Kommentar: Heute ist Erdüberlastungstag – und wir feiern den Würzburger Wurststreit
Ab heute wäre Schluss mit lustig: Wenn alle Menschen so leben würden wie in Deutschland, wären alle Ressourcen des Jahres nun aufgebraucht. Aber den großen Fuß lassen wir uns nicht nehmen. Und regen uns auf, wenn mal eine Wurstbude fehlt.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Man kann auch närrisch in den Untergang ziehen. Eigentlich steht uns das Wasser bis zum Hals, wenn auch nur sinnbildlich: Denn draußen herrscht gerade keine Flut – obwohl wir eine gewisse noch in Erinnerung haben. Aber heute ist der so genannte Erdüberlastungstag. Wissenschaftler der Organisation „Global Footprint Networks“ haben für jedes Land errechnet, wie viel an natürlichen Ressourcen unseres Planeten ihm zustehen – gemessen an Fläche, Einwohnerzahl und Emissionen von CO2. Für Deutschland ist dies ab heute aufgebraucht. Oder wir tun so, als gäbe es nicht nur eine Erde, sondern drei. Denn aufregen tun wir uns lieber über Anderes.
Menschen verbrauchen zum Überleben Naturgüter und verursachen Emissionen. Nach derzeitigem Stand kommen wir in Deutschland auf 4,67 Hektar pro Einwohner. Uns stehen aber nur 1,6 Hektar zur Verfügung. Das heißt: Woanders wird gespart, um unseren Lebensstandard zu erfüllen. Oder es wird eben Raubbau betrieben, Stichwort „Klimawandel“ aka „Wasser bis zum Hals“.
Aber davon lassen wir uns nicht unsere Fröhlichkeit nehmen.
Und lustig kann es ja nicht sein, wenn an Ort und Stelle nicht stets ein Wurststand ist. Frage mich, was die Würzburger Stadtverwaltung sich eigentlich gedacht hat.
Da geht einem ja die Wurst hoch
Denn die hat beschlossen, beim diesjährigen Hafenfest keinen Imbiss mit Fleischwaren anzubieten. Die Aufregung war groß. Ist das wieder ein Veggy-Kram, ein Erziehungsdiktat? Ein Angriff auf das Kulturgut der fränkischen Rostbratwürstl? Jedenfalls kochte manche CSU-Parteiseele hoch. Man lebe ja nicht von Heu und Wiesen allein, hieß es. Und natürlich meldete sich auch Bayerns Minisgerpräsident Markus Söder mit einem Statement, denn der jagt stets jede Pointe, die nicht bei drei auf den Bäumen ist, und sagte: Ein Leben ohne Bratwurst sei theoretisch möglich, aber sinnlos.
Nun liebe ich Bratwurst. Und wenn ich nach Bayern fahre, ist handfest Fleischiges in einem Gasthaus zielsicher angesteuert, das gehört für mich dazu. Aber es ist halt Geschmackssache. Und Entscheidungssache jedes Einzelnen. Und die wird einem in Würzburg, allen Fakenews zum Trotz, nicht genommen.
Denn dieses Hafenfest, über das man sich gerade so gern aufregt, hat in der Vergangenheit einen Imbisswagen gehabt. Einen einzigen. Es geht bei dem Event wohl mehr um Konzerte, Stehempfang und so. Auch letztes Jahr gab es kein Fleisch, aber das regte niemanden komischerweise auf (Pressezensur?); ach nee, da gab es wenigstens Fisch im Programm. Nun aber hat die Stadtverwaltung bei diesem Imbisswagen beschlossen, auf Grund der ermittelten Nachfrage, die mehr Vegetarisches wollte, auf vegetarische Angebote zu setzen. Gerüchteweise soll es in Rufnähe andere gastronomische Offerten geben, die durchaus Fleisch enthalten (hoffentlich, wenn sie’s draufschreiben). Was sich in Würzburg gerade ausgestaltet, ist ein klassischer Lärm um nichts. William Shakespeare würde der Frankenstadt sofort einen Dreiakter widmen, so herrlich ist der Unsinn.
Was dahintersteckt
Vielleicht ist das Wurstbuden-Theater ein ungewollter Ausdruck unseres schlechten Gewissens. Die Stadt will ob des Klimawandels wenigstens einen kleinen symbolischen Schritt wagen. Und die entladene Entrüstung darüber schreit vielleicht umso lauter, je mehr einem klar wird, dass wir über unsere Maße leben. Dann wird solch ein Rostbratwürstl zum Symbol für hüben und drüben.
Es ist ein närrisches Treiben im Schatten ernster Zeiten. Aber sage keiner, mit einer veganen Bratwurst sei alles freudlos, das ist auch eine Frage der Sauce. Jedenfalls macht es Sinn, einmal innezuhalten und zu fragen: Was kann ich eigentlich tun?