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Kommentar: Karl Lauterbach ist der Sündenbock der Frustrierten

Karl Lauterbach im Bundestag (Bild: Michael Kappeler/dpa)
Karl Lauterbach im Bundestag (Bild: Michael Kappeler/dpa)

Der SPD-Politiker polarisiert – auch, weil er oft Recht behält. Sowas mögen einige nicht hören. Und legen ihm alles negativ aus.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Er kann machen, was er will: Karl Lauterbach bleibt der Suppenkasper der Nation, der Professor Naseweis und arrogante Partycrasher – in den Augen jener, die gern genervt sind.

Dabei ist der SPD-Politiker einfach jemand, der sich in seinem Fachgebiet der Epidemiologie gut auskennt, und “Professor” kann er sich auf sein Klingelschild schreiben, weil er tatsächlich einer ist. Lauterbach liest viele Studien und versteht sie. Er ist uns in den vergangenen Monaten auf die Nerven gegangen, weil er den warnenden Propheten gab, der angesichts Corona für Disziplin und harte Maßnahmen warb. Die Folgen bisher: Berufliche Existenzen wurden vernichtet, Eltern an den Rand des Stresswahnsinns getrieben, Kinder ihrer Bildungschancen beraubt und jede Menge Enge, Körper und Spaß gestrichen. Dafür stand und steht Lauterbach.

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Doch er hatte Recht. Sein Einsatz rettet im Gegensatz zu allem oben Aufgezählten das Wichtigste, was wir haben: Leben. Wir haben ja nur eines.

Nur wollen viele das nicht hören. Das ist verständlich, denn die Lage frustriert. Doch den Überbringer schlechter Nachrichten umzubringen, war in der Geschichte der Menschheit nie eine gute Lösung – und Lauterbach hat als Politiker nicht nur aufgeklärt, sondern gehört zu jenen im Land, die uns gerade vom Glatteis ziehen. Dafür erhält er maximalen Undank.

Hassfigur dringend gesucht

Jüngstes Beispiel: “Wenn private Feiern in Wohnungen und Häusern die öffentliche Gesundheit und damit die Sicherheit gefährden”, sagte er der “Rheinischen Post”, “müssen die Behörden einschreiten können”. Der Aufstand war groß. In den Sozialen Medien wird Lauterbach seitdem als Luzifer der Corona-Polizei beschrieben. Und in Zeiten, in denen Leute sich plötzlich fürs Grundgesetz, für Bürgerrechte in Speziellen und Freiheit im Allgemeinen interessieren, ist der Ruf nach eigener Verletztheit schnell hinausposaunt. Blockwarte überall! Nicht einmal die eigenen heiligen vier Wände sind sicher!

Doch mal wieder ist die Aufregung unbegründet. Lauterbach präzisierte bei der TV-Sendung “Markus Lanz”: “Ich habe damit nicht gemeint, dass man die Wohnung betreten kann.” Bei Ruhestörungen sei es in der Vergangenheit auch normal gewesen, dass Polizei und Ordnungsamt zu Hause anklopfen. Entsprechend müssten Beamte jetzt einschreiten, wenn im Lockdown privat Partys mit Dutzenden Leuten gefeiert würden. “Das bedeutet nicht, dass die die Wohnung stürmen dürfen. Aber dass die dort hinkommen und treten vor die Tür und sagen, da muss jetzt Schluss sein.”

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Möchte irgendjemand die Vernunft dieser Worte anzweifeln? Ist das Risiko einer Virenverbreitung durch hirnverbrannte Privatpartys niedriger anzusetzen als eine Lärmbelästigung? Nur wer sich um des Aufregens Willen aufregt, sieht das anders. Im Gegenteil: Lauterbachs Äußerungen werden verfolgt, als sei die Polizei hinter ihm her. Wer ihn als Rechteräuber beschreibt, ist wegen der Herabwürdigung anderer selbst einer. Wer Lauterbach einen Gedankenpolizist schimpft, würde am liebsten selbst zensieren.

Wer hat es gesagt?

Wer lag nicht alles falsch. Im September prophezeite Lauterbach die Infektionszahlen, die wir heute haben – und wurde ausgelacht. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, reagierte damals mit ironisch: Lauterbach sei “einer der Wenigen”, die die Zahlen bereits im Vorhinein kennen würden. Wenig überraschend, dass Gassen nun die Maßnahmen für den November kritisiert, nach dem Motto: Lieg ich einmal falsch, lieg ich immer falsch.

Oder Horst Heldt vom 1. FC Köln: Als Lauterbach sich wunderte, dass Kinder mit Masken unterrichtet werden, Fans aber in Massen zu Bundesligaspielen gelassen werden, stichelte der Manager: “Ist der noch Politiker oder schon Showmaster?” Also, Heldt ist weder Politiker noch Showmaster, er ist ein von eigenen Interessen geleiteter Manager, der seine Branche zynisch betrachtet, als wären Fußballstadien auf einem anderen Stern.

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Oder der Hobbyrevoluzzer Boris Palmer: Der grüne Oberbürgermeister Tübingens hat als Populist Lauterbach längst als leicht kritisierbare Zielscheibe ausgemacht. Palmer lebt vom Zuspruch der Frustrierten, also polterte er, dass die Protestierenden “von Herrn Lauterbach dafür verantwortlich gemacht werden, dass 100.000 Menschen sterben, wenn man nicht genau das macht, was er für richtig hält.” Nur hat Lauterbach das nie gesagt. Egal. Oder Palmers Behauptung, Lauterbach fordere ein Runterfahren der Wirtschaft, für ein, zwei Jahre – alles falsch. Egal. Seine Meute wird Palmer damit befriedigt haben.

Lauterbach ist der Sündenbock der Frustrierten. Es bleibt ein Naturgesetzt: Wo Frustration herrscht, muss einer den Kopf herhalten. In die Geschichtsbücher aber wird Lauterbach als jemand eingehen, der einen kühlen Kopf behielt.

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