Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Bürgergeld-Pfusch: Die Ampel versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist

Hugo Müller-Vogg: "Hat es jemals ein Gesetz gegeben, das in so kurzer Zeit so oft nachgebessert werden musste wie das verpfuschte Bürgergeld? Wohl kaum."<span class="copyright">imago/Future Image</span>
Hugo Müller-Vogg: "Hat es jemals ein Gesetz gegeben, das in so kurzer Zeit so oft nachgebessert werden musste wie das verpfuschte Bürgergeld? Wohl kaum."imago/Future Image

FDP-Fraktionschef Dürr spricht sich angesichts der Inflationsentwicklung für eine Kürzung des Bürgergeldes aus. Wir erleben einen weiteren Versuch der Ampel, zu reparieren, was längst dabei ist, zu kollabieren: das Pfusch-Konstrukt Bürgergeld.

„Dreimal abgeschnitten und immer noch zu kurz …“. Dieser Handwerker-Witz könnte für die Ampel erfunden worden sein – jedenfalls wenn man an das Bürgergeld denkt. Das war aus Sicht von SPD und Grünen als Glanzstück dieser „Fortschrittskoalition“ gedacht – war!

Jetzt wirkt es wie ein Haus, dessen Fundament brüchig und dessen Dach undicht ist. Was bei der Einführung zum 1. Januar 2023 vollmundig als größte Sozialreform seit 20 Jahren gefeiert wurde, entpuppte sich als Großbaustelle. Der Begriff Pfusch ist nicht falsch.

Jetzt sind die Regierungshandwerker dabei, möglichst vieles wieder zu reparieren. Die neueste Volte: FDP-Fraktionschef Christian Dürr fordert bei den Geldleistungen „eine Anpassung nach unten, weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde als sie sich tatsächlich entwickelt hat“.

Bürgergeld-Pfusch: Sogar die SPD merkt, dass die Reform die Gesellschaft zu spalten droht

Der FDP-Politiker hält das Bürgergeld für "aktuell 14 bis 20 Euro im Monat zu hoch“, wie er "Bild" sagte. Eine entsprechende Kürzung würde seiner Meinung nach die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten und die Arbeitsanreize erhöhen.

Diese Kürzung werden SPD und Grüne nicht mitmachen. Doch merkt sogar die SPD, dass sie mit dieser Reform die Gesellschaft zu spalten droht. Denn alle Umfragen zeigen, dass rund drei Viertel der Menschen der Meinung sind, das Bürgergeld halte seine Bezieher von einer Arbeitsaufnahme ab.

SPD-Chef Lars Klingbeil musste jetzt im ARD-Sommerinterview einräumen, viele Menschen empfänden „Teile des Bürgergelds“ als ungerecht. Den rund 16.000 Totalverweigerern warf er vor, „sich jeglicher Mitarbeit mit dem Staat zu verweigern", sich zurückzulehnen und zu sagen, "ich muss nichts machen". Denen müsse man klar sagen: "Es gibt kein Recht auf Faulheit".

Kein Recht auf Faulheit? Eine solche Formulierung hätte Klingbeil vor nicht allzu langer Zeit noch als herzlose Hetze von „Neoliberalen“ scharf verurteilt. Doch bekommt der SPD-Vorsitzende im Wahlkampf in den ostdeutschen Ländern zu spüren, dass selbst die eigenen Wähler die gängige Bürgergeld-Praxis für ungerecht halten.

Es wird kräftig repariert - bei den Sanktionen und dem Schonvermögen

Hat es jemals ein Gesetz gegeben, das in so kurzer Zeit so oft nachgebessert werden musste wie das verpfuschte Bürgergeld? Wohl kaum. Dabei drängt nicht nur die CDU/CSU auf deutliche Veränderungen. Die FDP lässt an dem Gesetz ebenfalls kaum noch ein gutes Haar, obwohl sie es selbst mitbeschlossen hat.

Die Ampel-Parteien können eben nicht die Augen davor verschließen, dass die gegenüber „Hartz IV“ deutlich abgemilderten Sanktionen viele Bürgergeld-Empfänger ermuntert haben, als „Angestellte des Jobcenters“ regulärer Arbeit aus dem Weg zu gehen.

Also wird kräftig repariert. Bereits seit April dieses Jahres können Jobcenter das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, falls Leistungsbezieher die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern. Solche harten Sanktionen hatte die SPD vor nicht allzu langer Zeit als höchst unsozial abgelehnt.

Dabei soll es jedoch nicht bleiben. Künftig wird mit Kürzungen um 30 Prozent für drei Monate rechnen müssen, wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt. Ursprünglich waren diese Kürzungen geringer.

Ampel wollte vierköpfiger Bürgergeld-Familie 150.000 Euro auf der „hohen Kante“ zugestehen

Bürgergeld-Beziehern soll es in Zukunft nicht mehr möglich sein, eine Arbeit wegen zu großer Entfernung abzulehnen. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden müssen bald drei Stunden Hin- und Rückfahrt in Kauf genommen werden.

Der Staat will auch mehr tun, um die häufig anzutreffende Kombination „Bürgergeld plus Schwarzarbeit“ zu bestrafen. Wer bei Schwarzarbeit erwischt wird, dem sollen für drei Monate die Bürgergeld-Bezüge um 30 Prozent gekürzt werden.

Auch beim Schonvermögen – also dem Geld, das ein Bürgergeldbezieher nicht antasten muss – wird es künftig restriktiver zugehen. Wer nach einem halben Jahr im Bürgergeld noch keinen Job hat, muss ans eigene Vermögen ran.

Zurzeit sind diese Mittel ein Jahr lang geschützt. Das heißt, der Staat überweist Menschen Geld, selbst wenn diese mehrere zehntausend Euro auf dem Konto haben.

Ursprünglich hatte die Ampel das Vermögen zwei Jahre lang „schonen“ wollen – zu Lasten der Allgemeinheit. Auch wollte die Ampel einer vierköpfigen Bürgergeld-Familie 150.000 Euro auf der „hohen Kante“ zugestehen. Die CDU/CSU setzte Ende 2022 im Vermittlungsausschuss jedoch eine Reduzierung auf 85.000 Euro durch.

Der "Geist des Bürgergeldes" ist dahin, Herr Heil

Vor nicht einmal zwei Jahren, im November 2022, lobte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Bundestag das Bürgergeld in höchsten Tönen: „Der Geist des Bürgergelds ist nicht der, dass wir alle Menschen, die langzeitarbeitslos sind, unter Verdacht stellen, zu faul zu sein, zu arbeiten. (…) Der Geist des Bürgergelds ist der der Solidarität, des Zutrauens, der Ermutigung.“

Das klang gut. Doch würden alle Leistungsempfänger das Zutrauen der Ampel-Politiker rechtfertigen oder das Gesetz als Ermutigung zur Arbeitsaufnahme verstehen, gäbe es keinen Reparaturbedarf.

Vor allem aber gäbe es heute weniger Bürgergeld-Bezieher, weil viele von ihnen sich intensiv um Arbeit bemüht oder zumindest eine Ausbildung beendet hätten.