Kommentar: Joachim Gauck hat ein komisches Verhältnis zur Toleranz

German President Joachim Gauck listens during a news conference in Riga, Latvia February 9, 2017.  REUTERS/Ints Kalnins
Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Pressekonferenz im Jahr 2017 (Bild: REUTERS)

Der Altpräsident plädiert für mehr Toleranz. Find ich dufte. Ist man ja auch gegenüber ihm.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Da hat sich Joachim Gauck etwas Raffiniertes ausgedacht. Immerhin beansprucht er für sich einen üppigeren Apparat samt Ausstattung als seine Vorgänger – da muss beim Altpräsidenten ja auch Besinnliches herumkommen.

Also gab er ein Interview. Das tun Altpräsidenten, wenn sie denken uns Bürgern einen kleinen Schubs geben zu müssen. Dem „Spiegel“ diktierte Gauck aufs Band, dass er sich für eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ ausspreche. Toleranz fordere, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel am liebsten hinauszudrängen“.

Eiderdaus. Auf den ersten Blick las ich eine klare Sprache, eine Binsenweisheit. Doch je öfter ich diese Worte lesen, desto verklauselierter und verhuschter erscheinen sie mir. Oder mal etwas fies: Gauck beweist auch im Nachhinein, warum er ein schlechter Bundespräsident gewesen war.

Was meint er konkret? Womöglich dies: Wir haben nicht genügend Toleranz. Die soll erweitert werden auf jene, die Demokraten sind, und die dennoch aus dem demokratischen Meinungsbildungsprozess herausgehalten werden. Stimmt das denn?

Von Schwer- und von Leichtgewichten

Gauck redet Quatsch. „Schwer konservativ“ ist ein schwammiger Begriff. Entweder man ist konservativ in der politischen Grundhaltung oder nicht. Ist man es, kann man ein sehr leidenschaftlicher Demokrat sein – obwohl der Blick auf die deutsche Geschichte schon ausgehalten werden muss, der dokumentiert, dass „schwer“ Konservative zur Kaiserzeit die demokratischen Aufbrüche „schwer“ bekämpften, und dass sie auch in der demokratischen Weimarer Republik gegen Freiheitsrechte und Selbstbestimmung angingen. Schwer Konservative ebneten, mindestens durch ihre Passivität, Adolf Hitler den Weg. Aber das ist Vergangenheit, und man lernt hinzu.

Gauck betreibt indes einen Etikettenhandel. Wenn eine Position die Grenzen der Toleranz verlässt, dann handelt es sich niemals um Etiketten wie links oder rechts, konservativ light oder schwer, Antifa oder esoterisch – Gradmesser für die Grenzen der Toleranz sind immer Werte.

Werden Menschen oder wird die Umwelt geschädigt? Liegt eine Feindlichkeit vor, die mehr mit Selbsthass als mit Weltenrettung zu tun hat? Gauck war mal in einem früheren Leben Pfarrer. Es ist erstaunlich, dass er nun nicht von Werten spricht.

Ich glaube, er redet manchen nach dem Mund. Dabei handelt es sich um jene, die beteuern, man könnte heutzutage nicht mehr offen und ehrlich sprechen, da komme dann die Gedankenpolizei von der Abteilung für Politische Korrektheit. Ich halte dieses Gejammer für eine konstruierte Opferhaltung. Da machen sich Leute kleiner, als sie sind. Überall und jederzeit können schwer Konservative ihre Meinungen raushauen.

Auch gibt es kein demokratisches Spiel, wie Gauck sagt. Demokratie ist eine ernsthafte Angelegenheit. Und beim Umgang mit einer Partei, in der es sicherlich schwer Konservative gibt, wie eben die AfD, gibt es immer noch Justierungsbedarf. Da die Partei nicht verboten ist, und dies aus gutem Grunde, muss sie am normalen Wettbewerb teilnehmen können, womöglich meint Gauck genau das. Und das funktioniert noch nicht ganz: Dass der Partei zum Beispiel durch die Nichtwahl ihrer Kandidaten ein Posten als Vizepräsident des Bundestags vorenthalten wird, ist unwürdig und doof. Die Republik geriete nicht ins Wanken, säße ein AfD-Mitglied oben auf der Präsidiumsebene des Plenarsaals.

Und mittlerweile wurde ja hinzugelernt. Die AfD wird nun zu Podiumsdiskussionen eingeladen, sie ist nicht ausgeschlossen. Es geht. Das ist funktionierende Demokratie.

Grenzen der Toleranz gibt es durchaus

Toleranz wird übrigens gern von jenen eingefordert, die sie selbst strapazieren. Da ist zum Beispiel Erika Steinbach, die eine alte (und wahre) Aussage des erschossenen hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke aus dem Jahr 2015 per Twitter aufwärmte. Damals erhielt Lübcke Morddrohungen wegen dieser Worte: "… es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

Im Kern sehr tolerante Sätze. Im Netz aber war das Treibstoff für Hass. Und weil Steinbach gewissen Empörungen gegenüber nicht abgeneigt ist, wiederholte sie in diesem Jahr per Twitter Lübckes Worte. Wie und warum es zur Mordtat an ihm gekommen ist, ist unbekannt. Die Polizei ermittelt noch, und ganz bestimmt in viele Richtungen. Steinbach jedenfalls ist zu verdanken, dass eine längst abgeflaute Hasswelle wieder in Wallung geriet. Sie selbst bezeichnet sich sicherlich als „schwer konservativ“. Was sagt Gauck mit seiner Forderung nach einer erweiterten Toleranz dazu?