Kommentar: Thüringens Landtag holt sich seine Haltung wieder

Da wählte er wohl sich selbst: Bodo Ramelow von der Linken bei der Ministerpräsidentenwahl der thüringischen Landtagsabgeordneten (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Da wählte er wohl sich selbst: Bodo Ramelow von der Linken bei der Ministerpräsidentenwahl der thüringischen Landtagsabgeordneten (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

In Erfurt wurde es heute spannend: Ministerpräsidentenwahl, mal wieder. Die letzte ließ ja ein paar Köpfe rollen. Diesmal überwog aber der Wille nach Stabilität.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Überraschung ist ausgeblieben. Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident der vergangenen Jahre, ist von den Abgeordneten des Landtags mit einfacher Mehrheit im dritten Wahlgang gewählt worden: Weil die FDP gar nicht erst zum Stimmzettel griff, die CDU sich enthielt und Linke, SPD und Grüne hinter ihm standen. Björn Höcke, der Kandidat der AfD, konnte in den ersten beiden Wahlgängen wohl nur die Stimmen seiner eigenen Fraktion auf sich ziehen und trat im dritten nicht mehr an.

Echt jetzt. Anfang des Jahres drangen Nachrichten aus Erfurt, die klangen noch ganz normal und vernünftig. Sie vermeldeten, alles laufe auf eine Minderheitsregierung hinaus, die CDU werde sich einer Kabinettsbildung nicht in den Weg stellen. Eine eigene Chance hatten die Christdemokraten ja nach ihrer krachenden Niederlage bei den Landtagswahlen nicht; die AfD schied wegen ihrer Systemfeindschaft als Gesprächspartner aus, und die FDP erschien glücklich genug, es gerade noch mit ein paar Stimmen überhaupt in den Landtag geschafft zu haben.

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Dann aber schlug die Stunde der Underdogs. Es war vor vier Wochen. Die Linken waren die Gewinner der Landtagswahl, logisch also, dass sie ihre Regierungsverantwortung fortsetzen sollten – in Ermangelung einer Alternative. Dass CDU und FDP einen Politiker der Linken nicht aktiv wählen wollen, ist ihr gutes Recht. Sie hätten sich nur im dritten Wahlgang enthalten müssen, denn dann hätte die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen gereicht. Doch an diesem Punkt kam Hybris ins Spiel.

Lust am Untergang

Der FDP-Fraktionschef, dessen Namen ich bereits vergessen habe, besaß die Kreativität zu kandidieren, wurde von der AfD damit aufs Glatteis gelockt, welche nämlich wiederum ihren eigenen Kandidaten nicht wählte, sondern ihn: Plötzlich hatte er die meisten Stimmen. Klar, dass dies ein billiger Trick war, denn noch klarer war, dass FDP und CDU nicht vorhatten, mit den AfDlern um Hobbyführer Björn Höcke eine Regierung zu schmieden (was ja den Sinn von Ministerpräsidentenwahlen in Landtagen ausmacht).

Der FDP-Fraktionschef jedenfalls war so blöd, die Stimmen der Rechtspopulisten anzunehmen. Der Rest ist bekannt. Er trat rasch zurück, die FDP rauschte in einen bundesweiten Umfragenkeller, Parteichef Christian Lindner steht desavouiert da, und CDU-Landeschef Mike Mohring trat ebenso den Rückzug an wie es die mit in den Abgrund gezogene Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer nun tut.

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Nun also ein Reset. Das, was schon Anfang des Jahres so klar schien wie Thüringer Kloßbrühe, sollte heute endlich gelingen. Die FDP blieb ihrer Gewissenlosigkeit treu und kündigte an, bei der Wahl gar nicht erst Stimmen abzugeben: Es standen ja nur Ramelow für die Linken und Höcke für die AfD zur Wahl. Nicht abstimmen ist zwar ein Recht von Abgeordneten, aber nicht Sinn und Zweck ihres Daseins. Man kann ja auch wählen, indem man sich enthält. Doch die Freidemokraten hofften wohl einen Effekt à la Pontius Pilatus zu erzielen und ihre Hände in Unschuld zu waschen. Schon komisch: Vor vier Wochen nahm die FDP für die eigene Macht gar Stimmen der AfD in Kauf, heute verweigert sie sich minimalster parlamentarischer Verantwortung. Nebenbei lassen die Freidemokraten den Eindruck zu, ein Politiker der Linken sei ihnen genauso unwillkommen wie einer der AfD, oder genauer: ein gemäßigter demokratischer Sozialist sei ihnen so spinnefeind wie ein Faschist. Auweia.

Damit richtete die FDP die Scheinwerfer auf die eh gebeutelte CDU: Denn wenn klar ist, dass FDP-Abgeordneten nicht wählen, ist der Weg der CDU-Stimmen leichter zu verfolgen.

Jetzt ging es um die Leute

Und die CDU, die in den vergangenen Wochen einen beachtlichen Schlingerkurs in den vorzeitigen Niedergang gefahren ist, musste sich offenbaren. Sie kündigte an, Ramelow nicht als Fraktion zu wählen, zeigte sich aber offen, dass einzelne Abgeordnete ihn im ersten Wahlgang wählen. Dies war auch notwendig geworden, weil die siegestrunkene Linke engstirnig agierte: Ramelow werde nur in einen ersten Wahlgang eintreten, kündigte er an, alles weitere sei würdelos. Dabei wollte man die CDU zwingen, gegen einen Beschluss der Bundespartei zu gehen, der eine Zusammenarbeit mit den Linken ausschließt.

Zum Glück hat Ramelow die eigene Engstirnigkeit abgeworfen und das Recht der CDU, ihn nicht zu wählen und dennoch nicht destruktiv dazustehen, anerkannt. Also kündigte er an, auch in einen zweiten oder dritten Wahlgang zu gehen – und in diesem letzten könnte endlich ein Ministerpräsident Ramelow dastehen, der nicht aktiv von der CDU gewählt werden musste.

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Schließlich war nur eines eindeutig: Die Leute wollen Stabilität. Sie wollen keine Spielchen, die Landesparlamente verächtlich machen wie es die AfD tat. Auch keinen bloßen Machtdurst wie den der kleinen FDP. So lag es nun an der CDU, Haltung zu zeigen, im Sinne der Stabilität. Das ist ihr heute gelungen.

Warum Höcke von der AfD nicht im dritten Wahlgang antrat, kann nur spekuliert werden. Vielleicht wollten die Rechtspopulisten der CDU einen Weg aufzeigen, doch noch bei der letzten Wahl mit dem einzigen Kandidaten Ramelow mit “Nein” zu stimmen; bei einem Fraktionsmitglied scheint dies gelungen zu sein: Ramelow erhielt eine Neinstimme mehr als erwartet. Oder die AfD sucht nach einem Manöver, nachträglich die Wahl durch das Landesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Chaos scheint die scheinbar die Ordnung liebende Partei zu lieben.