Gastbeitrag von Politik-Experte Henning Vöpel - Woran die Ampel gescheitert ist
Der neue Haushaltsentwurf hat gezeigt, dass von der Ampel nicht mehr viel zu erwarten ist. Sie ist - gemessen an ihren eigenen Ansprüchen zu Beginn ihrer Arbeit - vorzeitig am Ende. Gescheitert ist sie an alten Denkmustern der Politik.
Die Ampel ist gescheitert. Diese Aussage ist selbst dann richtig, wenn sie – was indes immer unwahrscheinlich wird – bis zum Ende der Legislaturperiode tatsächlich durchhalten sollte.
Aber was heißt „durchhalten“ hier eigentlich – den Stillstand des Landes weiterzuführen oder die internen Querelen bis zum Schluss auszuhalten, um nur noch die eigenen Chancen auf Machterhalt bei der kommenden Wahl zu maximieren?
Eine größere Diskrepanz zu den selbstgesteckten Zielen der Ampel am Anfang ihrer Regierungszeit könnte es gar nicht geben. „Mehr Fortschritt wagen“, war zu Beginn der Legislaturperiode ihr Anspruch, ja sogar die Überschrift über ihrem Koalitionsvertrag. Nach sechzehn Jahren Merkel sollte das Land wieder stärker auf die Zukunft ausgerichtet werden, nachdem die reine Bewältigung von Krisen über Jahre hinweg den Fokus der Politik gebildet hatte.
Die Hoffnungen waren groß, das Ergebnis ist ernüchternd. Die Kraft für neue politische Prioritäten (Verteidigung) und Zukunftsaufgaben (Energie) ist offenbar nicht mehr vorhanden. Es wird nicht einmal mehr versucht, dies zu verschleiern.
Die „eierlegende Wollmilchsau“ und der fehlende Fortschrittsbegriff
Tatsächlich verhieß ganz am Anfang die politische Zusammenführung ökologischer, sozialer und liberaler Ansätze in einer gemeinsamen „Ampel“-Regierung eine neue ganzheitliche Politik für die multiplen Krisen und großen Transformationsprozesse unserer Zeit. Dafür aber hätte die Ampel einen neuen Fortschrittsbegriff prägen müssen.
Die dafür wiederum notwendige intellektuelle und konzeptionelle Arbeit ist jedoch offenkundig nie geleistet worden. Denn herausgekommen ist eine Koalition, die weniger ist als die Summe ihrer klientelpolitischen Wünsche, die angesichts der gewaltigen Zukunftsaufgaben aber deutlich mehr hätte sein müssen – nicht in einem additiven, sondern in einem qualitativen Sinne von Politik. Die Erkenntnis, dass alle Wünsche und Ziele der drei Koalitionäre gleichzeitig nicht finanzierbar sind, sondern nur durch einen neuen politischen Fortschrittsbegriff erfüllbar gewesen wären, kommt nun zu spät.
Die „eierlegende Wollmilchsau“ der Ampel ist wohl so etwas wie eine „schuldenbremsenkonforme Wohlfahrtsklimaökonomie“ – es gibt sie nicht. Jedenfalls nicht in der kurzen Frist, in der es den politischen Mut erfordert, soziale und ökonomische Zielkonflikte zu benennen und durch Politik gezielt zu überwinden. Darin genau liegt doch gesellschaftlicher Fortschritt. Soziale, ökonomische und politische Stabilität bedingen sich langfristig; sie gegeneinander auszuspielen oder so zu tun, als sei alles gleichzeitig finanzierbar, kann nur scheitern.
Und es ist gescheitert. Stattdessen haben sich die Parteien der Ampel immer stärker darauf zurückgezogen, in der immer deutlicher werdenden Unmöglichkeit ihres gemeinsamen Vorhabens, wieder ihre klientelpolitischen Ziele durchzusetzen, am wenigsten vielleicht noch die Grünen. Die durchsichtige Profilierung gegenüber ihren vermeintlichen Stammwählern rückte mit Blick auf die nächsten Wahlen in den Vordergrund, vor allem bei SPD und FDP.
Das ordnungspolitische Missverständnis der Ampel
Sollte die Ampel jemals so etwas wie einen gemeinsamen Fortschrittsbegriff gehabt haben, so ist dieser ordnungspolitisch krachend gescheitert, und zwar nicht in einem vordergründig politischen, sondern in einem tieferen ökonomischen Sinne. Es gibt ordnungspolitisch keinen „Marktstaat“, in dem die sozialen und ökologischen Ziele des Staates direkt durch den Staat am Markt durchsetzbar sind.
Genau das aber war der Versuch: Die Wirtschaft vollständig staatlich gesetzten Märkten zu unterwerfen, Wirtschaft und Politik in den Zeiten der Transformation aufs Engste und Kontrollierbarste miteinander zu verschmelzen.
Die Verlockung dazu ist politisch verständlicherweise groß, ökonomisch ist sie grundfalsch. Denn sie schwächt und beschädigt sowohl die Wirtschaft als auch die Politik selbst. Beginnt man, politische Preise zu setzen, einzelne Technologien oder Unternehmen zu subventionieren, Knappheit zu verwalten, mag man sehr kurzfristig eine opportune Umverteilung von Wohlfahrt und Kosten erreichen, langfristig ist eine solche Politik jedoch notwendig kontraproduktiv, weil sie Knappheit verschärft und Innovationen unterdrückt.
Politik korrigiert Wirtschaft, aber sie betreibt sie nicht. Allokative Ziele müssen am Anfang des Marktprozesses, distributive Ziele am Marktergebnis umgesetzt werden. Dazwischen findet Wirtschaft statt.
Kaum Aussicht auf schnelle Besserung
Einen Befreiungsschlag wird es auch nach der Ampel wohl nicht geben. Politik ändert sich nicht, sondern akkumuliert sich und wirkt so fort. Dies führt dazu, dass nie weniger, sondern immer nur mehr Gesetze erlassen werden, die letztlich - in ihrer Kumulation - zu einer bürokratischen und fiskalischen Überlastung führen (vgl. Adam et al., 2019, Policy Accumulation and the Democratic Responsiveness Trap).
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es kaum möglich ist, wirklich neue Politik zu machen. Sie muss immer damit umgehen, was sie vorfindet.
Das gilt für den sozialen und wirtschaftlichen Zustand eines Landes wie für die regulatorischen und bürokratischen Rahmenbedingungen, die so träge sind, dass sie selbst zu einer Beschränkung und Nebenbedingung für Politik werden. Die politischen Anreize für eine echte Reformagenda sind zudem äußerst gering. Das gilt zumal für eine Gesellschaft, in der sich die Zukunftsperspektiven eingetrübt haben und Pessimismus herrscht.
Das Interesse am Erhalt des scheinbar bequemen Status quo dominiert den Mut zu einem echten Aufbruch in eine zugegeben unsichere, aber gerade deshalb aktiv zu gestaltende Zukunft. Und so endet die Ampel gewissermaßen mit einem Haushaltsentwurf, der als ein Scherbenhaufen der eigenen Ambitionen betrachtet werden kann: Verteidigung, Infrastruktur, Klima – kaum etwas ist übriggeblieben. Und es ist dabei nicht zuerst die Schuldenbremse, die daran schuld ist. Wer dies glaubt, hat selbst keine wirklichen Lösungen anzubieten. Fortschritt schafft Vermögen, aber Geld noch keine Zukunft.
Der schwierige Weg nach vorn
Der Weg raus aus der Selbstverbarrikadierung der Politik wird nicht leicht. Die politische Arithmetik führt, ganz im Sinne der Akkumulation von Politik, nur zu neuen Kombinationen von Politik, aber nicht zu einer wirklich neuen Politik. Extremistische und populistische Ansätze taugen dafür nicht, ganz im Gegenteil, denn sie sind rückwärtsgewandt. Ein wesentlicher Schritt nach vorn könnte darin bestehen, die Politik in ihren Gestaltungs- und Kontrollansprüchen wieder stärker zurückzudrängen, in einen vorpandemischen Zustand.
Politik selbst kann, und darin liegt eine wichtige Erkenntnis, keinen Fortschritt erzielen. Sie kann nur die Richtung und die Bedingungen vorgeben, unter denen Fortschritt entsteht, der immer aus den Ideen von Menschen und ihrer Umsetzung in konkrete technische und soziale Lösungen besteht. Es braucht mitnichten einen Javier Milei mit seiner Kettensäge, aber ein Ruck, wie ihn Roman Herzog 1997 in Deutschland für erforderlich hielt, wird wahrscheinlich nicht genug sein.
Keine Politik ersetzt jemals die Kraft, die aus dem Optimismus , dem Freiraum und dem Ideenreichtum einer Gesellschaft erwächst. Die Ampel hat es nicht geschafft, diese Kraft zu mobilisieren.