Werbung

Kommentar: Ist Jens Lehmann ein Opfer von Cancel Culture?

Nationaltorwart Jens Lehmann bei einem Spiel im Jahr 2007. Heute sorgt er für andere Schlagzeilen (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Nationaltorwart Jens Lehmann bei einem Spiel im Jahr 2007. Heute sorgt er für andere Schlagzeilen (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Der Ex-Fußballnationaltorhüter tippt sich ins Abseits. Sind die Konsequenzen für seine WhatsApp-Nachricht zu hart?

Ein Kommentar von Jan Rübel

„Mad Jens“ hieß Jens Lehmann bei Arsenal London. Man hatte sich ja daran gewöhnt, dass der ehemalige Startorhüter bei seinen Wortmeldungen öfters mal daneben lag. Seine tollen Leistungen ließen seinen Größenwahn halt nicht in einem absolut krassen Licht erscheinen.

Nun aber hat Lehmann ein Eigentor geschossen, das nachwirken wird. Er schrieb eine Nachricht auf WhatsApp: „Ist Dennis eigentlich euer Quotenschwarzer?“, wahrscheinlich an einen Mitarbeiter des Fernsehsenders Sky, der Dennis Aogo, den vermeintlichen Quotenmann, als Experte engagiert hatte. Dummerweise schickte er seinen Sermon auch an Aogo, aus welchen Gründen auch immer.

Nun gibt es harsche Reaktionen, denn Aogo machte die Nachricht öffentlich. Lehmann fliegt aus dem Aufsichtsrat von Hertha BSC, ein Fernsehsender nach dem anderen will ihn als Experten nicht mehr zeigen – und zuletzt hat sein alter Fußballverein, der Essener Bezirksligist Heisinger SV, mitgeteilt: „Und nur für den Fall, dass Jens Lehmann das hier wider Erwarten lesen sollte: Auch wenn Du Dich in den letzten 40 Jahren keine dreimal hast sehen lassen und Dir das wahrscheinlich völlig egal ist: Du hast Hausverbot!“

Ist das nun ein Beispiel für diese Cancel Culture, von der ab und zu die Rede ist?

Früher war alles (nicht) anders

Keine Frage: Lehmanns Satz ist rassistisch. Er reduziert Aogo auf dessen Hautfarbe. Würde ein Fernsehsender auf die Idee kommen, Dieter Eilts als Experten zu verpflichten, würde auch keiner fragen, ob der nun der „Quoten-Ostfriese“ sei. Aber die Hautfarbe ist der Joker, der funktioniert beim Bemühen, andere Menschen zu demütigen und kleinzukriegen. Denn anders ist Lehmanns Satz nicht zu verstehen: Schwarz ist da etwas Minderwertiges, in diesem Satz. Ob Lehmann so denkt, ist eine andere Sache, über die hier nicht zu spekulieren ist. Man muss halt kein Rassist sein, um Rassistisches zu sagen.

Lesen Sie auch: "Wir brauchen mehr Zivilcourage": Schwarze Fußballer beklagen Rassismus

Oder in diesem Fall gar schreiben: Lehmann wird gedacht haben, solch ein Wort könne er ungestraft verwenden. Warum? Er könnte sich jetzt ehrlich machen und eine Antwort darauf zu finden versuchen. Er könnte versuchen sich vorzustellen, wie ein Leben in Deutschland ist, wenn man von jedem zweiten Honk an die eigene Hautfarbe erinnert wird, und zwar ausschließlich mit dem Motiv runtergemacht zu werden.

Eine Cancel Culture ist dies alles aber nicht. Zum einen wird Lehmann nicht der Mund verboten. Im Gegenteil, die Medien werden sich jetzt darum reißen, ihn interviewen zu dürfen. Und dass ein Aufsichtsrat oder ein Sender vorerst keine Lust darauf verspürt, sich mit Lehmann zu schmücken, ist nicht nur deren Recht, sondern auch nachvollziehbar: Wenn Lehmann sein Ansehen selbst beschmutzt, kann niemand anderes als er selbst dafür verantwortlich gemacht werden. Eine Petitesse ist sein Quotentalk nicht. Er ist mies.

Und in unserer Zeit wirkt solch ein mieser Kram beschleunigt. In den Sozialen Medien gruppiert sich SEHR viel um Like und Dislike, oft geht es um Top oder Flopp, um Pro oder Kontra, meist prallen Meinungen aufeinander. Heute verhält man sich halt schneller und gibt Urteile – und in den digitalen Echokammern nimmt dies viel mehr seinen Lauf, findet seine Verbreitung. Aber mit Cancel Culture hat diese virtuelle Kneipe nichts zu tun.

Eine Sackgasse sieht anders aus

Cancel Culture würde bedeuten, dass Lehmann langfristig in eine soziale Ächtung manövriert wird, ohne eine Chance, da wieder rauszukommen. Cancel Culture würde bedeuten, dass er für ewig einen Stempel trüge. Und dass niemand ihm zuhören würde. Nichts von alledem ist der Fall.

Denn Lehmann hat die Fäden, wie über ihn gedacht und gesprochen wird, selbst in der Hand. Natürlich wird er eine zweite und auch eine dritte Chance erhalten – auch wenn er in seinem Leben durch sein Auftreten nicht unbedingt ein Sunnyboydasein mit lauter Sympathiepunkten fristete.

Aber es liegt an Lehmann, sich nun mit dem auseinanderzusetzen, was er schrieb. Rassismus ist alltäglich. Sowas kommt nicht vom Mars. Er hat nun eine echte Chance, dem bei sich auf den Grund zu gehen. Und wenn er in seiner Seele es blöd findet, wenn Leute wegen ihrer Biografien oder anderer Hintergründe an sich schlecht behandelt werden – dann kann er nun loslegen und dies zeigen. Da würden eine Menge Leute ihm zuhören. Von wegen Cancel Culture.

Im Video: Dennis Aogos bemerkenswertes Statement zu Jens Lehmann