Kommentar: Gibt es Rassismus gegen Weiße?

Ein Demoplakat nach dem rassistischen Mordanschlag in Hanau im Jahr 2020 (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)
Ein Demoplakat nach dem rassistischen Mordanschlag in Hanau im Jahr 2020 (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)

Der neuen Co-Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, fallen frühere Sprüche vor die Füße. Doch Rassismus sieht anders aus.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das Netz vergisst nicht. Jeder Post, jeder Tweet ist wie in Stein gemeißelt – diese Erfahrung macht gerade die neu gewählte Co-Sprecherin der Grünen Jugend. Sarah-Lee Heinrich hat kräftig ausgeteilt, vor ein paar Jahren. Die Menschen sind schon bei ihren Worten zu nehmen: Heute ist Heinrich 20 Jahre alt, und sie hat sich von ihren Äußerungen distanziert, als sie 13 und 14 war. Doch einfach wegwischen lässt sich sowas nicht.

In ihren Tweets sammelten sich derbe bis beleidigende Worte. Kritik daran muss sie nun aushalten, einfach als eine Teenagersünde abtun – das wäre zu einfach. Später äußerte sie sich über eine „eklig weiße Mehrheitsgesellschaft“. Starker Tobak, ja - aber ansonsten?

Was vielmehr unverhältnismäßig daherkommt, sind die gerade trendenden Twitter-Wellen wie „Rassismus gegen Weiße“. Da werden Heinrichs problematische Kraftworte von damals als ein Hinweis gedeutet, es gebe eben doch einen Rassismus gegen Weiße.

Also, bin ich als Weißer ein Opfer von Rassismus, wenn jemand von der Gesellschaft, in der ich lebe, als einer ekligen spricht? Nee. Nur, wer unheimlich scharf auf Mimimi in eigener Sache ist und eine Menge ausblendet, kann das so sehen.

Hautfarbe als Mittel zum Zweck

Natürlich kann man in Deutschland als Weißer übel beleidigt werden. Der Umstand, dass eine möglicherweise längere Herkunftsgeschichte über Generationen hinweg unser Land als Adresse hat, kann schon zu Verletzungen und Beschimpfungen benutzt werden. Sowas ist alles andere als nice. Es ist daneben.

Sarah-Lee Heinrich, neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, spricht beim 55. Bundeskongress der Grünen Jugend. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa
Sarah-Lee Heinrich, neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, spricht beim 55. Bundeskongress der Grünen Jugend. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

Wenn aber eine Frau mit türkischer oder arabischer oder afrikanischer Migrationsgeschichte in ihrer Familie eine andere verbal wegen ihrer bleicheren Hautfarbe attackiert, mies über sie herzieht, dann ist das kein Rassismus. Warum nicht? Weil dazu eine Menge fehlt.

Weiße Deutsche müssen sich ihren Platz nicht verdienen, sie müssen sich nicht für ihre Familiengeschichte rechtfertigen, besonders anstrengen. Sie werden nicht ständig daran erinnert, welchen Pass sie in der Tasche tragen oder ihre Eltern und Großeltern hatten. Sie sind ganz normal das, was man normal nennt.

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Das ist ein Privileg. Nicht hinterfragt zu werden. Nicht immer wieder Vorurteile an die Seite schieben müssen. Nicht automatisch benachteiligt werden.

Genau dies macht den Unterschied: Eine rassistische Beleidigung ist nur eine, wenn sie auf einer Bugwelle schwimmt. Und diese Bugwelle wird vom Meer produziert – das sind in diesem Falle die Strukturen, die uns umgeben. Im Falle Deutschlands ist das eine Gesellschaft, von der über viele Jahrhunderte hinweg eine Unterdrückung und Geringschätzung anderer Bevölkerungen ausging. Die Machtstrukturen sprechen bis heute von einem „wir“ und von einem „ihr“; immer weniger, es wird alles besser, aber dennoch.

Genauer hinschauen lohnt sich

Ich Bleichgesicht kann also in Deutschland ausgegrenzt werden, sehr unfair und ungerecht behandelt werden – aber nicht rassistisch diskriminiert werden. Diskriminierung kennt stets nur eine Richtung, nämlich von oben nach unten. Die Strukturen sind halt so.

Es geht darum, die Menschen bei ihren Worten zu nehmen. Und diese Worte in ihrer Genauigkeit zu erfassen. Das beschönigt nichts, sondern beschreibt all das um uns herum am treffendsten.

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