Kommentar: Lockerungen – normal geht anders

Atemmasken werden nun noch mehr zu unserem Alltag gehören (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Atemmasken werden nun noch mehr zu unserem Alltag gehören (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Bund und Länder gewähren nur kleine Öffnungen – bald. Weiterhin wird noch viel Geduld nötig sein.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gestern Abend war es soweit. Ich brauchte noch etwas Milch und Brot, ging also zum Supermarkt, am Tag Weißnichmehr des Shutdowns in Deutschland. Und zog dazu zum ersten Mal eine Atemschutzmaske auf. Genauso wie die Politik es nun gemahnt.

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Das war schon gewöhnungsbedürftig. Einweghandschuhe – klar, die fielen bisher kaum auf, aber eine Maske vorm Mund: Ich bin ja allergisch gegen Kopftuch- und andere Vermummungsverbote, und dennoch war es erstmal ein komisches Gefühl. Eines, das in den kommenden Tagen schnell vergehen wird. Denn Masken werden jetzt Alltag nicht von bisher wenigen Bürgern, sondern von vielen.

So haben es die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten gestern empfohlen. Damit betonen sie: Trotz aller im Ganzen positiven Trends in der Eindämmung des Corona-Virus ist weiter Vorsicht geboten. Dabei ist die Atemmaske weithin nicht das stärkste Signal, aber ein stark symbolisches.

Vorbei ist erstmal das Debattieren übers Debattieren über Lockerungen. Da wurde in den vergangenen Tagen wild hin und her diskutiert – wir sind ja alle unwissend, von den wenigen Epidemiologen und Virologen unter uns abgesehen (die selbst ernannten Experten erwähnen wir gar nicht erst).

Es bleibt bitter

Die Politik gab gestern Klarheit: Es wird weiter auf Sicht gefahren. Nur wenige Lockerungen bei einigen Schuljahrgängen wird es geben – in dem einen Bundesland in zwei Wochen, in dem anderen in drei. Gastronomische Betriebe bleiben weiterhin geschlossen, Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern Grundfläche können bald wieder öffnen. Für die einen ist es der Lichtblick, für die anderen eine Verlängerung in einen Tunnel hinein voller Dunkelheit. Es bleibt fürderhin bitter.

Aber worum geht es? In allererster Linie geht es darum, dass Gesundheit wichtiger ist als Wirtschaft. Das wird oft nicht so gesagt. Aber am Anfang steht die Devise, dass Mitmenschen davor geschützt werden sollen, dass ihnen nicht jämmerlich die Luft ausgeht und sie daran sterben.

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Noch gibt es keinen Impfstoff. Und noch besteht die Gefahr, dass unsere medizinische Versorgung bei allzu vielen Infektionen auf einmal derart überlastet wird, dass nicht jeder Notfall angemessen angegangen werden kann. DIES gilt es zu vermeiden, und daher hat die Politik beschlossen, keine großen Lockerungen jetzt zuzulassen. Was gestern in einer vierstündigen Videoschalte zwischen 40 Personen aus Bundesregierung und Länderkabinetten entschieden wurde, stand unter der Maßgabe der Achtsamkeit für den Nächsten. Man nennt es auch Solidarität.

Damit wurde gestern auch demonstriert, dass die Politik in Deutschland funktioniert. Es bewährt sich, Aufgeregtheiten kleineren Raum zu gewähren und sowas Teilen der Opposition zu überlassen. Auch der Föderalismus funktioniert, dabei ist er in Zeiten einer großen Krise unter besonderer Beobachtung, weil einfach mehr Leute mitreden und daher mehr Meinungen bestehen. Aber bisher klappt es.

Alphatiere können auch Team

Gestern gab es keinen großen Überbietungswettbewerb unter den Ministerpräsidenten, wer am striktesten gegen den Virus und wer am vehementesten für Öffnungen steht. Nur ein wenig wurde da mit dem Pfauenschwanz gewedelt, und zwar von jenen, die es brauchen: Da ist NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der sich profilieren muss, weil er Parteivorsitzender werden will, und da ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), von dem man noch nicht weiß, was er alles werden will, aber der ohne Profilierung schlicht nicht kann.

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Die beiden wurden höflich und diplomatisch von ihren Amtskollegen eingehegt, zeigten sich auch selbst kollegial – fertig ist ein Kompromiss, der einen gangbaren Weg durch die kommenden Wochen in der Corona-Krise aufzeigt.

Es könnte uns weit schlimmer treffen, mit unseren Regierenden.

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