Kommentar: House of Cards beim BAMF in Bremen

Im Skandal um die Außenstelle in Bremen geriet zuletzt auch BAMF-Chefin Jutta Cordt unter Druck (Bild: dpa)
Im Skandal um die Außenstelle in Bremen geriet zuletzt auch BAMF-Chefin Jutta Cordt unter Druck (Bild: dpa)

Über Jahre wurden Asylanträge in der Hansestadt durchgewunken – ein finanziell lukrativer Akt. Die Scherben dieser Machenschaften liegen nun vor den Füßen von Horst Seehofer. Kriegt er sie weg?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wer von Bayern aus nach Bremen schaut, zuckt klischeegetrieben mit den Achseln. Schuldenhaus, klein, irgendwie zurückgeblieben, mit einem Hafen wie aus alten Zeiten. Horst Seehofer, noch Fürst der CSU, sah bisher in der Hansestadt vielleicht einen peinlichen Cousin, den man halt auch ab und an einladen muss. Heute aber ist Bremen für Seehofer ein rotes Tuch – denn der Bayer ist Bundesinnenminister und damit zuständig für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dessen Bremer Außenstelle eine Menge Scherben vor seiner Bürotür aufwirft.

Über Jahre hinweg, und zwar auch lange vor der Grenzöffnung im Sommer 2015, ging die Außenstelle offenbar nicht ihren Pflichten nach. Anstatt Asylanträge ordentlich zu prüfen, wurden sie massenhaft durchgewunken, durch ein Netz von dort Angestellten und mit ihnen kooperierenden Rechtsanwälten. Geld floss auch. Es handelt sich also nicht nur um Schlendrian oder Nächstenliebe der behördlichen Art, sondern auch um Bestechlichkeit und Betrug.

Die Ignoranz der Vergangenheit

Heute erst reden wir darüber. Dies offenbart gleich mehrere Skandale. Schon 2016 wurden diverse politische Instanzen hellhörig, dass etwas in Bremen schiefläuft, 2014 hatte es die ersten internen Beanstandungen gegeben. Doch das BAMF reagierte zuerst zögerlich, wurde dann durch die Einreise der vielen Geflüchteten überfordert und informierte nach oben bis heute nicht so, wie es notwendig gewesen wäre.

All diese Skandale erscheinen gerade ineinander verheddert, so bedingen sie sich und wirken umso größer. Zeit also, die Schere in die Hand zu nehmen.

Dass es zu kriminellen Machenschaften kommen konnte, liegt zuvorderst an mangelnder Qualität. Vor 2015 wurde das BAMF nicht seinem Namen gerecht. Viel zu wenige Mitarbeiter schafften dort. Und es fehlte an Struktur, an funktionierender IT, an einer Prozesskette: Schon immer zog sich die Bearbeitung von Asylanträgen furchtbar in die Länge, ließ die Antragsteller in nervenaufreibender Warteschlange ausharren. Ich habe über Jahre hinweg Briefe aus den Ämtern gelesen, welche vor Ignoranz nur so trieften.

Das Frustpotenzial des BAMF ist seit jeher für alle Beteiligten hoch (Bild: Reuters)
Das Frustpotenzial des BAMF ist seit jeher für alle Beteiligten hoch (Bild: Reuters)

Dann kam das, was die AfD die „Flüchtlingskrise“ nennt, welche zwar keine war, was aber nicht am BAMF lag. Denn die Behörde erwies sich nahezu als Totalausfall, musste nicht nur massiv aufgestockt werden, sondern sich einer Generalüberholung hin zu einem funktionierenden Apparat unterwerfen, welche noch nicht abgeschlossen ist.

Unser altes Wappentier

Warum war das BAMF im Sommer 2015 eine derartige Baustelle? Warum feierten dort Inkompetenz gemeinsam mit Ineffizienz fröhliche Urständ?

Die Antwort ist banal. Es interessierte die Politik keinen Deut. „Flüchtlinge“, das waren keine Wähler. Die wollte man möglichst gar nicht haben, und wenn es einer hierhin schaffte, dann bitteschön so tun, als wäre er nicht da. Das BAMF war ein behördliches Abstellgleis, Karrieretüchtige umschifften es. Der Ruf war der einer tranigen Tante, bestenfalls.

Es war die Zeit, in der Migranten in Deutschland meist einen Asylantrag stellen mussten, um eine Bleibeperspektive zu erhalten – auch wenn sie nicht politisch verfolgt waren. Das Land bekannte sich nicht dazu, ein Einwanderungsland zu sein (was es längst war), daher fehlte eine entsprechende Gesetzgebung; es ist schlicht ungerecht und unrealistisch, die Chance auf einen Eintritt in unsere Gesellschaft durch das Nadelöhr des Asylantrags zu zwingen. All diese Umstände dauern bis heute an und harren eines ehrlichen Umgangs.

Es war auch die Zeit, in der wir uns noch einredeten, Deutschland sei ein eigener Planet, isoliert von den Geschehnissen da draußen in der Welt. Wir wollten nichts wissen von den globalen Fluchtbewegungen, die längst eingesetzt hatten, millionenfach. Der Vogel Strauß, nicht der Adler, wurde zu unserem Wappentier – und zwar mit dem Kopf im Sand. Wäre dies nicht ein feines Parteilogo für die AfD?

Seit 2015 nimmt Deutschland einen Teil seiner globalen Verantwortung wahr. Da klappte es nicht mehr mit einem Kartenhaus à la BAMF, und seitdem wird aufgeräumt.

Es geht auch ohne Untersuchungsausschuss

Die gute Nachricht: Die Missstände bei der Bremer Außenstelle fielen intern auf, man ging sie an. Politiker schrieben Brandbriefe – es entwickelte sich kein blinder Fleck. Nun wird ermittelt. Alle durchgewinkten Asylanträge werden durchleuchtet. Beim Wegfegen der Scherben treten nun andere Versäumnisse zutage. Die aktuelle BAMF-Chefin steht im Verdacht, ihre Vorgesetzten nicht aktuell und umfassend über die Ausmaße des Bremer Skandals informiert zu haben. Und das Bundesinnenministerium zeigte sich denkbar schlecht in Form, als es unterschiedliche Versionen über Zeitpunkte von Benachrichtigungen und deren Weiterleiten lieferte.

Innenminister Horst Seehofer muss nun bei den Aufräumarbeiten beherzt zupacken (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)
Innenminister Horst Seehofer muss nun bei den Aufräumarbeiten beherzt zupacken (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)

Doch die Fehler bei dieser Aufarbeitung sind weit bedeutungsärmer als der eigentliche Skandal in Bremen. Daher wird Seehofer, der jetzt mit einer Entscheidungs-Sperre für die Außenstelle das Ruder ergreift, nicht über „Bremen“ stürzen. Auch ob es wirklich eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses bedarf, ist zu bezweifeln. Das Ausmaß der Missstände ist groß, aber schon jetzt berechenbar. Nur wenn der Untersuchungsausschuss echte Empfehlungen für die Zukunft erarbeiten würde, wären die Investitionen in solch einen neuen und doch recht großen Apparat gerechtfertigt.