FOCUS Briefing von Thomas Tuma - Lang und Nouripour dürfen erst der Anfang sein: Wir brauchen noch viel mehr Rücktritte

Omid Nouripour und Ricarda Lang sind als Vorsitzende der Grünen zurückgetreten.<span class="copyright">Fabian Sommer/dpa</span>
Omid Nouripour und Ricarda Lang sind als Vorsitzende der Grünen zurückgetreten.Fabian Sommer/dpa

Wenn es mit der deutschen Industrie endgültig den Bach runtergeht, könnten wir unser Rücktritts-Knowhow internationalisieren. Und es gäbe so viele Gründe für weitere berechtigte Rücktritte in Berlin: von Inkompetenz über Ahnungs- bis Erfolglosigkeit.

Warum ist eigentlich Grünen-Co-Chef Omid Nouripour zurückgetreten? Er hat doch gar nichts gemacht.

Wenn Sie das schon lustig finden, muss ich vielleicht ergänzen: Er hat weder seiner Partei noch dem Land geschadet. Für seinen melancholischen Teddybären-Blick kann er ebenso wenig wie für die Grünen-Politik, die er zweieinhalb Jahre lang erklären musste. Und dass er die Ampel in einem Anfall von Ehrlichkeit „Übergangsregierung“ nannte, muss man ihm wirklich nicht vorwerfen.

Warum also trat der 49-Jährige zurück – und seine Co-Parteichefin Ricarda Lang samt Bundesvorstand gleich mit? Sie opferten sich für ihren Kanzlerkandidaten in spe, Robert Habeck . Das Schöne daran: Alle konnten auf diese Weise so tun, als ginge es gar nicht um Macht oder Schuldzuweisungen, sondern um Verantwortung, Neuanfang, Höheres .

Meist wirkt das Am-Amt-kleben viel würdeloser

Mittlerweile kam der Partei sogar die komplette Vorstandsspitze ihrer Grünen Jugend abhanden, die bis runter in die Landesverbände zudem Parteiaustritte ankündigte. Dem Öko-Nachwuchs unterstelle ich, dass er schlicht beleidigt ist: wegen seiner Partei, die einfach nicht mehr so ultraorthodox links sein will wie er selbst. Aber auch wegen uns Wählern, weil wir nicht kapieren, was gut für uns wäre ( viel mehr Flüchtlinge, Bürgergeld, Gendern, Pazifismus und in dubio pro Hafermilch ).

Im Fall Grüne Jugend hält sich meine Bestürzung zwar in Grenzen. Aber Rücktritt können wir Deutschen.

Okay, es mag Ausnahmen geben wie den früheren CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer , der einfach alle Maut-Pleiten aussaß, bis es nichts mehr zurückzutreten gab, weil irgendwann einfach die Regierung wechselte. Oder Olaf Scholz, der alles vergaß zu Cum-ex etc. Aber meist wirkt das Am-Amt-kleben viel würdeloser als ein Schlussstrich mit reeller Chance für einen Neuanfang.

Eine Zeit lang war es hier zu Lande en vogue, sich schon wegen krümeligen Plagiaten in Doktorarbeiten zu verabschieden ( von Karl-Theodor zu Guttenberg bis Franziska Giffey ). SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ging ebenso wie die Grünen-Familienministerin Anne Spiegel, was beiden zumindest noch mehr Hohn und Hetzjagden ersparte.

Für jeden Monat, den die Ampel regiert, ließe sich locker ein Abgangsgrund finden

Ich finde, wir bräuchten noch viel mehr Rücktritte. Wenn das mit der deutschen Industrie endgültig den Bach runtergeht, könnten wir unser Rücktritts-Knowhow internationalisieren. Hat viel Potenzial.

Ohne jetzt Namen nennen zu wollen – es gäbe so viele Gründe für weitere sehr berechtigte Rücktritte in Berlin: von Inkompetenz über Ahnungs- bis Erfolglosigkeit. Für jeden Monat, den die Ampel weiter regiert, ließe sich locker ein Abgangsgrund samt Minister finden.

Apropos Regierung: Nachdem sich seine Parteispitze als Bauernopfer verabschieden musste, sagte Habeck ganz ernst: „Wir alle tragen Verantwortung, auch ich.“ Das habe ich leider missverstanden. Der Satz sollte nämlich gar nicht seinen eigenen Abschied einleiten.

Er will sich damit nur unentbehrlich machen als Löser jener Probleme, die er selbst verursacht hat. Hatte ich schon Selbstüberschätzung als validen Rücktrittsgrund genannt? Noch wäre auch für ihn ein Abgang mit Anstand und Aussicht auf Resozialisierung möglich, oder?

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