Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Scholz keilt gegen Medien und offenbart dabei seine schiefe Eigenwahrnehmung

Scholz über Scholz: «Ich bin Läufer und habe eine gute Kondition.» (Archivbild)<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Scholz über Scholz: «Ich bin Läufer und habe eine gute Kondition.» (Archivbild)Kay Nietfeld/dpa

Eines muss man dem Bundeskanzler zugestehen: Olaf Scholz (SPD) ist viel häufiger im Fernsehen zu sehen als seine Vorgängerin, er steht viel häufiger Bürgern Rede und Antwort, er gibt viel häufiger ausführliche Interviews als Angela Merkel (CDU).

Dass der Regierungschef dabei häufiger eher wie ein Oberbuchhalter und weniger wie ein tatkräftiger politischer Gestalter wirkt, steht auf einem anderen Blatt. Bei seinen Auftritten wirkt Scholz im Vergleich zu seinen Vorgängern Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder ziemlich kraftlos.

Wie auch immer: Scholz hat zurzeit zwei zentrale Botschaften im Angebot. Erstens: Diese Regierung macht einen guten Job und bringt das Land voran. Zweitens: Leider vernebelt der „Pulverdampf“ der ständigen Ampel-Streitereien den Blick auf tolle Bilanz von Rot-Grün-Gelb.

Scholzsche Medienschelte: „Machen hier keine neue Folge von ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘“

Da klingt bei Scholz stets die Unterstellung mit, die Bürger seien halt nicht in der Lage, seine hohe Regierungskunst zu erkennen und entsprechend zu würdigen. Mit anderen Worten: Der „mündige“ Wähler ist einfach ein bisschen doof.

In einem Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ hat Scholz jetzt einen weiteren Schuldigen ausgemacht, der verhindert, dass die SPD und die anderen Ampel-Partner bei Wahlen und in Umfragen besser abschneiden: die Medien.

Die Scholzsche Medienschelte lautet so: „Mich ärgert es, wenn die Betrachtung von Politik sich auf den Theaterdonner, der bei der Durchsetzung jeder entschiedenen Reform zu hören ist, konzentriert und bei der Berichterstattung die Inhalte kaum eine Rolle spielen.“

Einmal in Rage, legte der Kanzler noch einen drauf: Die Bürgerinnen und Bürger erführen von politischen Diskussionen zu selten, worum es wirklich geht. „Zu oft wird nur berichtet: Wer tritt wie auf? Wer benimmt sich daneben? Wer sieht hübsch aus oder formuliert besonders clever? Wir machen hier aber keine neue Folge von ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ – es geht doch um Politik.“

„Schlechte Zeiten, schlechte Zukunftsaussichten“

Nun ja. Wenn man beispielsweise die wirtschaftspolitische Lage nach drei Jahren Ampel-Regierung betrachtet, wäre der Titel „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ wohl so zu verstehen, dass die guten Zeiten vorbei sind. Da wäre die Überschrift „Schlechte Zeiten, schlechte Zukunftsaussichten“ eher angebracht.

Nun ist es das gute Recht eines jeden Politikers, die Medien zu kritisieren, warum auch nicht. Dabei gilt gerade für Journalisten: Wer austeilt, muss auch einstecken können.

Doch fragt man sich bei dieser Medienkritik des Kanzlers, wo Olaf Scholz eigentlich lebt. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatten die Bürger so viele Möglichkeiten, sich politisch zu informieren wie heute.

Man mag ja zu den öffentlich-rechtlichen Sendern stehen wie mal will: Ihr Informationsangebot ist umfassender denn je, im Hörfunk wie im Fernsehen und nicht zuletzt mit unzähligen digitalen Angeboten.

Das gilt ebenso für die Print-Medien. Zwar greifen immer weniger Menschen zur gedruckten Zeitung. Dafür bieten die Medienhäuser online ungleich mehr News an, als bisher auf Papier passte.

Nicht zuletzt kann, wer will, sich mit Hilfe von zahlreichen Podcasts und anderen Internet-Angeboten umfassend über Politik informieren. Wer da – wie Scholz – meint, die Bürger „erfahren von politischen Diskussionen zu selten, worum es wirklich geht“, lebt wohl in seiner eigenen Welt.

Olaf Scholz ist sehr von sich und seinen politischen Leistungen überzeugt

Womit wir beim Kern des Problems sind: Olaf Scholz ist so sehr von sich und seinen politischen Leistungen überzeugt, dass er gar nicht verstehen kann, dass andere das nicht sind. Dass der ständige Streit in der Ampel die Bürger mehr beschäftigt, als SPD, Grünen und FDP lieb sein kann, gibt er immerhin noch zu.

Ansonsten sind aus seiner Sicht andere daran schuld, dass noch nie ein Kanzler und noch nie eine Kanzlerpartei in Umfragen so schlecht abgeschnitten haben wie Scholz und die SPD. Oder dass Rechtsextremisten in Umfragen wie bei Wahlen noch nie so viel Zustimmung bekommen haben wie in den drei Ampel-Jahren.

Es ist ja richtig, dass manche Leistungen der Ampel längst vergessen sind, wie beispielsweise die Sicherstellung der Energieversorgung nach Ausbleiben der russischen Öl- und Gaslieferungen. Auch hat die Regierung Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt oder die überfällige Sanierung der Bahn eingeleitet.

Nichts treibt die Menschen so um wie die illegale Migration

Doch laut aktuellem Politbarometer beschäftigen diese drei Themen die Menschen am meisten: Flüchtlinge (45 Prozent), AfD (15 Prozent), Wirtschaftslage (14 Prozent). Dabei liegt auf der Hand, dass die AfD von der illegalen Zuwanderung profitiert, was wiederum die Sorge vor einem weiteren Erstarken der Rechtsextremisten vergrößert.

Obwohl Scholz das alles nicht wahrhaben will: Wer behauptet, er könne Führung auf Bestellung liefern, müsste halt in der Lage sein, den Kampf „jeder gegen jeden“ in der Koalition zu beenden.

Ebenso sollte der Regierungschef endlich wahrnehmen, dass nichts die Menschen so umtreibt wie die illegale Migration. Die Zahl der Abschiebungen ist – von sehr niedrigem Niveau aus – angestiegen. Solange aber Tag für Tag mehr Menschen zu uns kommen, als abgeschoben werden, liefert die Ampel nicht, was die Bürger erwarten.

Ob Scholz die eigenen Arbeit wirklich so positiv einschätzt, wie er vorgibt? Ob er wirklich meint, die Menschen könnten nicht unterscheiden zwischen den Ergebnissen der Regierungspolitik und den sie bisweilen begleitenden störenden Nebengeräuschen? Ob er wirklich glaubt, die Medien versagten bei ihrer ureigenen Aufgabe, nämlich der Berichterstattung und Kommentierung des politischen Geschehens?

Irgendwie erinnert Scholz zunehmend an einen Geisterfahrer, der felsenfest davon überzeugt ist, ihm kämen hunderte Geisterfahrer entgegen. Und der zudem meint, die Medien berichteten nicht zutreffend, wer in die falsche Richtung unterwegs ist und wer in die richtige.