Kommentar von Joachim Krause - Israel dreht das ganz große Rad im Nahen Osten – und könnte damit erfolgreich sein
Während westlichen Politikern angesichts der Schläge Israels gegen die Hisbollah nichts Besseres einfällt als reflexartig nach Waffenruhe und Deeskalation zu rufen, verändert Israel gerade die militärisch-politische Lage im Nahen Osten – mit fundamentalen Konsequenzen für die Region.
Israel hat es in den vergangenen drei Wochen verstanden, die Hisbollah schwer und möglicherweise entscheidend zu schlagen. Am 8. September wurde in Syrien eine große unterirdische, gemeinsam mit dem Iran betriebene Fabrik für Raketen, Waffen und Munition der Hisbollah durch ein israelisches Kommandounternehmen vollständig zerstört.
Am 17. und 18. September wurden Tausende von Hisbollah-Kadern durch Explosionen in präparierten Pagern und Funksprechgeräten verletzt oder getötet. Dadurch wurde die Kommunikation innerhalb der Terrororganisation unterbrochen und deren militärische Handlungsfähigkeit empfindlich gestört.
In den darauffolgenden zwei Wochen gelang den israelischen Luftstreitkräften nicht nur die weitgehende Enthauptung der militärischen Führung, sie konnte auch etwa die Hälfte der Raketenstellungen zerstören, die die Hisbollah in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit iranischer Unterstützung gegen Israel in Stellung gebracht hatte.
Weitere Stellungen werden derzeit nach und nach ausgeschaltet. Am 27. September gelang es der israelischen Luftwaffe, mit einem präzisen Angriff die Führungsriege der Hisbollah einschließlich ihres politischen und religiösen Oberhauptes Hassan Nasrallah auszuschalten. Unter den Todesopfern war auch Brigadegeneral Abbas Nilforuschan, ein ranghoher Offizier der iranischen Revolutionsgarden.
Bodeneinsatz im Libanon wäre kein Spaziergang
Die Raketenangriffe der verbliebenen Hisbollah-Einheiten auf Israel blieben bislang im Umfang begrenzt. Möglicherweise gehen israelische Truppen in den weitgehend entvölkerten Südlibanon vor und vertreiben dort die noch verbliebenen Hisbollah-Terroristen – was allerdings kein Spaziergang zu werden verspricht. Der Hisbollah als einer starken Miliz und politischer Bewegung mit großer Unterstützung in der schiitischen Bevölkerung gehen möglicherweise die militärischen Optionen aus.
Das harte Vorgehen Israels hat die Nahost- und Militärexperten ebenso überrascht wie die Politik. Nur wenige haben mit Angriffen in dieser Heftigkeit gerechnet. Tatsächlich ist offenkundig, dass hier eine Operation abläuft, die auf einer intelligenten und komplexen Planung beruht, die seit vielen Jahren entwickelt und immer wieder neu an die Gegebenheiten angepasst worden ist. Diese Planungen lassen eine Informationsüberlegenheit erkennen, die geradezu atemberaubend ist. Sie basieren auf einer nahezu kompletten Überlegenheit in der Luft und im Cyberspace sowie auf der Verfügbarkeit von präziser und bunkerbrechender Munition.
Die gezielten Schläge gegen die Hisbollah-Führung wären ohne Informanten aus deren unmittelbaren Umgebung und ohne die kluge Nutzung elektronischer und satellitengesteuerter Aufklärung und verdeckter Kommunikation nicht möglich gewesen. Auch die geschickte Manipulation von Lieferketten für Kommunikationsmittel gehört dazu.
Der Westen hat nicht verstanden, worum es eigentlich geht
In Kreisen der Nachrichtendienste, der Politik, der Medien und der Thinktanks wird bislang davon ausgegangen, dass der israelische Ministerpräsident Netanjahu angesichts der Lage im Gaza-Streifen und aus innenpolitischen Gründen einen Krieg mit der Hisbollah herbeiführt, den er nicht gewinnen könne. Fast alle warnen vor einem „Flächenbrand“ oder einem „großen Krieg“ in der Region, denn die Hisbollah lasse sich nicht eliminieren.
Derartige Ermahnungen gehören mittlerweile zum Standardrepertoire fast aller westlichen Politiker und Politikerinnen. Sie zeigen nur eines: man hat dort nicht verstanden, worum es in dieser Auseinandersetzung wirklich geht.
Was tatsächlich abläuft ist ein ganz anderes „Spiel“. Weder Hamas noch Hisbollah stellen aus israelischer Sicht eine existenzielle Sicherheitsbedrohung dar. Das einzige, was Israel wirklich fürchtet, sind Atomwaffen in der Hand der iranischen Führung – und die bemüht sich seit zwei Jahrzehnten mit großer Konsequenz um die Herstellung dieser Waffen. Da in Israel – gleich unter welcher Regierung – die westlichen Bemühungen um die Einhegung des iranischen Nuklearprogramms (wie etwa der 2015 vereinbarte gemeinsame Aktionsplan JCPoA oder die Wirtschaftssanktionen) als nicht zielführend angesehen werden, strebt Jerusalem seit langem militärische Operationen zur Zerstörung der entsprechenden iranischen Anlagen an.
Die Führung in Teheran weiß um diese Planungen und hat die im Libanon operierenden Hisbollah nicht zuletzt mit bis zu 150.000 Raketen unterschiedlicher Qualität (von Katjuscha-Raketenwerfern bis hin zu komplexen ballistischen Raketen) umfassend ausgerüstet, um ein Abschreckungspotenzial gegen ein derartiges Vorhaben aufzubauen. Mit der Operation Israels gegen die Hisbollah und vor allem mit der systematischen Zerstörung der Führungsstruktur und der Raketenstellungen selber ist Israel dabei, das Kalkül der iranischen Führung zu durchkreuzen – und zwar bislang mit großem Erfolg.
Der Iran blieb bislang erstaunlich zurückhaltend - und hat zwei Optionen
Der Oberste religiöse Führer des Landes Ali Khamenei ist erst einmal „an einen sicheren Ort“ verbracht worden – ein Indikator der großen Verunsicherung, die sich in den revolutionären Zirkeln in Teheran gegenwärtig breitmacht. Tatsächlich dürften vor allem die berüchtigten Revolutionsgarden alarmiert darüber sein, dass ihr wichtigstes Abschreckungsinstrument gegen einen israelischen Militärschlag auf ihr Nuklearprogramm nicht mehr funktioniert. Damit werden die Karten in dem Spiel um die iranischen Atomwaffenpläne neu gemischt.
Aus iranischer Sicht muss damit gerechnet werden, dass Israel nunmehr auch die teilweise tief verbunkerten Nuklearanlagen angreift und auf Jahre hin unbrauchbar macht. Die sunnitisch geführten arabischen Nachbarstaaten würden mehr als erleichtert sein, sollte das stattfinden.
Entscheidend ist jetzt, wie der Iran darauf reagiert. Es sind theoretisch zwei Optionen möglich, die beide weitgehend für die Mullahs und die Revolutionsgarden unattraktiv sein dürften: Die eine Option bestünde darin, die Verhandlungen mit dem Westen wieder aufzunehmen, und zwar dieses Mal in konstruktiver Weise und unter Berücksichtigung der strategischen Interessen Israels.
Am Ende stünde eine international effektiv kontrollierte Beendigung des iranischen Nuklearwaffenprogramms einschließlich der Herstellung und Bereitstellung von ballistischen Raketen, die bis Israel reichen können. Damit ließe sich der israelische Angriff vielleicht verhindern. Der neue iranische Präsident Massut Peseschkian hat sich immerhin für die Wiederaufnahme derartiger Gespräche ausgesprochen. Aber ob die Extremisten in Teheran diese Option verfolgen werden, ist unwahrscheinlich.
Die andere Option bestünde darin, dass der Iran jetzt in aller Schnelle seine Kernwaffenpläne umsetzt, um als Kernwaffenstaat Israel bedrohen und somit eine Abschreckungswirkung zu erzielen. Diese Option würden vor allem die Revolutionsgarden bevorzugen. Nur würde damit das Risiko verbunden sein, dass dann sowohl Israel als auch die USA versuchen würden, die iranischen Kernwaffen rechtzeitig zu zerstören. Was Israel betrifft kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass dann sogar Kernwaffen eingesetzt werden, um die iranischen Waffen noch am Boden zu zerstören. Ob und wie der Iran diese Option umsetzt, hängt auch von den Reaktionen Moskaus und Pekings ab, die sich beide auf die Seite des Irans gestellt haben.
Beide hier aufgeführten Optionen sind riskant und unattraktiv für das Regime in Teheran. Welchen Weg es einschlagen wird, ist nicht abzusehen. Klar ist aber eines: Israel hat mit der Zerschlagung der militärischen Fähigkeiten der Hisbollah zur Bedrohung Israels mit Flugkörpern die strategische Lage im Nahen Osten fundamental zu seinen Gunsten verändert. Das sollte angesichts all des humanitären Elends im Libanon und der Klagen über die Eskalation der Kämpfe nicht übersehen werden.
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