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Kommentar: Horst Seehofer braucht dringend ein neues Feindbild

Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, gibt vor wenigen Tagen eine Pressekonferenz. (Bild: Michael Kappeler/dpa)
Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, gibt vor wenigen Tagen eine Pressekonferenz. (Bild: Michael Kappeler/dpa)

Der Bundesinnenminister schweigt zu Nazidrohbriefen aus Reihen der Polizei. Warum eigentlich?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Zum Glück zeigte sich Seda Başay-Yıldız nicht überrascht über die feigen und schweinischen Drohbriefe gegen sie. Die Anwältin hatte im Verfahren gegen die Nazi-Terroristen rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eine Opferfamilie vertreten und kannte sowohl die zahlreichen Fehler und Irrtümer der Polizei bei der Aufdeckung dieser Terroristen als auch den Unwillen der Beamten, genau dies kritisch aufzuarbeiten.

Sie war gewarnt. Und nun erhält sie Briefe vom NSU, diesmal „2.0“.

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Die Kette dieser Faxe unbeschreiblichen Inhalts reißt nicht ab. Am vergangenen Montag bestätigte die Polizei Frankfurt/Main den Eingang eines Schreibens, mit Drohungen gegen Başay-Yıldız. Die Ermittler gehen noch immer davon aus, dass der Absender aus den Reihen der Polizei kommt – wegen offenbarten internen Wissens, der dokumentierten Abfrage des Polizeicomputers zu persönlichen Informationen rund um Başay-Yıldız. Es ist zum Gruseln.

Doch ernsthaft schreckhaft zeigt sich kaum jemand. Als der Skandal erstmals aufkochte, im vergangenen Jahr, da sprach man richtigerweise von einem der größten Polizeiskandale Hessens. Doch seitdem sind die Ermittler nicht weitergekommen, und alle gewöhnen sich an diese Briefe.

Genau das ist der Skandal.

Rechtsanwälting Seda Basay-Yildiz wurde abermals bedroht. (Bild: Boris Roessler/dpa)
Rechtsanwälting Seda Basay-Yildiz wurde abermals bedroht. (Bild: Boris Roessler/dpa)

Was aufregen lässt

Die Polizei, die ja selbst im Zentrum des Verdachts steht, riet Başay-Yıldız, sich eine Waffe zuzulegen. Das mag freundlich gemeint gewesen sein, jedenfalls hilflos, aber in der Auslegung fatal. Eine Anwältin wie Başay-Yıldız, welche das Funktionieren des Rechtsstaats durch ihre Arbeit garantiert, sollte auf der Prioritätenliste deutscher Ordnungshüter ganz oben stehen. Ob dies so ist, merkt man jedenfalls nicht.

Horst Seehofer als Bundesinnenminister ist, traditionell gesehen, ein Meister in Sachen Empörung. Im vergangenen Sommer konnte er sich über Kinkerlitzchen ohne praktischen Belang aufregen, dass die Regierung wankte. Eine so genannte Obergrenze – dieses Wort klingt wie ein missratener Urlaub, an den man sich lieber nicht erinnert – konnte seinen Puls nach oben schießen lassen. Mit Feindbildern kennt sich Seehofer aus. Warum schweigt er zu diesem Skandal in den Reihen jener Behörde, die mit seinem Ressort sehr viel zu tun hat? Will er sich herausreden, dass landespolizeiliche Angelegenheiten Ländersache sind und er aus Gründen der föderalistischen Räson nichts zu vermelden hat?

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Bei Seehofer geht ansonsten immer was. Dass er keine Betroffen- und Entschlossenheit zeigt, macht Angst. Und wirft erneut die Frage auf, was er in diesem Posten eigentlich endlich mal richtig machen will.

Liegt es daran, dass Başay-Yıldız ihren Job macht? Dass sie radikalislamische Gefährder verteidigt, wie den bekannt gewordenen Sami A., den so genannten Leibwächter Usama bin Ladens? Die Anwältin zeichnete nach, dass sich die Ausländerbehörde und das Integrationsministerium von NRW aktiv gegen ein Gericht stellten und dessen Arbeit sabotierten – weil die Richter eine Abschiebung von Sami A. zu verhindern drohten. Die Rolle Seehofers ist noch unklar. Die Frage, inwiefern mit zweierlei Maß gemessen wurde, das Recht gebeugt wurde und der CSU-Politiker unbedingt einen „politischen Erfolg“ erzwingen wollte, ist noch nicht beantwortet.

Beschuss aus der CSU

In dieser Gemengelage sollte sich ein Bundesinnenminister aktiv an die Seite der bedrohten Anwältin stellen, Streit hin oder her. Er sollte sie besuchen, das Signal aussenden: Wer sie bedroht, der bedroht mich, der bedroht Deutschland. Seehofers Feindbild sollten die faschistischen und rassistischen Tendenzen in der Polizei sein.

Dies wäre für jemanden wie Seehofer umso wichtiger, denn es waren Politiker aus seiner Partei, die gegen die verfassungsrechtlich so wichtige Arbeit von Başay-Yıldız polemisierten und sich damit an der allgemeinen Klimavergiftung beteiligten. Da ist zum Beispiel der Seehofer-Schüler Alexander Dobrindt zu nennen, der von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ faselte und damit die Arbeit von Başay-Yıldız meinte. Es ist zum Fremdschämen.

Für Seehofer ist es noch nicht zu spät. Er könnte sich jederzeit in den Flieger setzen. Er sollte sich beeilen.

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