Kommentar von Josef Seitz - Mit Fahrlässigkeiten wie bei „Die 100“ verspielt die ARD ihre Glaubwürdigkeit
Ein Laiendarsteller gibt in der ARD sein Schluss-Statement gegen die AfD: Wir sollten dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei seiner Polit-Show „Die 100“ nicht die Blödheit unterstellen, den Mann mit Vorsatz vor die Kameras gestellt zu haben. Aber: Ein faules Ei verdirbt den ganzen Brei.
„Es gibt zwei Arten von Missgeschick“, hat der große Zyniker Ambrose Bierce einmal geschrieben, „das eigene Pech - und das Glück der anderen.“ Gleich alle zwei Arten von Missgeschick hat die ARD auf sich vereinigt. Und das mit einer einzigen Sendung.
Das eigene Pech: In der Sendung „Die 100“ sollten sich hundert ins Studio eingeladene Normalmenschen Argumente pro und contra AfD anhören, um am Ende mit den Füßen über die Frage abzustimmen: „Ist die AfD eigentlich ein Problem für unsere Demokratie?“
Von „First Dates“ zum AfD-Statement
Blöd, dass ausgerechnet das Schluss-Statement gegen die AfD von einem Menschen kam, der schon eine beachtliche Karriere als nebenberuflicher Gesichtsvermieter in Fernsehformaten wie der Kuppelshow „First Dates“ oder auch dem „Tatort“ hinter sich hat.
Ein faules Ei verdirbt bekanntlich den ganzen Brei: Damit ist die Glaubwürdigkeit aller 99 anderen zum Teufel.
Zur zweiten Art von Missgeschick, dem Glück der anderen: Selbstverständlich ist der Laiendarsteller in Zeiten von Internet und sozialen Medien schnell entdeckt, wenn 1,77 Millionen Zuschauer vor den TV-Bildschirmen sitzen und „Die 100“ verfolgen.
1,77 Millionen Augenzeugen entlarven schnell
Und die Nachricht vom eingekauften ARD-Normalo macht in Rekordzeit die Runde. Von „Gängelung“ ist die Rede, von „Manipulation“ von „Zuständen wie in der DDR“, von „gekauft“.
Kurz: Das das Erste hat beim Versuch, sich argumentativ mit der AfD auseinanderzusetzen, genau die Steilvorlage geliefert, „das Öffentlich-Rechtliche“ und seine Machenschaften voller Abscheu zu verdammen – und das mit einer gewissen Berechtigung.
In einer Stellungnahme gegenüber FOCUS online weist der produzierende Norddeutsche Rundfunk die Vorwürfe zurück. Man habe von den Auftritten des Teilnehmers als Darsteller nichts gewusst: „Nebentätigkeiten werden nicht abgefragt.“
Er sei nicht bezahlt worden: „Die Teilnehmenden erhalten keine Gage.“ Und seine Entscheidung, sich öffentlich im Schluss-Statement von der AfD abzuwenden? „Die Sendungsverantwortlichen haben auf diese Entscheidung keinen Einfluss geübt.“
So schadet die ARD dem eigenen Nachrichtenstar Ingo Zamperoni
Tatsächlich sollte niemand den Verantwortlichen in der ARD die Blödheit unterstellen, sich in einer Politik-Show mit dem eigenen Nachrichtenstar Ingo Zamperoni mit Vorsatz so eine Blöße zu liefern und sich so einfach angreifbar zu machen.
Und doch summieren sich die Fahrlässigkeiten so sehr, dass die Glaubwürdigkeit immer wieder und immer weiter beschädigt wird. Wir erinnern uns: Da wird in „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ eine Supermarktkundin vor laufender Kamera interviewt.
Hinterher zeigt sich, dass die Interview-Partnerin eine Produktionsmitarbeiterin ist, die vor die Kamera gestellt wird. Problematischer ist es im Januar, als der Hessische Rundfunk eine Mitarbeiterin als „Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ vorstellt und im Beitrag über eine „Demo gegen rechts“ in Frankfurt interviewt.
Hinterher entschuldigt sich der HR, dass er die Tätigkeit für den Sender nicht öffentlich gemacht hat: „In diesem Fall ist uns schlicht ein Fehler unterlaufen.“
Dinge zeigen, wie sie sind. Nicht so, wie man sie gerne hätte
Wie viele Fehler sind ein Skandal? Sagen wir es noch einmal mit Ambrose Bierce: Für ihn war ein Zyniker „ein Lump, dessen fehlerhafte Sicht die Dinge sieht, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten“.
Diese Betrachtungsweise würde ich, ganz ohne Zynismus, auch dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nahelegen: Dinge so zeigen, wie sie sind, und nicht so, wie man sie gerne hätte. Das ist die einzige Chance, die Glaubwürdigkeit zu retten.