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Kommentar: Heute ist ein Feiertag

Ein israelischer Soldat (rechts) gedenkt am Bahnhof Berlin-Grunewald dem "Abtransport" von Juden während der Nazizeit - in die Konzentrationslager (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Ein israelischer Soldat (rechts) gedenkt am Bahnhof Berlin-Grunewald dem "Abtransport" von Juden während der Nazizeit - in die Konzentrationslager (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht – vor dem von ihr angehäuften Scherbenhaufen. Dass man Nazis nach ihrem Desaster das Heft aus der Hand nahm, das ist wirklich einen Feiertag wert. Bundesweit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das Problem mit dem 8. Mai als Feiertag ist, dass sowas ohne Blick auf sich selbst nicht funktioniert. Damals, 1945, besiegelte der Tag die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Angezettelt hatten den nicht ein paar Aliens vom Mars, sondern jene Deutschen, denen die Deutschen damals erlaubten zu regieren. Unsere Großeltern wurden also befreit, aber auch von sich selbst.

Ehrlich machen ist das Beste. Es tut auch gut. Deutsche Soldaten zogen in zahlreiche Länder, besetzten sie, ohne dass dort irgendjemand sie danach gefragt hatte – und sperrten ein, folterten, mordeten, stahlen. Es war ein staatlich beschlossenes Mord-Raub-Terrorkommando. Kein Wunder, dass ziemlich viele Menschen damals sauer auf uns waren. Diesen Zweiten Weltkrieg gab es nur, weil die regierenden Nazis ihn wollten.

Daher tut solch ein 8. Mai auch weh. Er erinnert daran, was Menschen alles falsch machen können, was sie anderen antun können. Um die Opfer zu würdigen und sich zu besinnen, dass Geschichte sich nicht einmal in Ansätzen wiederholen sollte – darum sollte der 8. Mai ein bundesweiter Feiertag werden und nicht nur in Berlin, wo er es vorerst nur für dieses Jahr ist.

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Dennoch gibt es tatsächlich Leute, die haben nicht nur ein Problem wie oben, also das mit dem ehrlich machen. Die stellen sich gegen die Einführung dieses Feiertags, so wie AfD-Fraktionschef Alexander Gauland.

Nun könnte man fragen: Gauland wer? Gibt es den noch? Nun, noch ist er nicht nur Ehrenvorsitzender, also in Vollpension. Noch hat er Macht, und daher ist einflussreich, was er sagt. Wenn es nur nicht oft weh täte.

Der 8. Mai habe “nicht das Potenzial zu einem Feiertag, weil er ein ambivalenter Tag ist”, sagte Gauland dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der 8. Mai lasse sich nicht “zum Glückstag für Deutschland machen”. Als ich das las, biss ich gerade auf einen Glückskeks und verschluckte mich. Dann würgte ich weiter: Für die KZ-Insassen sei es “ein Tag der Befreiung gewesen”, sagte der AfD-Fraktionsvorsitzende. Aber es sei auch “ein Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit” gewesen. Es gebe “Positives” am 8. Mai, “aber die in Berlin vergewaltigten Frauen werden das ganz anders sehen als der KZ-Insasse”.

Total daneben

Nun. Zum ersten Mal wird Gauland als AfD-Politiker über Menschen gesprochen haben, die in die Lager gesteckt worden waren, das wäre durchaus anzuerkennen, aber halt: Er erwähnt sie nur, um anderes zu relativieren. Welch billiger Taschenspielertrick.

Der Reihe nach. Das mit dem Glückstag verstehe ich nicht. Ein Tag qualifiziert sich nicht zum Feiertag, wenn er vor “Glück” strotzt. Oder schlägt Gauland vor, dass wir am Karfreitag, an Allerseelen oder am Totensonntag Partys feiern? Nicht, dass er da etwas mit Halloween verwechselt.

Gauland versucht den Begriff der “Befreiung” zu differenzieren. Dabei ist er, im Namen der Menschlichkeit, universal – es sei denn, man fand toll, was die Nazis mit ihren Mord-Raub-Terror-Kommandos, siehe oben, anstellten. Natürlich war der 8. Mai 1945 ein “Tag der absoluten Niederlage”, darum geht es doch – welche Glocken hat Gauland nicht gehört? In diesem “totalen” steckt eine Menge “Potenzial”.

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Und, klar, mit dem Kriegsende mussten Millionen von Deutschen ihre Heimaten verlassen und fliehen, sie erlitten schlimme Schicksale und erlebten schwierige Neuanfänge im Westen. Aber auch dies gehört zu einem Feiertag, der eben kein Partytag ist, sondern einer des Gedenkens.

Was Gauland mit “Verlust von Gestaltungsmöglichkeit” meint, die er betrauert, sollte näher hinterfragt werden. Der AfD-Fraktionschef möchte sicherlich nicht in die Nähe von Reichsbürgern gestellt werden, die in der Bundesrepublik eine Firma sehen und uns alle als fremdbestimmt (verdammter Glückskeks, den hat man mir sicher auch aufgedrückt). Reichsbürger mögen eine mangelnde Gestaltungsmöglichkeit erkennen, ich aber nicht.

Oder meinte Gauland 1945? Findet er es schade, dass die deutsche Regierung damals nicht weitermachen konnte mit ihren Mord-Raub-Terror-Kommandos? Mit dem massenhaften Töten von Menschen, nur weil sie Juden waren, eben Menschen, aber halt eine Minderheit, der man alle möglichen Märchen anhängen konnte, um die eigenen Probleme zu “erklären”?

Das Eine gegen das Andere

Kein Wunder, dass Gauland in seiner argumentativen Sackgasse dann Opfer gegen andere Opfer auszuspielen versucht. Was haben Frauen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von besetzenden Soldaten vergewaltigt wurden, mit KZ-Insassen zu tun? Abgesehen davon, dass Gauland so tut, als habe es damals eine Umfrage unter den Opfern von sexuellem Missbrauch gegeben, indem er sie einfach mal vereinnahmt (“werden das ganz anders sehen”): Die vielen Unterschiede in diesem mehr als schrägen Vergleich nun zu nennen, würde bedeuten, sich ein Stück weit auf Gaulands zynisches Spiel einzulassen.

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Nur dies: Der deutsche besetzende Soldat ließ auf Befehl Massengräber ausheben, transportierte Menschen in Vernichtungslager ab oder erschoss sie gleich an den Löchern, wenn er sie nicht in Kirchen einschloss und dann verbrannte. Dies geschah flächendeckend und regelhaft. Von Deutschland besetzenden Soldaten gab es all dies nicht.

Es ist interessant, dass Gaulands schlimme Worte kaum empörten Widerhall finden. Als er noch über Vogelschiss (oder war es Fliegenschiss?) sinnierte, war die Aufregung zu Recht groß. Aber mit der Zeit stumpft man ab, und das ist die Genugtuung der AfD. Man gewöhnt sich allzu sehr an diese Ekligkeiten. Daher sollte dieser 8. Mai ein Feiertag werden.

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