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Kommentar: Nach Merkel könnte ein Rechtsruck kommen

Mehrere Bewerber kämpfen um die Nachfolge von Angela Merkel an der CDU-Spitze. Darunter auch Jens Spahn. (Bild: Getty Images/Sean Gallup)
Mehrere Bewerber kämpfen um die Nachfolge von Angela Merkel an der CDU-Spitze. Darunter auch Jens Spahn. (Bild: Getty Images/Sean Gallup)

Im internen CDU-Wahlkampf müssen wir noch einmal die gleichen Debatten hören. Und dabei könnte sich ein Rechtsruck einschleichen. Aktueller Gradmesser dafür: ein Papierchen der UN.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Jens Spahn ist cool, keine Frage. Er kann entspannt rumsitzen und kalauern. Es wird nur ein wenig komisch, wenn er unbedingt cool wirken will, wie auf dem Filmchen, das er in den Sozialen Medien verbreiten lässt. Bemüht sieht das aus, so überflüssig wie sein Bonmot vor ein paar Tagen in der „FAZ“, als er meinte einen ernsten Schulaufsatz schreiben zu müssen: „Die fromme Bitte, über den September 2015 einfach nicht mehr zu sprechen, läuft ins Leere.“

Man könnte darüber sinnieren, warum der gläubige Christ Spahn fromme Bitten kritisch sieht, es sei denn, er erblickt in Frömmigkeit, besonders in der gelebten, keinen Fortschritt in der beruflichen Karriere. Jedenfalls verfährt Spahn, der sich für den CDU-Vorsitz und damit um die Nachfolge Angela Merkels bewirbt, nach einem bekannten Muster: Blase etwas auf, das es vorher nicht gab, skizziere es als Gefahr und tu, als würdest du es bekämpfen.

Haben wir irgendwann seit „September 2015“ aufgehört über den „September 2015“ zu sprechen? Spahn tut, als würde etwas totgeschwiegen. Er meint die massenhafte Aufnahme von Fliehenden damals, und behauptet allen Ernstes, darüber sei nicht genügend diskutiert und gestritten worden?

An dieser Stelle kommt ein Geständnis: Für einen Kolumnisten bin ich ziemlich mundfaul. Jenseits der geschriebenen Welt kennt man mich kaum als Plaudertasche. Aber nicht nur deshalb kann ich mich seit „September 2015“ des Eindrucks nicht erwehren, dass über die Masseneinwanderung seit 2015 sehr wohl recht viel, nun, kommuniziert worden ist. Für meinen persönlichen Geschmack sogar zu viel, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich … streiten.

Bei solchen Verbaltorten wird es nichts mit Spahns Kandidatur. Während der Gesundheitsminister noch damit beschäftigt ist, Umstände zu beschreiben, die es nicht gibt, ist sein Kontrahent Friedrich Merz, der auch kandidieren wird, an ihm vorbeigezogen und hat verbale Nägel in die Wand gedroschen – ob man diese mag oder nicht.

Was, wenn Merkel wirklich weg ist?

Die aktuelle Leere bei manchen Konservativen kann ich gut verstehen. Da wird tagein, tagaus das Mantra des „Merkel muss weg“ gemurmelt bis gerufen – und nun macht sich die Dame davon, jedenfalls kündigt sie es an. Was kommt danach? Einen ähnlich guten Slogan wird es so rasch nicht geben. „Kramp-Karrenbauer muss weg“? Klingt nicht wie ein Gassenhauer. Aber jenseits des Rückzugs von der Macht ist schon die Frage zu stellen, was nach Merkel kommen wird. Schließlich stimmt die schlichte Formel: Je mehr und intensiver über die Politik der Kanzlerin im Land diskutiert wurde, desto weniger fand dies in ihrer Partei statt. Die CDU wurde bei ihrem Kurs in die Mitte durchgeschüttelt wie ein Storch in der Waschstraße; allein dies erklärt die zumindest kurzfristige Begeisterung, die der kernige Merz entfacht.

Jetzt also wird wieder diskutiert in der CDU. Käme Spahn an die Macht, bliebe er zwar, was er ist: jedenfalls kein Konservativer. Aber einer, der so tut und deshalb Parolen raushaut. Merz dagegen wäre an der Macht ein Konservativer, der es nicht nötig hätte dies zu unterstreichen und stattdessen mehr die Mitte im Blick hätte. Und Annegret Kramp-Karrenbauer wäre Garantin, dass es unter ihr bleibt, wie es unter Merkel war.

Annegret Kramp-Karrenbauer ist seit Februar 2018 Generalsekretärin der CDU und will nun Parteivorsitzende werden. (Getty Images/Andreas Rentz)
Annegret Kramp-Karrenbauer ist seit Februar 2018 Generalsekretärin der CDU und will nun Parteivorsitzende werden. (Getty Images/Andreas Rentz)

Dennoch könnten sich die Koordinaten im Land verschieben, unabhängig von Personalrochaden. Denn es ist die Art, wie wir reden – und worüber. Ein Gradmesser dafür ist eine in Deutschland aufkommende Debatte über den UN-Migrationspakt.

Über den wäre eigentlich nicht viel zu reden. Es handelt sich um ein Dokument mehr symbolischen Charakters, nichts Bindendes ist an ihm – es ist ein Versuch, der globalen Migration eine Richtschnur in die Hand zu geben, eine Art Skizze, wie es am besten liefe. Denn die Frage, ob man nun jemand über die eigene Grenze reinlässt oder die Grenze dicht macht, sagt noch nichts darüber aus, ob man einen Plan hat.

Würdeloses aus Wien

Nun hat die türkis-blaue Regierung Österreichs überraschend angekündigt, sich aus dem UN-Migrationspakt zurückzuziehen. Die Wiener Koalition aus Christdemokraten und Rechtspopulisten meint, Österreich müsse selbst entscheiden, wer zuwandern dürfe. Klingt einleuchtend, geht aber nach dem oben beschriebenen Spahn-Prinzip vor: Erfinde eine Bedrohung und blas sie auf.

Denn im UN-Migrationspakt ist unmissverständlich „souveräne Recht der Staaten bekräftigt, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen“. Ferner definiert die Präambel, dass die Vereinbarung rechtlich nicht bindend ist. Klar, der Text ist voller wachsweicher Formulierungen, an denen österreichische Diplomaten seit 2016 aktiv beteiligt gewesen waren, 2017 hatte Sebastian Kurz, der heutige Kanzler, den Pakt noch begrüßt.

Es sind Formulierungen, die keine Souveränität aushöhlen. Wien jedoch ist aufgewacht, erinnert sich nicht mehr an die eigene Arbeit bei den UN beziehungsweise meint, und das ist typisch rechtspopulistisch, mit Halbwahrheiten und Verschwörungsgesäusel kurzfristigen politischen Erfolg zu erzielen. Daher heißt es aus der Regierung, aus weichen Zielvorgaben könne Völkergewohnheitsrecht werden. Das ist natürlich Quatsch. Völkergewohnheitsrecht kann nur werden, was Staaten tun. Und da kann Österreichs Regierung weiter werkeln, wie sie will.

Inwiefern ein Rechtsruck in Deutschland geschieht, wird sich auch daran ablesen, ob wir uns eine ähnlich bescheuerte Debatte über den UN-Migrationspakt leisten wie in Österreich. Ich ahne es bereits: Mancher Leser, der in diesem Moment von diesem „Pakt“ zum ersten Mal erfährt, wird darin eine Verschwörung von „UN-Eliten“ zum „Austausch“ von Bevölkerungen nur deshalb sehen, weil ich darüber schreibe. Es ist zum Verzweifeln, für ungefähr zwei Minuten. Dann geht das Leben weiter.

Im globalen UN-Migrationspakt geht es nirgends um eine Quantität von Migration, also nicht darum, wie viele Menschen wohin sollen oder nicht. Es geht darum, die faktische Migration zu steuern, zu ordnen und vor allem die Ursachen von Migration anzugehen. Aber das ist lästiges Kleingedrucktes für jene, denen die Aufregung besser schmeckt als die Wahrheit.

Der Lackmustest für Deutschland beginnt.

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