Kommentar zum Pokal-Aus - Neuers Umgang mit seinem fatalen Fehler ist das wahre Problem der Bayern
Manuel Neuer fliegt vom Platz, der FC Bayern aus dem Pokal. Der erste Titel ist für die Münchner futsch. Der Torhüter entschuldigt sich für seinen spielentscheidenden Fehler, zeigt aber keinerlei Selbstreflexion. Sein Umgang mit sich mehrenden Patzern ist fatal für den FC Bayern.
Sein Blick verriet ihn. Unmittelbar nach dem Zusammenstoß mit Jeremie Frimpong schaute Manuel Neuer mit großen Augen in Richtung Schiedsrichter Harm Osmers. Ein Unschuldsgesicht, das auf Milde des Referees hoffte.
Sein berüchtigter Reklamierarm blieb unten, ein weiteres Zeichen, dass Neuer wohl wusste, dass jeglicher Protest zwecklos war. Die Rote Karte war unausweichlich.
Neuer fliegt, Bayern verliert
Die Notbremse des Keepers im Achtelfinal-Topspiel des DFB-Pokals gegen Titelverteidiger Bayer Leverkusen war spielentscheidend. Ab der 17. Minute musste der FC Bayern gegen die dominierende Mannschaft der Vorsaison in Unterzahl antreten. Ein fast unmögliches Unterfangen.
Neuer entschuldigte sich bei seinen Mitspielern, vor allem beim nach der Szene ausgewechselten Leroy Sané , schon auf dem Platz „bei dem einen oder anderen“, wie er hinterher in der ARD verriet . „Das ist natürlich spielentscheidend“, weiß Neuer und wiederholte: „Das tut uns weh, und das tut mir natürlich leid.“
Neuer fehlt die Selbstreflexion
Seine Entschuldigung ehrt ihn. Seine Erklärung für die Szene und seinen Fehler offenbart allerdings ein viel größeres Problem. Neuer fehlt die Selbstreflexion – und das kann in dem Stadium seiner Karriere verheerend sein.
„Ich glaube, am Ende fehlt der richtige Kontakt mit dem Ball bei mir. Frimpong hatte keinen richtigen Kontakt zum Ball. Ich versuche, ihn nicht anzugehen. Ich stand da und dann kam der Pfiff und ich habe die Rote Karte bekommen“, versuchte Neuer zu erklären.
Ein genauer Blick auf die Szene zeigt: Frimpong ist gerade im Begriff, den Ball mit der Brust mitzunehmen und wird in dem Moment rücksichtslos von Neuer umgerannt. Dabei wird der Leverkusener noch von Konrad Laimer verfolgt, der nach Frimpongs Ballmitnahme entscheidend hätte stören können. Der Ausflug von Neuer ist also völlig unnötig.
Neuer, der Libero
Diese Ausflüge sind aber eben Neuers Interpretation des Torwartspiels. Mit dieser Art wurde er zum besten Torhüter seiner Generation, für viele sogar der beste aller Zeiten. Wie oft hat er auf diese Weise den FC Bayern oder die deutsche Nationalmannschaft gerettet?
Wir alle haben doch das WM-Spiel 2014 gegen Argentinien noch immer vor Augen. Neuer, der Libero. Der Argentinier Gonzalo Higuain hat auf seiner Schulter bestimmt noch Spuren von dem Einschlag aus dem Finalspiel. Heute, zehn Jahre später, wäre er nach Eingriff des Videobeweises auch vom Platz geflogen.
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Aber das ist für das heutige Bayern-Problem irrelevant. Relevanter ist, dass Neuer eben nicht mehr der Neuer von vor zehn Jahren ist. Es fehlen ein paar Prozentpunkte Spritzigkeit, ein paar Prozentpunkte Timing, eine paar Prozentpunkte Entschlossenheit.
Neuer steht hoch. „Ich stehe immer hoch, eigentlich stehe ich die ganze Zeit hoch“, sagte er selbst schon fast verteidigend.
Nach Patzern schiebt Neuer die Schuld von sich
Schon nach der Niederlage gegen Aston Villa in der Champions League erklärte er seinen spielentscheidenden Patzer so. Bei Dazn sagte er damals: „Ich glaube, wer alle Spiele bislang von uns gesehen hat, weiß, dass ich bei genau jedem Spiel so gespielt habe. Von daher ist es auch bisschen so unser Spiel und gerade im Ballbesitz sehr wertvoll und auch gegen den Ball. Ich glaube, dass er ihn sehr gut getroffen hat. Vielleicht kann ich zwei Meter weiter hinten stehen, aber das wäre trotzdem ungewiss, ob ich ihn bekomme.“
Botschaft: Nicht er ist das Problem, sondern das System. Nicht er müsse sich anpassen, sondern das System. Damit macht es sich die langjährige Nummer Eins des deutschen Tores zu einfach.
Neuer entschuldigt sich zwar, zeigt aber nach individuellen Fehlern keine Einsicht. Nach dem dramatischen Halbfinal-Aus in der Champions League in der Vorsaison gegen Real Madrid, als Neuer kurz vor Schluss bei einem harmlosen Schuss danebengriff, schob er die Schuld auf einen Maulwurf im Stadion (ja, kein Witz!).
„Eine Institution auf dem Prüfstand“
Schon im Sommer stand der „Unantastbare“ daher in der Öffentlichkeit zur Nationaldebatte. Er bekam von Bundestrainer Julian Nagelsmann im DFB-Tor den Vorzug vor Marc-André ter Stegen für die Heim-EM. Dann wackelte er in den Testspielen gegen die Ukraine und Griechenland. „Eine Institution auf dem Prüfstand“, titelte das ZDF.
Dass Neuer weiterhin zu Weltklasse und überirdischen Aktionen fähig ist, bewies er dann all seinen Kritikern während des Turniers. Auch in dieser Saison zeigte er oft starke Leistungen, hielt bis zum 1:1 gegen Borussia Dortmund siebenmal in Folge seinen Kasten sauber – erstmals seit 2012.
"Zu 99,9 Prozent trifft er die richtigen Entscheidungen“, sagte Joshua Kimmich nun nach dem Pokal-Aus in der ARD und erhob „keinen Vorwurf“ gegen seinen Kapitän. Die 0,1 Prozent kommen aber immer öfters vor, vor allem in entscheidenden Spielen. Und vor allem bei fehlender Selbstreflektion.