Kommentar: Handschlag und Witze – das sind die Islamthemen des Jahres

Der “Handschlagstreit” brachte den Islam wieder in die Schlagzeilen. (Symbolbild: Getty Images)
Der “Handschlagstreit” brachte den Islam wieder in die Schlagzeilen. (Symbolbild: Getty Images)

Die „Bild“-Zeitung fragt sich quälend lange, ob Muslime Frauen die Hand geben müssen und ein Komiker fragt sich, ob er Witze über den Islam machen soll. Woher kommen all diese Fragen?

Ein Kommentar von Jan Rübel

In Religionsangelegenheiten beansprucht die „Bild“-Zeitung eine Kernkompetenz, wenn auch eine einseitige. Die Beobachtungsplattform „Bild-Blog“ hat für das Jahr 2018 nachgezählt, wie oft in den Print-Ausgaben der Boulevardzeitung die Weltreligionen Platz fanden. Nun, der Hinduismus könnte sich noch ein wenig anstrengen, er kam ein einziges Mal ins Blatt. Der Buddhismus schaffte es doppelt so oft, also zwei Mal. Das Judentum kam auf die magere Zahl 7, und das Christentum auf 28. Mehr als unangefochtener Spitzenreiter aber ist der Islam, der fand genau 228 Mal Erwähnung bei der „Bild“. Das ist ansehnlich für einen Bevölkerungsanteil von Muslimen von keinen sechs Prozent – und von denen werden etliche nicht gläubig oder Atheisten sein.

Aber „Bild“ macht eben Probleme aus, vor allem dort, wo keine sind. In den 228 Schlagzeilen ging es natürlich kaum um seelsorgerliche Themen, sondern um Kritik, Angst, Bedrohung, das Übliche. Nicht von ungefähr schätzen Deutsche in Umfragen die Anzahl der in Deutschland lebenden Muslime auf das Vierfache der tatsächlichen Zahl. Von irgendwoher müssen doch unsere Probleme kommen.

Shake it

Im neuen Jahr hat sich die Redaktion offenbar vorgenommen, einen neuen Rekord aufzustellen, denn nun gibt es einen „Handschlagstreit“, den es rundweg zu beleuchten gilt. Die Frage, was passiert, wenn muslimische Männer keiner Frau die Hand geben wollen, ist eine oft thematisierte. Und natürlich gilt die Verweigerung des Handschlags als respektlos und diskriminierend gegenüber einer Frau, daran lässt sich nichts deuteln. Aber für die allermeisten Muslime stellt sich diese Frage nicht. Geschätzt entziehen sich keine sechs Prozent dem Händeschütteln. Denn theologisch betrachtet gibt es dazu keine klare Aussage, vieles hat mit Kulturtraditionen zu tun.

Die wenigen aber fallen umso mehr auf. Einerseits ist dies normal, denn Journalismus beschäftigt sich halt mit Problematischem. Aber „Bild“ zeigt schon komische Sorgenfalten. Neuste Volte: Der „Handschlagstreit mit Ringern“, das klingt natürlich deftig und beflügelt die Phantasie. Was war passiert?

Drei Ringer haben bei einem Turnier der Ringrichterin den Handschlag verweigert, alle drei sind Muslime. Die nachträglichen Begründungen dafür lesen sich hanebüchen, einer von ihnen erzählte, er habe den Partner der Kampfrichterin ehren wollen. Und: „Ich hatte Streit mit meiner Frau. Ich wollte ihr zeigen, dass ich nur Augen für sie habe. Sie hat sich gefreut.“

So viel zu den theologischen Standpunkten. Die paartherapeutische Maßnahme des Ringers zeigte woanders Unbill, denn natürlich war dies respektlos gegenüber der Richterin; gerade im Sport ist solch Verhalten fast schon komödiantisch, abgesehen davon, dass es der Richterin, wie sie sagte, nicht nur um den Handschlag gegangen sei. Sie müsse beispielsweise auch während des Kampfes in strittigen Situationen überprüfen, ob die Ringer richtig eingeölt seien. Eine Berührung wäre also unvermeidbar gewesen.

Die Ringer und ihr Verein erwarten also sportdisziplinarische Maßnahmen. Das Abendland wird indes dadurch nicht wanken. Dennoch möbelte die „Bild am Sonntag“ den Ringerskandal groß auf. Nun fragt sie landauf, landab: „Müssen Muslime Frauen in Deutschland die Hand geben?“ Interessant, wie das Engagement für Frauenrechte plötzlich eine Schlagseite erhält. Dabei fragt die Zeitung vorsorglich nicht, was zu passieren habe, wenn eine Frau zum Beispiel gar nicht einschlagen will. Die Frage mit dem „müssen“ ist halt komplizierter als eine Schlagzeile.

Achtung, Witzgefahr!

Eine Pflicht riskiert oft den Rutsch ins Unangenehme. Da gab der Komiker Jürgen von der Lippe ein Interview, zufälligerweise der „Bild“-Zeitung, und musste auf eine Frage antworten, die sich als Kommentar tarnte.

Der Moderator Jürgen von der Lippe ist bekannt für seine schlagfertigen Antworten. (Bild: Henning Kaiser/dpa)
Der Moderator Jürgen von der Lippe ist bekannt für seine schlagfertigen Antworten. (Bild: Henning Kaiser/dpa)

„Witze über den Islam machen Sie nicht.“

„Da bin ich nicht genug eingelesen. Aber selbst, wenn ich das wäre, würde ich mich wohl nicht trauen. Da ist mir mein Leben wichtiger als ein guter Gag.“

Auch hier ließe sich fragen: Muss man denn Witze über den Islam machen? Natürlich ist eine gewisse Humorlosigkeit unter Muslimen problematisch, wenn es um ihre Religion geht. Und es wäre schön, wenn die Dünnhäutigkeit in Bezug auf islambedingte Gags abnähme – aber woher kommt denn die Dünnhäutigkeit? Sie ist durch sowas wie die „228“ der „Bild“-Zeitung entstanden, durch das ständige Abstempeln und Problematisieren ihrer Religion. Witzemacher wie Jürgen von der Lippe, Harald Schmidt oder Stefan Raab wollten nie verstehen, dass es einen riesigen Unterschied macht, wenn der Witzemacher aus einer großen Gruppe kommt und sich über eine kleine Gruppe lustig macht. Da geht es nicht nur um vermeintlichen Humor, sondern auch um Machtverhältnisse, um den „Platz“, der eingenommen werden soll. Deshalb habe ich nie über Polen-Witze lachen können. Sie stigmatisieren nur. Und, ehrlich geschrieben, mir fällt gerade nicht einmal ein islambezogener Witz ein, der mir gefiele. Es gibt ihn sicherlich, aber womöglich muss man dafür muslimische Witzeerzähler konsultieren – und nicht von der Lippe.

Wir stellen uns nicht zu viele Fragen. Aber wir unterstreichen sie unterschiedlich. Machen groß, was es nicht ist. Dabei bräuchten wir 2019 vor allem: Gelassenheit.

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