Kommentar von Humorspezialistin Eva Ullmann - Natürlich geht ein humorvoller Umgang mit Behinderung

Das Internet zerreißt sich im Moment vor lauter Empörung über Luke Mockridge, der sich über die Paralympics lustig gemacht hat.<span class="copyright">Redferns/Justin Sammer</span>
Das Internet zerreißt sich im Moment vor lauter Empörung über Luke Mockridge, der sich über die Paralympics lustig gemacht hat.Redferns/Justin Sammer

Das Internet zerreißt sich im Moment vor lauter Empörung über Luke Mockridge - den Comedian, der sich über Paralympics und Behinderung lustig gemacht hat. Humorexpertin Eva Ullmann geht der Frage nach, ob und wie ein humorvoller Umgang mit Behinderung möglich ist.

Humor wird nie aussterben. Also lasst ihn uns für die Zukunft füllen. Denn unser Humor steckt in einem echten Wachstumsschmerz: er verändert sich. Und das ist gut so. Lasst uns nur nicht bei der bloßen Empörung stecken bleiben. Das wäre doch ziemlich langweilig.

Der contergangeschädigte Tenor Thomas Quasthoff verstand gerne Dinge absichtlich falsch, wenn er formuliert: „In Deutschland leben 80 Millionen Behinderte. Ich habe das Glück, dass man es mir ansieht.“ Großartiger Humor, der zu viel Mitleid definitiv vom Platz wischt. Quasthoff nutze Humor und Leichtigkeit oft, um seine Beeinträchtigung für Menschen leichter zu machen: wenn er mit einem Ensemble an den Bühnenrand eilte, waren seine Beine oft zu kurz zum rennen. Das Ensemble nahm keine Rücksicht darauf. Er übertrieb oft dieses „nicht schneller rennen können“.

Der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen hat in einem gemeinsamen Podcast von diesem Humor über Behinderung die Nase total voll. Er fordert endlich Humor, der nicht die Behinderung zum Gegenstand des Lachens macht. Ich stimme ihm zu, wenn wir ein neues Miteinander fordern. Ich stimme ihm nicht zu, wenn es darum geht in Zukunft total auf aggressiven Humor zu verzichten. Das wir weniger Unsicherheit im Umgang mit Beeinträchtigung benötigen? Ja, auf jeden Fall! Immer noch. Immer wieder neu. Aber das wird sich nicht über das Verbot von Humor entwickeln. Sondern nur, in dem wir neue Ideen von Humor entwickeln, die liebevoll, zugewandt und nicht nur beschämend sind. Wir müssen die Humortür weiter aufmachen.

Wenn man das Wort „MS“ im Wörterbuch nachschlägt, findet man sowohl den Begriff Multiple Sklerose als auch den Begriff Motorschiff. Das animierte Philipp Hubbe, einen in Mitteldeutschland sehr bekannten politischen Comiczeichner, der selber an Multipler Sklerose erkrankt ist, zu folgendem Comic: Man sieht vier Schiffe nebeneinander und an fünfter Stelle steht ein Mann in einem Rollstuhl. Unter jedem Schiff steht ein Name: MS Hamburg, MS München, MS Honkong – und unter dem Mann steht MS Rainer. Auch hier ist die Behinderung der Gegenstand des Witzes.

Mir zeigt die Empörung über diese Form von Humor vor allem eins: viele Menschen wünschen sich Normalität mit einer Beeinträchtigung. So weit. So wertvoll. Weniger Humor über Behinderung heißt für sie automatisch: weniger Diskriminierung - und Solidarisierung mit einer Person, die häufiger benachteiligt wird als andere.

Die komplette Abschaffung des Lachens würde zu einer traurigen Humorlosigkeit unserer Gesellschafft führen. Also welchen Humor wollen wir?

Mit dem Humor ist es recht einfach. Humor kann einerseits eine Sache, einen Menschen und einen Moment zum Helden machen: Der Soziale Humor. Sozialer Humor öffnet Türen. Er deeskaliert. Er inkludiert. Er hebt Sozialen Status und Unterschiede für einen Moment auf. Er schafft Gemeinschaft.

Oder man zieht alles und jeden durch den Kakao. Sogenannter selbstabwertender oder aggressiver Humor nimmt auf die Schippe, senkt den Status, zieht durch den Kakao.

Der Begriff Umdeutung (im Englischen: Reframing) oder auch Neurahmung entstammt der Systemischen Familientherapie und wird auf Virginia Satir zurückgeführt. Auch in der Hypnotherapie von Milton Erikson, dem NLP und der Provokativen Therapie hat das Reframing einen hohen Stellenwert. Durch Umdeutung gibt man einer Situation eine andere Bedeutung bzw. einen anderen Sinn. Man versucht die Situation in einem anderen Kontext oder „Rahmen“ zu betrachten. Ein Rahmen ist auch eine eingeschränkte Sicht der Situation. Verlässt man den Rahmen, verändert sich auch die Sicht auf die Dinge.

Ziel einer Umdeutung ist es, den Beteiligten der Situation einen leichteren Umgang mit dieser zu ermöglichen. Umdeutungen verwendet man nicht nur in therapeutischer Umgebung. Aber diese Technik kommt aus den helfenden Berufen, nicht aber aus dem Kabarett – wie zum Beispiel die Inkongruenzen. Umdeutungen im humorvollen Sinne bedeuten nicht nur, den Rahmen der Situation zu wechseln, sondern sogar einen amüsanteren Rahmen zu sehen als vorher. Es fragt Sie jemand: „Ist Ihr Haus kindersicher ?“ Sie antworten: „Nein zwei haben es doch reingeschafft“.

2020 können Sie als Führungskraft kommentieren mit: Rückblickend hat wohl 2015 niemand die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ richtig beantwortet.

Nach der Ausgangsbeschränkung durch Covid-19 war alles geschlossen. Inzwischen auch die Spielplätze. In unserem Trainerteam viele mit kleinen Kindern, alle jammerten im Online-Meeting und waren genervt. Unsere Kollegin, ihre Tochter war Anfang 20 und studiert in der Nachbarstadt, sagte: „Ich wollte auch gern zum Spielplatz – aber meine Tochter wollte leider nicht.“ Harmloses Lachen. Niemand wird beschämt, es ist einfach nur witzig. Und es ermöglicht Normalität in einer Gesellschaft, die sich schon inklusiv große Schritte vorwärts bewegt hat, aber in der es eben auch noch zahlreiche Unsicherheiten gibt. Vielleicht schafft Comedy neben allem Zynismus auch einfach mal ab und zu nur lustig zu sein: ohne zu beschämen. Das würde unserer aktuellen Dünnhäutigkeit sehr gut tun.

Ein humorvoller Umgang mit Unsicherheit

Ein guter Freund von mir, ein spastisch gelähmter Mann, heißt Roland. Das mit der spastischen Lähmung wäre absolut nicht erwähnenswert, wenn nicht Unsicherheiten wie folgende täglich passieren: Wir zeigen in Berlin unsere Tickets in einem kleinen Museum vor. Die Dame am Empfang schaut nur mich an und erklärt mir die Spielregeln. Ich schaue zu Roland. Dann schaut sie auch ihn an. Um mir dann in dritter Person zu sagen: wenn es „ihm“ zu hell oder zu laut wird, mögen wir wieder rauskommen.

Ich grinse Roland an uns sage übertrieben deutlich zu ihm: diesem Mann wird so schnell nix zu laut. Er hat mehr von der Welt gesehen als Sie und ich junge Frau - richtig Roland? Das mache ich nicht für ihn, sondern für die Lady an der Kasse. Er lacht entspannt. Nach wenigen Minuten spricht die Dame am Empfang mit ihm „normal“.

Es ist eine Situation, die uns oft passiert. Und die wir auch sehr locker nehmen können. Und: auch wenn es schon viel besser geworden ist. Eine Beeinträchtigung sorgt immer noch für Unsicherheit, ob man einen Menschen ansprechen soll. Ich nutze die Übertreibung, das Heldenhaft, das übertrieben Normale, um Unsicherheit hier aufzulösen. Tatsächlich verzichte ich hier erst mal auf aggressiven Humor auf Kosten der Spastik. Aber auch auf aggressiven Humor gegenüber der verunsicherten Dame. Ich will sie öffnen und nicht vorführen.

Empörung reicht nicht: Wie wir Humor inklusiver gestalten können

Diese Empörung über den Humor von Luke Mockridge ist für mich eine Empörung, die ausdrückt: lasst uns doch mehr erwarten. Egal ob Spastik, Downsyndrom oder Sehbeeinträchtigung: die Behinderung und Unkreativität kommt durch die Zuschreibung der Laufenden, Nicht-Downsydrom-Habenden und Sehenden. Und es ist mir grade egal wie wir das alles nennen. Nicht durch den Rollstuhl oder das Chromosom wird man behindert, sondern durch unseren Umgang damit. Lassen Sie uns doch jedem Menschen erst mal alles zutrauen. Das ist gut und diese Empörung erleben wir auch bei Humor über Frauen, Homosexualität und viele Formen der Diskriminierung. Top!

Ungeschickt ist die derzeitige Empörung aus meiner Sicht deshalb, weil wir statt uns nur zu empören doch auch experimentieren könnten: welche Formen von Humor wollen wir ? Welcher Humor ist den inklusiv und nicht diskriminierend? Dann kann sich der Humor auch entsprechend transformieren.

Roland habe ich vor fast 30 Jahren kennengelernt. Roland hat eine spastische Lähmung, seit seiner Geburt. Er kann weder alleine essen noch trinken. Er hat sich ein Leben mit 24 Stunden Assistenz aufgebaut, hat ein Unternehmen gegründet und führt Angestellte. Darüber hinaus ist er schon überall in die Welt gereist, hat mehr technische Innovation eingefordert als manche Erfinderwerkstatt und zahlreiche Kunstprojekte ins Leben gerufen.

Für uns waren und sind viele Momente alle Facetten von Humor. Wir lachen über seine Spastik, über mein Chaos. Wir machen dreckige Witze über keine Arme und keine Kekse. Er macht sich lustig über mich, meine Person, meine Gangart, meine Sprache, als „Normale“, der man keine Behinderung ansieht. Aber was ist denn schon normal. 80 Millionen Behinderte, Sie erinnern sich. Also können wir doch auch gleich auf das Wort Behinderung verzichten. Und dafür sorgen, dass alle bei der Party dabei sind.

Inklusion ist die Party. Ich möchte keine Form von Humor mit ihm missen. Diesen Mann trage ich auch humorvoll weiterhin auf Händen und das meine ich nicht nur physisch. Aber wir werden uns auch weiterhin durch den Kakao ziehen. Das setzt nur Augenhöhe voraus. Und hier sind wir sehr klar und voller Würde. Füreinander und für die Gesellschaft, in der wir leben wollen.