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Kommentar: Hups, das Virus ist noch da

Langsam öffnen die Schwimmbäder in Deutschland. (Bild: Getty Images)
Langsam öffnen die Schwimmbäder in Deutschland. (Bild: Getty Images)

Der Überbietungswettbewerb bei Lockerungen beginnt. Dabei kennt unsere Disziplin Grenzen – die nächsten Tage werden riskanter, als viele denken.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es war schon eine echte Breaking News, welche die niedersächsische Gesundheitsministerin Carola Reimann verkündete: Das Virus, stellte sie fest, „ist noch da“.

Ach nee. Wirklich? Zwischenzeitlich war man verführt zu glauben, es hätte sich irgendwo versteckt. Während Kitas und Schulen noch auf Notbetrieb geschaltet sind, die Schüler nicht richtig zum Lernen kommen und die Eltern im Home Office verzweifeln, ist draußen die Straße voll und „Social Distancing“ ein Märchen aus weit zurückliegender Vergangenheit.

Gegen Party ist ja nichts einzuwenden, bei Wahrung einer gewissen Disziplin ist einiges an öffentlichem Amüsement möglich – aber es ist beeindruckend, wie viele Mitbürger sich so wenig darum scheren.

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Wir mögen uns rühmen, dass es mit der Vermeidung von Covid-19 bisher im Ländervergleich gut geklappt hat – eindeutig lag dies aber an der von oben verordneten allgemeinen Einschränkung. Jetzt, wo nicht mehr so penibel hingeschaut wird, lässt man reichlich Vorsicht fahren.

Und nun ist ein Bundesland vorgeprescht. In Thüringen meint man, dass das Virus vor den Landesgrenzen Halt machen werde, jedenfalls hat Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken angekündigt, dass ab Anfang Juni die allgemeinen Beschränkungen fallen würden. Das heißt: „Von Ver- und Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten." In Thüringen wird nur noch empfohlen – aber kein genereller Mindestabstand und keine Maskenpflicht mehr eingefordert.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. (Bild: Maja Hitij/Getty Images)
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. (Bild: Maja Hitij/Getty Images)

Auch mal populistisch sein

Genauso stelle ich mir das Verfahren bei der Bekämpfung der Pandemie vor: Wenn die Verbreitung des Virus so weit zurückgedrängt worden ist, dass alles sich spürbar lockert. Aber sind wir soweit? Ist es schon in Thüringen an der Zeit?

Und warum dort und nicht in Niedersachsen oder Baden-Württemberg? Aus epidemiologischer Sicht macht dieser Schritt keinen Sinn. Er ist falsch.

Nun zeigen sich die Tücken des Föderalismus. Zwar macht es Sinn, Antworten auf die Virusverbreitung regional zu formulieren – nicht überall sind die Zustände gleich. Aber Thüringen ist ein großes Land, dort ist auch nicht überall alles gleich. Im jetzigen Stadium der Pandemie wäre es ratsam, wenn die Bundesländer koordinierter und einheitlicher aufträten.

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Doch womöglich folgt Ramelow einem Motiv, das mehr in der Politikstrategie als in der Gesundheitswissenschaft zuhause ist. Bisher war der Linken-Politiker nicht als Öffnungsheißsporn aufgefallen, er war kein Armin Laschet. Doch nun gibt es einen Sinneswandel, den Zahlen nicht erklären. Was dann?

Politik aus Angst vor der AfD?

Der Ministerpräsident wird gemerkt haben, dass die größte Oppositionspartei sich anschickt, ein Coronathema gegen die Landesregierung zu schleifen: Die AfD versucht zusehends, Sprachrohr der Lockerungsdemonstranten zu werden. Dass Ramelow den Rechtspopulisten mit seinem Move den Wind aus den Segeln nimmt, ist politisch gesehen clever. Ob dies aus gesundheitlicher Perspektive auch so ist, bleibt zu bezweifeln.

Ramelow ist also auch ein bisschen Populist.

Wollen wir das alles wirklich? Warum kümmern wir uns nicht erst darum, dass Kitas, Schulen, Betriebe und Geschäfte vollends zum Normalleben zurückkehren, warum lassen wir pseudoliberalen Individualismus fröhlichen Urstand feiern?

Schweden wurde in der Vergangenheit als Vorbild erwähnt – dort setzt man auf Freiwilligkeit und Einsicht. Doch die Fallzahlen und die Toten sind nichts, was man sich hier wirklich wünscht. Oder doch?

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