Kommentar: Gegenüber Merkel benehmen wir uns wie Kinder

Will im Herbst 2021 nicht mehr antreten: Kanzlerin Angela Merke (Bild: REUTERS/Pascal Rossignol)
Will im Herbst 2021 nicht mehr antreten: Kanzlerin Angela Merke (Bild: REUTERS/Pascal Rossignol)

An der Kanzlerin arbeiten sich Viele ab. Liegt das an ihr? Oder ist Mancher kleiner, als er denkt?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Heute ist mal wieder solch ein Tag, an dem sich Angela Merkels Ohnmacht zeigt. Mit den Ministerpräsidenten wird sie sich per Videoschalte zusammensetzen, es geht um Öffnungen im Land. Da werden dann die Länderchefs Vollmundiges verkünden – bloß brauchen sie dafür Merkel nicht.

Am Anfang der Corona-Krise agierte die Kanzlerin besonnen, man orientierte sich an ihr. Selbst ihre Virenverbreitungserklärung wurde international ein YouTube-Hit. Da scharten sich die Ministerpräsidenten um sie. Doch nun, wo es um Profilierung geht, nutzen sie ihre Länderkompetenzen und scheren sich nicht um Absprachen mit dem Kanzleramt. Merkel wird sich heute darauf beschränken zu moderieren und Mindestgrößen festzulegen: Ab einer gewissen Anzahl von Neuinfektionen in einem gewissen Areal ist wieder Schluss mit lustig.

Normal ist das alles nicht. Vor ein paar Monaten galt Merkel als die abgeschriebenste Kanzlerin des Sonnensystems. Mehr als eine Lame Duck. Dann wähnte man sie gar in einem schwarzen Loch, so wenig gab sie von sich hören.

Doch mit dem Auftritt von Corona ist Krisenmanagement angesagt, und das kann die Kanzlerin. Seitdem gibt es wieder dieses seltsame Pingpong aus Hosianna und Kreuzigt sie: Ihr vermeintlicher Ex-Intimfeind Horst Seehofer sinniert öffentlich über einen Rückzug von ihrem Rückzug, dass sie also im Herbst 2021 für eine fünfte Amtszeit bei den Bundestagswahlen kandidieren könnte. Und gleichzeitig zetern Leute über sie, als wäre sie Staatsfeindin Nr. 1.

Testosteron auf Kanal 1

Da gibt es einen Theatermenschen, der sich gern als einsame Cowboy inszeniert, also gab er in einem Interview preis: „Ich möchte mir von Frau Merkel nicht mit einem weinerlichen Gesicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss. Das beleidigt meine bürgerliche Erziehung.“ Welch ein Akt von Emanzipation! Da hat sich der 68-jährige Frank Castorf endlich von Mutti befreit. Nur das mit der Hygiene sollte er sich vielleicht überlegen. Sonst könnte man noch meinen, neben dem riesigen Ego Castorfs habe nur noch sein kindisches Verhalten Platz.

Auch merkwürdig aufgeregt kommentierte der Journalist Nikolaus Blome über Merkel: „Wir sind nicht Merkels Kinder“, klärte er uns Leser bei „Spiegel-Online“ gleich in der Überschrift auf. Eiderdaus, und ich dachte, heute noch im Kanzleramt anrufen zu müssen und zu fragen, ob ich nach der Kartoffelsuppe einen Lolli kriegen dürfte. Gut, dass ich nun Bescheid weiß. Dabei versucht die Kanzlerin lediglich uns behutsam die Folgen dieser Pandemie zu erklären. Sie kann ja nichts dafür, diese verstanden zu haben. Dennoch maulen dann stets präpotente Kerle wie FDP-Chef Christian Lindner: „Die Kanzlerin redet zu uns wie zu Kindern.“

Mami war böse

So langsam kann ich diese Infantilitäten nicht mehr hören.

Aus all diesem Gerede dringt eine Souveränität heraus, die in Wirklichkeit keine ist. Es klingt nach Spiegelfechterei. Wäre Merkel ein Mann, und würde dieser ruhig vor allzu schnellen Lockerungen mahnen – er würde dafür gelobt und kritisiert werden; man würde ihn aber niemals Papi nennen. Heißt: All diese Vergleiche mit Kindern sagen weniger über die Kanzlerin als über die Absender aus.

Es wird Zeit, dass wir uns auf eine andere Person vorbereiten, an der wir uns abarbeiten. Eine fünfte Amtszeit Merkels wäre schon komisch. Merkel hat nämlich durchaus ein Interesse an eigener Souveränität, und die würde sie bei einer erneuten Kandidatur ein Stück weit automatisch verlieren. Auch hatte sie sich bereits, für ihre Verhältnisse jedenfalls, eindeutig festgelegt.

Heute können wir also alle üben, weniger kindisch zu sein. Die Ministerpräsidenten werden heute sowieso machen, was sie wollen. Sie werden durch ihre Ankündigungen hier und da allen selbst ernannten „Widerständlern“ demonstrieren, dass doch die Grundrechte nicht in Gefahr sind, dass kein heimliches Regime geplant ist und dass es auch weiterhin in Deutschland erlaubt ist ein Spinner zu sein. Merkel ist heute ganz klein.