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Kommentar: Ist die SPD muslimisch unterwandert?

Former German central bank executive and author Thilo Sarrazin listens during a discussion event on migration in Vienna, Austria, October 6, 2015.  REUTERS/Heinz-Peter Bader
Trauert seiner SPD hinterher. Angeblich. (Bild: REUTERS/Heinz-Peter Bader)

Thilo Sarrazin spekuliert über den Zustand der SPD. Ein Spiegel täte ihm dabei gut.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine Lovestory wird es nicht mehr geben zwischen Thilo Sarrazin und seiner Partei. Ginge es hier um eine Ehe, sähe sie so aus: Sarrazin ist der Polterer, der in seiner eigenen Sicht ein paar Mal doll auf den Tisch haut und Wahrheiten loslässt, zumindest was er dafürhält. Und die SPD ist die Partnerin, die zuerst pikiert schweigt, ihren Mann zunehmend peinlich findet, weniger mit ihm redet und dann sich trennen will. Nichts Gemeinsames ist mehr da. Nur will der Mann das nicht wahrhaben, der alte Sturkopf.

Natürlich ist Sarrazin an all dem Beziehungsschlamassel völlig unschuldig. Denn, wie er jetzt in einem Interview mit „Tichys Einblick“ sagte: „Ich habe mich nicht geändert, die Partei hat sich geändert.“

Das ist hinreichend einfach gestrickt. Abgesehen davon, dass Stillstand in der Persönlichkeitsentwicklung nicht automatisch ein Güteausweis ist, bleibt es immer eine billige Nummer, dem sich abzeichnenden Ex-Partner sämtlichen Mist in die Schuhe zu schieben.

Jedenfalls meint Sarrazin, dass sich seine Partei, die ihn nun loswerden will, ganz anders drauf sei als früher: Sie habe sich „aus der Mitte der Gesellschaft zurückgezogen“. Und: „Sie wird geführt von Leuten, die nicht das breite Spektrum vertreten und sie ist in Gefahr, ihre Eigenschaft als Volkspartei der linken Mitte zu verlieren.“

Da ist schon was dran. Nur ist schwer auszumachen, was das „breite Spektrum“ überhaupt ist. Die AfD zum Beispiel, die ja kräftig um Sarrazin buhlt, behauptet umso ruheloser, sie vertrete den Volkswillen, ja „wir sind das Volk“ – was, ganz unabhängig von jeglicher politischer Meinung, bestenfalls Wunschdenken geschuldet ist und überhaupt nicht stimmt. Auch scheint die Zeit der Volksparteien gerade vorbei zu sein, zumindest vorübergehend. Das mag schwer für Leute zu verkraften sein, die von sich als Volkstribunen träumen, ändert aber nichts am Befund.

Sarrazin scheint jedenfalls sauer zu sein. Denn er legt noch eine Schippe drauf.

Jetzt schnappt er über

Denn seine Analyse der Sozialdemokraten von heute liest sich so: „Die gegenwärtige SPD-Führung ist offenbar teilweise in den Händen fundamental orientierter Muslime, die eine kritische Diskussion des Islam in Deutschland grundsätzlich verhindern wollen.“

Hm. Zuerst dachte ich, ich hätte mich verlesen. Von Sarrazin war man einige Dummheiten gewohnt, aber diese Aussage könnte nur aus der Comedyecke kommen, wollte man sie wörtlich nehmen.

Sarrazin orakelt. Bleibt unscharf und nicht konkret. Wo sind die Muslime, welche irgendeinen Einfluss in der SPD-Führung haben? Es gibt sie nicht. Sarrazin wehrt sich gegen den Vorwurf ein Rassist zu sein, aber mit seinem Verschwörungskram beleidigt er die wenigen Hansels und Gretels in der SPD, die zufällig Muslime sind, dichtet ihnen einen Einfluss an, den sie nicht haben und zieht damit eine rassistische Karte, weil gaaanz zufällig jene Typen aus Familien kommen, die vor kurzem nach Deutschland einwanderten; muslimische Konvertiten gibt es halt sehr wenige. Und dann auch noch fundamental orientiert! Eiderdaus. Es liest sich wie aus den Protokollen der Weisen von Westend.

Sarrazin deliriert also. Oder er lästert bewusst. Beides ist für einen Mann seines Alters und seiner Erfahrung keine Zierde.

Als angeblichen Beleg dafür, dass er für den Ehekrach nun keine Verantwortung trage, bietet Sarrazin Zeugen auf. Allein dies ist bezeichnend: Für seine angebliche „Islamkritik“ zieht er Tilman Nagel heran, einen anerkannten Professor der Islamwissenschaft – der mit seiner Einschätzung der Sarrazinschen Äußerungen zum Islam an und für sich in seiner akademischen Zunft ABSOLUT alleine steht. Aber ich vergaß: Die anderen Islamwissenschaftler sind natürlich

a) zu ängstlich oder

b) zu wenig kenntnisreich.

Sarrazin steht jedenfalls mit seinem Nagel allein da. Und dann, was die SPD angeht, zitiert er den Neuköllner Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Tja. Den gibt es. Und wen sonst?

Im Aufklärungsmodus

Sarrazin kann sich auch nicht darauf zurückziehen, lediglich eine Art Aufklärung zu betreiben, er versucht es aber: „Die SPD wäre niemals auf die Idee gekommen in den 70er, 80er, 90er oder auch noch frühen 2000er Jahren jemanden wegen eines Buches, welches religionskritisch ist, aus der Partei auszuschließen. Die SPD sei „durch ihre marxistischen Wurzeln eine durchaus religionskritische Partei“. Denn: „Religion ist Opium für das Volk“, habe Karl Marx gesagt. „Ich wäre auch garantiert nicht aus der SPD ausgeschlossen worden, wenn ich ein kritisches Buch nicht über den Islam, sondern über die katholische Kirche geschrieben hätte“, so Sarrazin.

Sollte Sarrazin sich als Religionskritiker ernst nehmen, möge er erstmal in ein paar Bücher schauen. Marx hat niemals gesagt, dass Religion Opium für das Volk sei. Das sagte Lenin. Und wie es mit Lenin ausging, wird Sarrazin womöglich nicht ihn zum Vorbild machen wollen. Marx jedenfalls sagte, Religion sei Opium des Volkes – was keine Haarspalterei, sondern ein großer Unterschied ist. Denn Marx ging es nicht darum die Religion zu kritisieren, sondern die Umstände, die eine Religion hervorbringen. Solange eine Gesellschaft sich unfrei strukturiere, sei eine Religion notwendiges Nebenprodukt, jedenfalls nicht seine Zielscheibe.

Inwiefern Sarrazin in seinen Büchern überhaupt eine echte Religionskritik übt, will ich hier nicht ausbreiten. Ist ein anderes Thema. Ich finde, er verzapft nur rassistischen Mist und zeigt sich ansonsten wissensfremd gegenüber „dem“ Islam.

Aber es gibt ja noch Hoffnung. Sarrazin will keine Trennung. Er will in der SPD bleiben. Sollte es ihm wirklich ein Herzensanliegen sein, könnte er ja endlich, ja ENDLICH sich fragen, was er in dieser Beziehung falsch gemacht haben könnte.