Kommentar: Mit Trumps Verrat an den Kurden scheitert die NATO

MIt dem Abzug der US-Truppen liefert Donald Trump deren Verbündete ihren Feinden aus (Bild: AP Photo/Evan Vucci)
MIt dem Abzug der US-Truppen liefert Donald Trump deren Verbündete ihren Feinden aus (Bild: AP Photo/Evan Vucci)

Ein kurzer Tweet – mehr ist es nicht für den US-Präsidenten Donald J. Trump: Man habe den IS in Syrien besiegt, dies sei der einzige Grund für die US-Truppenpräsenz in Syrien gewesen. Ein Tweet, der das offenbart, was viele längst geahnt hatten, aber nie wahrhaben wollten: Die USA wollen ihre 2.000 Soldaten aus Nordsyrien abziehen und die Kurden im Stich lassen, deren SDF-Milizen als bisherige Verbündete Amerikas den IS in Syrien quasi im Alleingang besiegt haben.

Noch stellen die US-Truppen den einzigen wirksamen Schutzschild für die Kurden in Nordsyrien dar, nachdem Putin Anfang des Jahres bereits einen Teil Nordsyriens – die Region um Afrîn – zur Bombardierung durch den türkischen Diktator Erdogan freigegeben hatte. Mehrere hunderttausend Flüchtlinge und unzählige durch die türkische Armee ermordete Zivilisten waren das Resultat dieses Verrats Putins an den Kurden. Jetzt will Trump es Putin gleichtun, indem er die kurdischen Verbündeten ebenso im Stich lässt. Wenn der US-Präsident ernst macht und Mission in Syrien abrupt beendet, droht diesmal weit Schlimmeres.

Absprachen mit der Türkei

Hintergrund scheinen geheime Absprachen zwischen dem Weißen Haus und der Türkei zu sein, zu der das Verhältnis zuletzt wegen diplomatischer Krisen um Fetullah Gülen oder die Inhaftierung eines US-Priesters angespannt war. Trump hofft wohl, die Wogen mit der Türkei zu glätten, indem er die Kurden Erdogans Aggressionen opfert. Immer wieder hatte der türkische Diktator zuletzt mit einer Invasion in die vom SDF gehaltenen nordsyrischen Gebiete gedroht, um die von ihm als Terroristen verunglimpften Kurden zu vernichten oder wenigstens zu vertreiben.

Die SDF stellen den überwiegenden Teil der Bodentruppen für den Kampf der Anti-IS-Koalition in Syrien (Bild: AFP Photo/Delil Souleiman)
Die SDF stellen den überwiegenden Teil der Bodentruppen für den Kampf der Anti-IS-Koalition in Syrien (Bild: AFP Photo/Delil Souleiman)

Ein – neben der völkerrechtlich noch zum Irak gezählten Autonomen Region Kurdistan – weiterer unabhängiger, demokratischer Kurdenstaat an seiner Südgrenze ist der Türkei seit langem ein Dorn im Auge; ein Staat, der nach Westen blickt und sich an universellen Menschenrechten orientiert. Menschenrechte, die Erdogan schon seit Jahren ablehnt, geachtet und gelebt von Menschen, die viele der Erdogan-Anhänger für “Untermenschen” halten und deren Ermordung per Genozid sich zahlreiche nationalistische Islamisten der türkischen AKP und MHP sehnlichst herbeiwünschen.

Der beabsichtigte Truppenabzug Trumps ist somit politisch ein fataler Fehler und ein diplomatisches Desaster; womöglich bedeutet er gar die Beihilfe zu ethnischen Säuberungen ungeahnten Ausmaßes. Es wäre nur ein weiterer Völkermord in der bluten türkischen Geschichte, die von Vertreibungen, Deportationen, Massakern bis zu staatlich geplanten Genoziden nur so strotzt. Diese Türkei hat eigentlich keine Geschichte, vielmehr ein Vorstrafenregister.

IS ist noch längst nicht besiegt

Trump irrt auch mit seiner Einschätzung des IS: Dieser mag aktuell zwar militärisch weitgehend geschlagen sein; doch er ist keinesfalls besiegt. Durchaus halten IS-Milizen und ihre Verbündeten weiterhin Widerstandsnester auf dem Flickenteppich des syrischen Bürgerkriegsschauplatzes. Auch ideologisch steht er weiterhin auf starkem Fundament, und er ist dabei, sich neu zu formieren. Erdogan wird dies freuen – kooperiert er doch schon jetzt in Afrîn eifrig mit blutrünstigen Dschihadisten.

US-Soldaten im nordsyrischen Manbij – ihre Stationierung diente auch dazu, die Türkei von einem Angriff abzuhalten (Bild: U.S. Army photo by Spc. Zoe Garbarino via AP)
US-Soldaten im nordsyrischen Manbij – ihre Stationierung diente auch dazu, die Türkei von einem Angriff abzuhalten (Bild: U.S. Army photo by Spc. Zoe Garbarino via AP)

Gerade vor diesem Hintergrund provozierte Trumps Rückzugsabsicht heftigen Gegenwind auch in den Reihen seiner eigenen republikanischen Hausmacht: Senator Marco Rubio kritisiert Trumps Vorhaben als “großen Fehler”, sein Kollege Lindsey Graham zeigt sich entrüstet über Trumps blauäugige Einschätzung, der IS sei bereits Geschichte. Sicherheitsexperten warnen davor, die Kurden im Stich zu lassen und fürchten um die Glaubwürdigkeit der USA. Gerade nach der verzagten und jämmerlichen Zurückhaltung der US-Regierung unter Obama im Syrien-Konflikt hatte man von Trump eigentlich eine zuverlässigere, robustere Position erwartet.

Ein Club der Waffenschieber

Gibt Trump die Kurden tatsächlich ihren Feinden preis, so fügt er sich damit nahtlos in eine feige Grundhaltung ein, die für die gesamte NATO inzwischen kennzeichnend geworden ist. Das Verteidigungsbündnis behauptet von sich, dass es vor allem auch ein “Wertebündnis” sei. Doch es ist gegenwärtig weder das eine noch das andere.

Die NATO hat keine Werte, wenn sie einen Angriff auf die Kurdinnen und Kurden im Norden Syriens zulässt. Sie hat keine Werte, wenn sie eine Erdogan-Türkei in ihren Reihen duldet. Und die NATO ist kein Verteidigungsbündnis, wenn ihr Vollmitglied Türkei einen weiteren, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt und seine Bundesgenossen verlegen wegschauen. Aktuell ist die NATO nichts anderes als ein Club der Waffenschieber.

Ein türkischer Soldat verewigt sich im besetzten Afrîn (Bild: Hasan Kırmızitaş/DHA-Depo Photos via AP)
Ein türkischer Soldat verewigt sich im besetzten Afrîn (Bild: Hasan Kırmızitaş/DHA-Depo Photos via AP)

Zu dieser Einschätzung passt auch der Abschluss eines Waffendeals zwischen Washington und Ankara über den Kauf von Patriot-Raketensystemen über 3,5 Milliarden US-Dollar. Möglicherweise folgte dessen recht eiliger Abschluss, um beabsichtigte Waffenverkäufe Russlands an die Türkei zu konterkarieren. Da wäre Trumps Sinneswandel sozusagen das Sahnehäubchen, mit dem er Erdogan die Entscheidung für US-Raketen honorieren und ihm den erfolgreichen Handel versüßen wollte.

Für die Kurden, so scheint es, bewahrheitet sich einmal mehr das alte Sprichwort – wie stets, wenn sie zur Verteidigung ihrer Heimat in einen Guerillakampf gezwungen wurden: “Kurden haben keine Freunde – außer den Bergen”.