Kommentar: Normalisiert die politische Frau!

Schauspielerin Senta Söneland mobilisiert zur Wahl der Nationalversammlung am 19.1.1919 (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-18594-0048 / Gircke, W. / CC-BY-SA 3.0)
Schauspielerin Senta Söneland mobilisiert zur Wahl der Nationalversammlung am 19.1.1919 (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-18594-0048 / Gircke, W. / CC-BY-SA 3.0)

Am 19.1.1919 durften Frauen das erste Mal in Deutschland wählen. Das wird jetzt nach 100 Jahren groß gefeiert, als großartige Errungenschaft. Aber fördert nicht genau das, dass die politische Frau als “Ausnahme” stagniert?

Fragt man in Deutschland nach der politischen Frau, findet man sie. Unsere Kanzlerin, Frau Merkel, geht als erste Amtsinhaberin ihres Geschlechts in die Geschichte ein. Nach gut 14 Jahren Kanzlerschaft fühlt es sich doch ganz normal an, eine Frau als Regierungsoberhaupt zu haben, oder? Nein.

Es ist selbst nach 100 Jahren nicht der Anflug von Gleichberechtigung zu vernehmen. Negativschlagzeilen über Frauen in der Politik beziehen sich meist auf ihr Frau sein. Oder es wird gefeiert, wenn eine Frau in die Politik geht, weil sie eine Frau ist. Ich persönlich feiere Alice Weidel im AfD-Parteivorstand nicht, egal ob sie eine Frau ist oder nicht.

“Nun begann ein neues Leben!” – Das waren die Worte von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann im Jahre 1919. Sie gehören zu den Frauen, die maßgeblich zu diesem Gesetz beigetragen haben. Ja, nun dann, wo beginnt das neue Leben und wo hört es auf?

Aufhören, das tut es bei Studien, die ermitteln, dass das Frauenwahlverhalten entscheidende (und natürlich negative) Veränderungen in der Politik brachte, oder bei rechten Parteien, die die Hausfrau als ungebildete Mutter zuhause verschanzen wollen.

Nach 100 Jahren: Wird der Trend rückläufig?

Bei all der Euphorie die bei den Feierlichkeiten anlässlich dieses 100. Jahrestages emporsteigt, empfinde ich trotzdem Unmut. Wir starteten 1919 mit einem Frauenanteil von 9% in das Parlament, dann gab es mit Eintritt der Grünen in den Bundestag ab 1983 einen rapiden Anstieg bis zu 36,5% im Jahr 2013, mit der letzten Wahl kam aber wieder ein Abfall auf 30%.

Fordern Politiker*innen die Gleichstellung durch eine 50/50-Quote, wird gerade von männlicher Seite laut aufgeschrien: Das würde ja auch inkompetente Frauen in die Politik holen. Ja, dann wären wir an dieser Stelle auch endlich gleichberechtigt!

Es deprimiert, dass die politische Frau nahezu immer noch als Ausnahme gefeiert wird. So nehme ich auch im Bekanntenkreis war, dass Frauen sich diese “Bürde” des politisch sein oft nicht zutrauen. Weil sie zu emotional seien und Männer das besser machen würden.

Über 14 Jahre nach dem Amtsantritt Angela Merkels werden Frauen in der Politik immer noch als Ausnahmeerscheinungen gesehen (Bild: Reuters/Alkis Konstantinidis)
Über 14 Jahre nach dem Amtsantritt Angela Merkels werden Frauen in der Politik immer noch als Ausnahmeerscheinungen gesehen (Bild: Reuters/Alkis Konstantinidis)

Und denke ich an meine Schulzeit im Politikunterricht zurück, wurden dort auch nicht die maßgeblichen Impulse für eine politische weibliche Ader gesetzt. Die politisch Frau ist in der üblichen Darstellung laut, temperamentvoll, emotional und generell einfach kein Mann. Das wird das Problem sein. Deswegen ist sie besonders.

Nach der Einführung war die Wahlbeteiligung von Frauen weit über 80%. 2017 war sie bei knapp 70%. Leider wird diese Zahl durch ältere Frauen hochgetrieben, Jungwählerstimmen schwinden. Dieses Modell “Entweder politisch oder nicht” geht auf. Entweder interessiert man sich vollends dafür, oder halt nicht. Oder im schlimmsten Falle setzt man das Kreuz da wo der Mann es setzt.

Männer sind Politiker, Frauen machen Politik

Woran das liegt? Die politische Struktur ist männlich geprägt. Der Vollblutpolitiker, der nur für sein Amt lebt, und die Frau, die Politik macht. Aber was ist mit Kindern? Hat sie einen Ehemann? Kann man das vereinen? Geben die Institutionen überhaupt alles her, was Frauen brauchen, um es zu vereinen? Fakt ist, Mütter und kinderlose Frauen müssen Politik machen können. Und sie können es auch.

Vielleicht ist es das Multitasking, das irritiert und den Politiker an Inkompetenz denken lässt. Aber: Falsch. Demokratie lebt von Vielfalt und der Gleichstellung von Mann und Frau. Und das sollte selbstverständlich sein, das wiederhole ich nur allzu gerne.

Ich weiß nicht, wie viele Tweets ich schon lesen musste, in denen Politikerinnen Babys stillten und riesige Aufschreie auslösten. Die eine Seite schreit: WOW, schaut euch diese Frau an, so besonders! Und die andere fragt, ob sie so überhaupt fähig sei, Politik zu machen.

Staatssekretärin Sawsan Chebli wird regelmäßig öffentlich angefeindet (Bild: Michele Tantussi/Getty Images)
Staatssekretärin Sawsan Chebli wird regelmäßig öffentlich angefeindet (Bild: Michele Tantussi/Getty Images)

Und wenn wir zu PoC-Politikerinnen kommen, wird’s noch wilder. Als bestes Beispiel dient hier Sawsan Chebli. Eine Frau zu sein, als auch eine ethnische Vielfalt zu besitzen, scheint Angriffsfläche genug zu sein. So schrieb der nun ehemalige ÖVP-Mandatar Efgani Dönmez auf die Frage, wie Chebli in ihr Amt kam: “Schau Dir mal ihre Knie an…”

Egal wie kritisiert dieser Tweet dann wurde, er wurde zunächst verfasst und vielfach bejaht. Und er erfüllt die Prämisse: Frau kann doch nicht einfach Politik. Sie braucht den starken Mann oder soll ihn besser direkt selbst machen lassen.

Ich möchte mich nicht mehr darüber freuen müssen, wenn eine Frau es in gehobene Ämter schafft. Ich will es als Alltag. Dementsprechend fordere ich: Normalisiert die politische Frau!