Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Bürgergeld ist der größte Flop seit 20 Jahren - doch die Union stellt sich ein Bein

Jobcenter sollen in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort des Bürgergeld-Beziehers nach einem Arbeitsplatz suchen.<span class="copyright">Foto: dpa/Jens Kalaene</span>
Jobcenter sollen in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort des Bürgergeld-Beziehers nach einem Arbeitsplatz suchen.Foto: dpa/Jens Kalaene

Die Union fährt immer wieder schwere Geschützte gegen das Bürgergeld auf. Der größte sozialpolitische Flop der letzten 20 Jahre bietet in der Tat reichlich Anlass zur Kritik. Doch stellt sich die Union hier selbst ein Bein.

  1. Im Video oben: Jetzt muss die Ampel 100 Euro pro Bürger einsparen - wo sie ansetzen kann

In der Politik gehört Eigenlob dazu. Folglich pries Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das von der Ampel eingeführte Bürgergeld als „größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“. Ob die SPD im Bundestagswahlkampf 2025 mit dieser Errungenschaft auf Stimmenfang gehen wird? Wohl kaum.

Das Bürgergeld hat nämlich einen schlechten Ruf, wird – wie Umfragen zeigen – sehr kritisch gesehen. Die Geldleistungen gelten als zu großzügig, die Sanktionen als nicht hart genug. Kurzum: Vor allem die arbeitenden Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen fühlen sich „ausgebeutet“ von Bürgergeldbeziehern, die arbeiten könnten, aber nicht wollen.

Union will grundlegende Änderungen beim Bürgergeld

Die CDU/CSU würde ihrer Aufgabe als Opposition nicht gerecht, wenn sie die Fehlentwicklungen bei Heils Prestigeprojekt nicht kritisierte. Beispielsweise die Anhebung der Geldleistungen um 25 Prozent innerhalb eines Jahres. Eine solche Einkommenserhöhungen konnte kein Arbeitnehmer verbuchen.

Die Union will das Bürgergeld „in der jetzigen Form“ wieder abschaffen. Im Grund will sie zurück zu „Hartz IV“, wo auf das „Fordern“ mehr Gewicht gelegt wurde als beim Bürgergeld. Allerdings hatte die CDU/CSU Ende 2022 dem Gesetz zugestimmt. Zuvor hatte sie im Vermittlungsausschuss einige Änderungen am Ampel-Entwurf durchgesetzt.

Dass eine Opposition in einem Vermittlungsverfahren versucht, ein Gesetz in ihrem Sinn zu verbessern, ist in unserem politischen System nichts Außergewöhnliches. Das gehört zum politischen Alltag.

Union operiert mit zweifelhaften Zahlen und Angaben

Ebenso wenig kann man einer Partei vorwerfen, bei Fehlentwicklungen auf Änderungen zu drängen. So hat inzwischen selbst Arbeitsminister Heil eine Verschärfung der Sanktionen für arbeitsunwillige „Stütze“-Empfänger auf den Weg gebracht. Im „Wachstumspaket“ der Ampel sind weitere Änderungen geplant.

Allerdings operiert die CDU/CSU gern mit Zahlen von angeblich arbeitsfähigen, aber arbeitsunwilligen Bürgergeldbeziehern, die sich nicht eindeutig belegen lassen. Das schadet ihrem Anliegen, das Bürgergeld weniger attraktiv zu machen, macht die Angreifer politisch angreifbar.

Zwei Beispiele: Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Jens Spahn sprach gegenüber der F.A.Z. von „Hunderttausenden“, die nicht als „hilfsbedürftig“ gelten könnten, aber dennoch nicht arbeiteten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wiederum verwies gegenüber der Funke-Mediengruppe auf eine sechsstellige Zahl von Personen, die „grundsätzlich nicht bereit“ seien, eine Arbeit anzunehmen. Das lege „die Statistik nahe“.

Das Problem: Die Statistik der Arbeitsagentur hält zwar die Zahl der „Totalverweigerer“ fest, also jene Bürgergeldbezieher, die jede Zusammenarbeit mit den Job-Centern ebenso ablehnen wie ihnen angebotene Jobs. Das sind aber nur 0,86 Prozent der 4 Millionen arbeitsfähigen „Kunden“ der Arbeitsagentur.

Indizien sprechen dafür, dass Bürgergeld falsche Anreize setzt

Es gibt keine gesicherten Daten, wie viele Bürgergeldempfänger sehr wohl arbeiten könnten, es sich aber lieber mit dem Bürgergeld bequem machen, häufig aufgestockt durch etwas Schwarzarbeit. Doch sprechen gewichtige Indizien dafür, dass das Bürgergeld das Nicht-Arbeiten fördert.

So ist seit Einführung des Bürgergelds die Zahl derer, die einen angebotenen Job angenommen haben, um knapp 6 Prozent zurückgegangen. Das sind keine Horrorgeschichten von angeblich herzlosen Neoliberalen: Das wurde vom Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit ermittelt.

Der Landkreistag, der überparteiliche Spitzenverband aller 294 Landkreise, hat vor kurzem deutlich strengere Regeln für den Bezug von Bürgergeld gefordert. Die Kommunalpolitiker kennen die Lage vor Ort besser als viele im oft realitätsfernen Regierungsviertel in Berlin. Sie plädierten dafür, dem Fordern gegenüber dem Fördern mehr Gewicht zu verleihen.

Oder nehmen wir die Gebäudereiniger. 70 Prozent der Mitgliedsfirmen ihres Spitzenverbandes berichteten in einer Umfrage von eigenen Mitarbeitern, die lieber ins Bürgergeld wechseln wollten als weiterhin zu arbeiten. Der Ökonom Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut dazu: „Alles andere wäre überraschend. Man hat netto mehr, wenn man arbeitet, aber eben nur sehr wenig mehr.“

Solche Beispiele werden von vielen Sozialpolitikern von SPD und Grünen gerne als Einzelfälle abgetan. Doch die Erfahrungen in den Job-Centern sprechen dagegen. So stellten knapp 2000 Mitarbeiter aus sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen Anfang dieses Jahres bei einer Umfrage dem Bürgergeld schlechte Noten aus. Demnach sind Bürgergeldbezieher schlechter erreichbar als früher (59 Prozent der Befragten), weniger motiviert (59 Prozent) und machen weniger mit (62 Prozent). Die Anreize, eine neue Stelle aufzunehmen, hätten sich verschlechtert (63 Prozent).

Firmen suchen Mitarbeiter

Nun sind unter den 4 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldempfängern zweifellos nicht die vielen qualifizierten Fachkräfte zu finden, die von der Wirtschaft händeringend gesucht werden. Doch dämpft das Bürgergeld offenbar die Bereitschaft, auch einfache Tätigkeiten in der Gastronomie oder Hotelbranche auszuüben.

Viele Gaststätten haben ihre Öffnungszeiten reduziert, weil es an Servicepersonal und Küchenhilfen mangelt. Andere Betriebe haben wegen des Personalmangels aufgegeben. Verkäufer werden ebenfalls gesucht, ebenso Mitarbeiter bei Lieferdiensten.

Oder nehmen wir die Landwirtschaft. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes arbeiten jedes Jahr rund 300.000 Erntehelfer in Obst- und Gemüsebetrieben. Deutsche Arbeitskräfte stünden dafür kaum zur Verfügung. Die meisten Helfer stammten aus Rumänien, Polen und Bulgarien. Bürgergeldbezieher scheint es jedenfalls nicht aufs Feld zu ziehen.

SPD und Grüne begründen ihre sehr großzügige Sozialpolitik mit der angeblichen Notwendigkeit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Mehrheit der Steuer- und Beitragszahler den Eindruck gewinnt, zu viele Empfänger von Transferleistungen kämen ohne eigene Arbeit ganz gut über die Runden, sorgt das eher für eine Spaltung der Gesellschaft zwischen den Finanziers des Sozialstaats und seinen Kostengängern.

Kritik am Bürgergeld ist richtig, die Art aber nicht

„Die größte Sozialreform seit 20 Jahren“ hat seit ihrem Start am 1. Januar 2023 offensichtlich nicht erreicht, dass mehr Empfänger eine Ausbildung aufnehmen beziehungsweise abschließen oder sich um eine sozialversicherungspflichtige Arbeit bemühen.

Die CDU/CSU-Opposition tut also gut daran, mit ihrer Kritik am größten sozialpolitischen Flop seit 20 Jahren nicht nachzulassen. Doch mit nicht belastbaren Zahlenangaben schadet sie ihrem eigenen Anliegen. Denn an guten Argumenten, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen, fehlt es nicht.