Kommentar von Konflikt-Profi - Hämische Reaktionen auf Baerbocks Trennung sind armselig und geschmacklos

Teile der Gesellschaft reagieren mit Häme auf die Trennung von Annalena Baerbock und ihrem Mann Daniel Holefleisch.<span class="copyright">Getty Images/Tristar Media</span>
Teile der Gesellschaft reagieren mit Häme auf die Trennung von Annalena Baerbock und ihrem Mann Daniel Holefleisch.Getty Images/Tristar Media

Warum reagieren Teile der Gesellschaft mit Häme auf die Trennung von Annalena Baerbock und ihrem Mann? Ein Thema, das emotional polarisiert und gesellschaftliche Muster offenlegt. Konflikt-Profi Christoph Michalski erklärt, wie Schadenfreude funktioniert – und was sie über uns aussagt.

Warum reagieren Menschen emotional auf die Trennung einer Politikerin wie Baerbock?

Weil sie lieben, was sie hassen können. Annalena Baerbock ist für viele nicht nur eine Politikerin, sondern ein Symbol für den Untergang der Welt oder deren Rettung - je nach Ideologie. Ihre Ehe war dabei wie das Sahnehäubchen eines Hochglanz-Lebens, das jetzt nach ihrem Ehe-Aus nach 17 Jahren von der Realität weggefegt wurde. Plötzlich steht da nicht mehr die „Powerfrau“, sondern ein Mensch mit Problemen wie wir alle. Und genau das kratzt: Wenn selbst Politiker*innen, die eigentlich alles „im Griff“ haben sollten, scheitern, fühlt sich das wie ein Erdbeben an unseren eigenen Idealen an.

Dann kommt noch die Schadenfreude. Nichts ist süßer als der Sturz der „Großen“. Wenn jemand mit viel Macht und Einfluss plötzlich privat stolpert, wird das zur emotionalen All-you-can-eat-Buffet: „Seht ihr, so perfekt ist die auch nicht!“ Ein kleines Trostpflaster für die eigene Unzufriedenheit – und, ehrlich gesagt, ein bisschen armselig. Schadenfreude ist oft nicht mehr als ein missglückter Versuch, sich besser zu fühlen.

Warum zeigen einige Menschen Häme, anstatt Mitgefühl zu empfinden?

Weil es einfach ist. Häme ist die Fast-Food-Version der Emotionen: schnell, billig und nahrhaft – für das Ego. Wer hämisch reagiert, verbirgt oft, dass er selbst zu kämpfen hat. Es ist der alte Trick: Wenn ich andere runterdrücke, falle ich weniger auf. Und bei einer Person wie Baerbock gibt es für manche gleich doppelten Grund zur Häme: Sie polarisiert. Wer sie eh nicht mag, kann jetzt genüsslich Öl ins Feuer gießen.

WERBUNG

Das Ganze nennt man Moral Licensing. Frei übersetzt heißt das: „Weil ich sie politisch schlecht finde, darf ich mich auch über ihr Privatleben lustig machen.“ Es ist wie ein mentaler Freifahrtschein für Geschmacklosigkeit. Was dabei übersehen wird? Häme sagt mehr über die Häme-Schleuder aus als über die Betroffenen.

Welche gesellschaftlichen Muster beeinflussen die Reaktionen auf die Trennung?

Unsere Gesellschaft liebt Helden – und noch mehr liebt sie deren Absturz. Es ist wie bei einem Actionfilm: Solange die Heldin unantastbar bleibt, wird’s irgendwann langweilig. Aber wehe, sie stolpert! Besonders Frauen in der Politik dürfen keine Schwäche zeigen, schon gar nicht privat. Baerbock hatte es „gewagt“, beruflichen Erfolg und familiäre Harmonie zu verkörpern. Eine Trennung wird da schnell zur moralischen Anklage: „Hat sie vielleicht doch übertrieben? Beruflich zu viel gewollt?“

Dazu kommen die sozialen Medien. Sie funktionieren wie ein kollektiver Flammenwerfer: Jeder Spruch, jedes Meme wird gnadenlos verbreitet, denn Algorithmen lieben Drama. Hier kann jeder Hobby-Kommentator seinen Senf dazugeben, ohne Konsequenzen zu fürchten. Es ist die perfekte Mischung aus digitaler Wildwest-Stimmung und kulturellem Chauvinismus.

Warum scheint Schadenfreude besonders bei prominenten Personen so ausgeprägt zu sein?

Weil Promis für viele nur Spielfiguren sind. Ihr Leben wirkt wie eine Soap, nur dass wir selbst mitspielen dürfen – zumindest online. Die Distanz sorgt dafür, dass wir ihre Probleme nicht als „echt“ wahrnehmen. Statt Mitgefühl zu empfinden, heißt es: „Ach, guck mal, die kriegen’s auch nicht hin.“

WERBUNG

Dann gibt es noch den Glamour-Neid. Prominente erscheinen oft wie übermenschliche Wesen: erfolgreich, reich, immer strahlend. Wenn dann mal etwas schiefläuft, ist das wie eine Party für die Seele: „Auch die sind nur Menschen!" In Wahrheit ist diese Schadenfreude nichts anderes als ein Spiegel unserer eigenen Frustrationen. Aber das will natürlich niemand zugeben.

Was können wir aus dieser Häme über den Zustand unserer Gesellschaft lernen?

Dass wir oft wie ein wütender Mob agieren, der auf das nächste Drama wartet. Persönliche Schicksale werden zur Munition in politischen Grabenkämpfen, und menschliche Schwächen werden zum Charakterurteil hochstilisiert. Das zeigt, wie oberflächlich und emotional wir manchmal mit öffentlichen Personen umgehen – und wie wenig wir uns fragen, was das mit uns selbst zu tun hat.

Vielleicht sollten wir uns öfter fragen: Warum nehme ich mir das Recht heraus, über jemand anderen zu urteilen? Oder noch provokanter: Warum brauche ich diese Art von Sensation, um mich selbst besser zu fühlen? Die Antworten sind oft unbequem. Aber sie könnten uns helfen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Fehler und Krisen – ob bei Politikerinnen oder bei uns selbst – einfach dazugehören dürfen.

Wie sollten wir als Menschen auf Meldungen wie die Trennung von Annalena Baerbock reagieren?

Respekt, Leute, Respekt! Jeder hat ein Privatleben – auch wenn es bei einer Ministerin schwer vorstellbar scheint. Wenn Sie Ihre Nachbarin nicht wegen ihrer Scheidung im Hausflur auslachen würden, dann machen Sie es auch nicht online.

WERBUNG

Bleiben Sie bei den Fakten. Eine Trennung ist kein Grund, jemanden beruflich in Frage zu stellen. Konzentrieren Sie sich auf die Politik, nicht auf die Partnerschaft. Und fragen Sie sich: Würde es Sie wirklich interessieren, wenn es sich um eine Person ohne Titel und Amt handeln würde? Vermutlich nicht.

Außerdem: Sparen Sie sich die Häme. So verlockend sie auch sein mag, sie ist der „Chicken Nugget“ unter den Gefühlen – billig und ungesund. Versuchen Sie es lieber mit Mitgefühl, selbst wenn es um eine Politikerin geht. Denn am Ende des Tages sind wir alle Menschen – und ein wenig mehr Großzügigkeit würde uns allen guttun.

Surftipps: