Kommentar: Jetzt geht es um Auto gegen Mensch
Verkehrsplaner reagieren auf die immer größeren Autos: Sie wollen den Parkraum vergrößern. Was logisch klingt, ist in Wirklichkeit eine Kampfansage.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Stellt Euch vor, jemand kommt vorbei und sagt: Von deinem Wohnzimmer schneide ich jetzt was ab. Es wird gebraucht, und zwar für die Rasenmäher der Nachbarn. Würde man nicht toll finden, oder?
Tatsächlich wird solch ein vergleichbares Manöver vorbereitet. Denn ein Wohnzimmer, das ist auch der öffentliche Raum. Wir alle bewegen uns in ihm, leben dort. Mancher liest vielleicht diesen Text in ihm, dann wird die Parkbank zur Couch. Aber nun gibt es ein Problem.
Die Verkehrswissenschaft muss auf einen lang anhaltenden Trend reagieren. Die Autos in Deutschland werden immer größer und beanspruchen entsprechend mehr Platz. Was soll man machen, wenn 41 Prozent aller im Jahr 2022 zugelassenen Neuwagen SUV oder Geländewagen sind? Es ist eine Zahl, die ich dreimal lesen musste. Tatsächlich? Sind unsere Straßen so schlecht geworden, dass man für sie Offroad-Qualitäten braucht? Sind wir im deutschen Verkehr in einer Art Krieg, wo zerquetscht wird, wer sich in kleinen Schalen nach draußen wagt? Letzteres stimmt leider für Fahrräder, auf ihnen stirbt man in der Tat schneller. Ansonsten gibt es nach den dicken Dingern auf vier Rädern nur einen irrationalen Bedarf.
Aber dieser hat Folgen. Die bisherigen 2,50 Meter Überholspur reichen oft nicht mehr aus. Auch Parkplätze geraten für fette Teile zu klein. Die Folge: Etwas ragt heraus, gefährdet den Verkehr. Und der Parkraum wird allgemein weniger. Diese Entwicklung wird natürlich noch forciert, weil generell alle Autos größer werden. 1974 war der VW Golf noch 1,61 Meter breit, heute sind es 1,79 Meter. Die Neuwagen entwickeln sich zu Größen, die dann zum Überholen oder Einbiegen Maße benötigen, wie einst den Lkw zugedacht.
Woher nehmen und dann stehlen?
Die Verkehrsplaner denken nun, der nötige Mehrplatz muss ja her. Momentan kalkulieren sie mit größeren Parkhäusern. Aber mittelfristig wird auch der Parkraum mehr für sich rausschneiden, und auch die Straßen werden nach mehr verlangen, wenn – ja, da sind wir dann bei unserem Wohnzimmer. Wollen wir das den Autos geben? Eigentlich sollte es in eine andere Richtung gehen.
Autos fressen Ressourcen, Energie. Auch wenn alles gen Elektro geht, muss sich der Autoverkehr um 30 Prozent reduzieren, um die Klimaschutzziele, die ein absolutes must sind, einzuhalten. Man kann auch gegensteuern: Kleine Fahrzeuge, mehr Sharing, mehr ÖPNV. Fahrrad. Einfach flexibler werden. Schauen wir uns doch den Verkehr an: So viele Autos, in denen nur ein Mensch sitzt. Und dann werden sie immer größer? Ich meine die Wagen, nicht die Menschen – klar, rein evolutionär erreicht der Mensch strukturell immer mehr Zentimeter, aber den SUV-Standard rechtfertigt das nun auch nicht wirklich.
Nur mal so gedacht
Warum sollten wir eigentlich unseren öffentlichen Raum dafür hergeben? Besetzen Autos nicht schon jetzt zu viel? Wie sähen unsere Städte aus, wenn mehr Straßen stillgelegt wären? Es wäre eine Reconquista. Ein einziges Aufatmen. Für alle. Auch für Autofahrer. Daher sollte jetzt umgesteuert werden.
Von wegen mehr Zentimeter für Parkraum. Straßen kleiner, Bürgersteige größer, Fahrradstreifen allerorten, mehr Grün. Davon hätten wir alle eine Menge. Denn dieser Trend gen SUV und Geländewagen kann umgedreht werden. Dieses diffuse Sicherheitsgefühl – wie lächerlich ist das denn? Die Hersteller bauen sie wie wild, weil sie pro Auto damit mehr Gewinn zeitigen. Aber: Es geht auch anders. Träumen wir von leiseren Städten, besserer Luft, mehr Freiraum. Da ist doch klar, was zu tun ist.
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