiscremes undundund? Was würde man denken, wenn ich sagte: ‚Ich bin dänemarkkritisch‘? Da würden sich doch einige an den Kopf fassen und sich fragen, ob ich nun was gegen Hotdogs hätte, oder Meerjungfrauen undundund.

Ihr Gastbeitrag sucht die Schuld für ihre blöde Lage nur bei anderen, eine Selbstreflektion macht sie zumindest nicht publik, und das ist schade. Weiter kämen wir alle mit mehr Transparenz.

Die Perspektive ist wichtig

Über all dies wäre mit El-Hassan zu reden. Bisher machte sie als öffentliche Person nicht den Eindruck, sie wäre beratungsresistent oder nicht offen genug. El-Hassan hat auch recht, dass es für Palästinenser sehr schwer ist, mit ihren Klagen über Menschenrechtsverletzungen in Israel und in Palästina Gehör in Deutschland zu finden – und wenn, dann nicht selten nur, um gegen Juden endlich etwas sagen zu können. Alles, was El-Hassan nun vorgeworfen wird, ist auch in dem Kontext zu sehen, dass sie aus einer Vertriebenenfamilie kommt, die viel Leid erfahren hat. Doch diese Perspektive ist in der deutschen Mediendebatte weitgehend ausgeblendet worden.

Wofür El-Hassan einsteht und was ihr nun als Nichtanstellungsgrund angesehen wird, ist palästinensischer Mainstream. Viele denken so. Das ist sicherlich auch Teil des Problems. Aber wir lösen es nicht, wenn dies als Ausschlusskriterium definiert wird. Wir brauchen mehr Palästinenser im öffentlichen Licht Deutschlands – damit auch besser und breiter gestritten werden kann. Damit mehr wahrgenommen wird. El-Hassans Anstellung bei „Quarks“ wäre hierfür eine Chance gewesen. Nun braucht es eine andere Chance.