Kommentar: Liebe Ungarn: Auch ihr habt ein Recht zu wissen, worauf sich Orbán vorbereitet

Viktor Orbán, Premierminister von Ungarn, hält seine jährliche “State of Hungary”-Rede. (Bild: Szilard Koszticsak/MTI/dpa)
Viktor Orbán, Premierminister von Ungarn, hält seine jährliche “State of Hungary”-Rede. (Bild: Szilard Koszticsak/MTI/dpa)

Der Ministerpräsident verschwendet Geld für eine Lügen-Kampagne. Er appelliert an den Nationalstolz. Und hat selbst jede Würde längst verloren.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Politiker sollen Lösungen für Probleme finden und umsetzen. Am besten haben sie auch Visionen, für den langen Atem. Und Probleme gibt es einige. Nur tut sich ein Widerspruch auf: Immer öfter werden Politiker gewählt, die sich an imaginären Problemen abarbeiten und die tatsächlichen ignorieren. Wie kann das sein?

Ein Paradevertreter dieser Art ist Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident hat eine Plakataktion losgetreten, mit den Konterfeis von Jean-Claude Juncker und George Soros. Die sind seine Feinde – und dass sie imaginär sind, wird rasch klar. Ersterer ist Chef der EU-Kommission, zweiterer Milliardär und Philanthrop. Und das steht auf den Plakaten: „Auch Sie haben ein Recht zu wissen, worauf sich Brüssel vorbereitet“. Darunter in kleinerer Schrift: „Sie wollen die verpflichtende Ansiedlungsquote einführen. Sie wollen das Recht der Mitgliedsstaaten auf Grenzschutz schwächen. Mit Migrantenvisa wollen sie die Einwanderung erleichtern.“

Ein Plakat in Budapest zeigt den Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker (r.) und den ungarischstämmigen Investor George Soros. Darunter zu lesen: “Auch Sie haben ein Recht zu wissen, worauf sich Brüssel vorbereitet”. (Bild: Getty Images)
Ein Plakat in Budapest zeigt den Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker (r.) und den ungarischstämmigen Investor George Soros. Darunter zu lesen: “Auch Sie haben ein Recht zu wissen, worauf sich Brüssel vorbereitet”. (Bild: Getty Images)

Schon interessant, wofür Steuergelder verpulvert werden können. Die Ungarn sollen also mit Hilfe von Plakaten aufgeklärt werden: Dass sich „Brüssel“, also die EU, auf etwas „vorbereitet“. Angeblich ist das so geheim, dass nun ein Plakat hermuss. Dann beginnen die Lügen.

Eins, zwei, drei

Natürlich macht sich die EU-Kommission für Aufnahmequoten von Geflüchteten stark. Man kann dafür oder dagegen sein, und es ist das gute Recht der ungarischen Regierung, eine Aufnahme von geflüchteten Menschen abzulehnen. Aber den Plan einer „Ansiedlungs-Quote“ zu unterstellen, ist Fiktion. Es geht darum, eine bescheidene Anzahl von Menschen, die DA sind, weil sie es etwa übers Mittelmeer geschafft haben, in der EU gerecht zu verteilen. Denn nur weil Ungarn keine Mittelmeerküste hat, bedeutet dies nicht, dass das Land nichts mit Italien und Griechenland zu schaffen hat – immerhin sitzt man in einer politischen Union, und es gehen über die Fördergelder nicht wenige Euro zum Beispiel von Italien in die Förderung der ungarischen Infrastruktur. Aber Orbán gehört zu jenen, die still nehmen und laut austeilen.

Lüge Nummer zwei betrifft den angeblichen Plan der Schwächung eines nationalen Grenzschutzes. Woher nimmt Orbán dies? Grenzschutz ist und wird nationale Sache bleiben. Ungarn hat diese Tatsache selbst dokumentiert, als die Regierung einen Grenzzaun aufstellte, der übrigens nur Probleme umleitete, aber meine private Meinung muss an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden; schließlich geht es hier um die Auseinandersetzung mit Fake News.

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Lüge Nummer drei betrifft den angeblichen Plan, mit „Migrantenvisa“ eine Einwanderung zu erleichtern. Auch hier ist es nationale Angelegenheit, humanitäre Visa auszusprechen oder nicht. Will Budapest dies nicht, qualifiziert sich die Regierung nicht gerade für den Friedensnobelpreis, verfährt aber nach ihrem guten Recht. Die EU aber, also „Brüssel“, plant keine länderübergreifenden Visa. Alles falsch, was Orbán schreibt, steuerfinanzierte Lügen.

Warum tut ein Mann sowas? Innenpolitisch kann er sich damit profilieren. Orbán konstruiert eine äußere Gefahr, das ist einmal der Islam, mal die Einwanderung, mal „Brüssel“. Er will die „ungarische Identität“ verteidigen, das „christliche Erbe“. Keine Ahnung, wie es um die ungarische Identität bestellt ist. Aber wenn sie zu verteidigen wäre, weil ein paar hundert Hansel aus Syrien aufgenommen werden, muss es um sie verdammt schlecht bestellt sein. Merken Ungarn nicht, wie schwach und blöd sie durch ihren Ministerpräsidenten hingestellt werden? Laufen Gulasch und Salami Gefahr hinweggefegt zu werden? Es ist armselig.

Orbán lügt, wenn er von einem „Ende der Nationen“ faselt. Keiner will das. Keiner plant das. Und selbst wenn, wäre dies ein unrealistisches Unterfangen. Es geht ihm nur um Stimmenfang und Machtkonsolidierung.

Eine Tüte Antisemitismus, bitte

An dieser Stelle kommt Soros ins Spiel. Seit 2012, seit Orbán keine direkten äußerst ernst zu nehmenden Rivalen hat, attackiert er den ungarischstämmigen Milliardär. Denn der besitzt die Frechheit, über seine Open Society Foundation mehrere NGO zu unterstützen und er hat eine Universität in Budapest aufgebaut. Soros wird auch als Mann mit einem „Plan“ hingestellt, dabei geht es ihm und den geförderten NGO allein um schwammige Ziele wie Förderung der Demokratie und der Freiheit, um die Stärkung der Zivilgesellschaft; nichts Konkretes haftet dem an. Genau dies ist das Einfallstor für Orbán. Den Namen der „Open Society“ deutet Orbán um in „offene Grenzen“, offen für „Viren“ wie den „Terrorismus“, da sind wir wieder bei Gulasch und Salami. Orbán manipuliert, denn der Begriff der „Open Society“ bezieht sich nur auf die „offene Gesellschaft“, wie sie der berühmte Philosoph Karl Popper beschrieb – und es ging ihm um die Stärkung der kritischen Fähigkeiten der Menschen, also selbst nachzudenken. Popper engagierte sich für Gewaltenteilung, um Machtmissbrauch des Staates einzuschränken.

Kein Wunder also, dass Orbán kein Popper-Fan ist, er verkörpert mit seinem autokratischen Stil, alles auf seine Linie mit Gewalt und Manipulation zu trimmen, genau jenen Politikertypus, den Popper kritisierte. Da Popper aber ein Heiliger ist und Orbán nichts Böses über ihn sagen darf, verbiegt er schlicht den Begriff. Soros als Player eignet sich bestens, denn er bietet für Verschwörungen eine Breitseite: Er ist reich, er denkt liberal, er ist Jude.

Orbán findet dafür solche Worte: „Wir müssen mit einem Gegner kämpfen, der anders ist, als wir es sind. Es kämpft nicht mit offenem Visier, sondern er versteckt sich, er ist nicht geradeheraus, sondern listig, nicht ehrlich, sondern bösartig, nicht national, sondern international, er glaubt nicht an die Arbeit, sondern spekuliert mit dem Geld, er hat keine eigene Heimat, da er das Gefühl hat, die ganze Welt gehöre ihm. Es ist nicht großzügig, sondern rachsüchtig und er attackiert immer das Herz, besonders dann, wenn dieses rot, weiß und grün ist.“ Ungarns Ministerpräsident findet eindeutig antisemitische Versatzstücke, er spielt mit den Verleumdungen eines angeblich internationalen Juden. Das ist nicht geradeheraus, sondern listig, nicht ehrlich, sondern bösartig. Aber es lenkt ab. Klappt also.

Rückendeckung: Merkel nimmt Juncker gegen Kritik aus Ungarn in Schutz

Nun schreien die Politiker im Westen auf. Die Plakataktion gegen Juncker und Soros sorgt für Protest. Aber fast immer wird nur Juncker in Schutz genommen. An die Diffamierung von Soros scheinen wir uns gewöhnt zu haben.

Die Fidesz-Partei von Orbán sollte nicht aus der Europäischen Volkspartei (EVP) der Konservativen geworfen werden. Das würde ihm nur nützen in seinem Drang einen Opferstatus zu konstruieren, Stichwort Gulasch und Salami. Man sollte ihn überall drinlassen. Und beharrlich darauf hinweisen, was er tut. Wann werden die Ungarn eigentlich müde davon, für dumm verkauft zu werden?

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