Ein Kommentar von Ulrich Reitz - Mit ihrer kopflosen AfD-Wut machen Linke die Rechtsextremen noch stärker

Alice Weidel, AfD-Bundessprecherin, und Björn Höcke, AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, nehmen an einer Demonstration der AfD als Wahlkampfabschluss teil<span class="copyright">dpa</span>
Alice Weidel, AfD-Bundessprecherin, und Björn Höcke, AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, nehmen an einer Demonstration der AfD als Wahlkampfabschluss teildpa

Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen wird die Debatte über die AfD immer hitziger. Dabei geschieht genau das, was ihr am meisten nutzt.

Die AfD ist keine normale Partei, man sieht es auch daran, dass es regelmäßig und besonders seit den beiden Landtagswahlen heftige Reaktionen auf sie gibt. Diese fallen umso heftiger aus, je selbstbewusster deren Repräsentanten auftreten. Wurde die so genannte Nazi-Keule öfter geschwungen als in dieser Woche?

Eine leitende ZDF-Journalistin bemühte angesichts der 30 Prozent für die AfD den Einmarsch der Hitler-deutschen Armeen in Polen und den millionenfachen Judenmord. Pardon, aber dass die AfD die Wiederkehr der NSDAP sei und deren Ziel die Ausrottung ganzer Völker, steht in keinem Verfassungsschutzbericht. Hat das Öffentlich-Rechtliche nicht einen Bildungsauftrag?

AfD-Bashing wird zur NS-Verharmlosung

Der sozialdemokratische Bundesgesundheitsminister verglich den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke in einer Talkshow mit Joseph Goebbels, ohne dass diese  - im Übrigen auf falschen Zitaten basierende - NS-Verharmlosung geahndet wurde.

Markus Lanz konnte es kaum fassen, wie der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla bei ihm in der Sendung über die Waffen-SS redete. Und ein renommierter Militärexperte wähnt sich daraufhin nur noch ein kleines Stück weit von dem Moment entfernt, an dem Adolf Hitler nicht mehr als Menschheitsunglück gilt.

Carlo Masala: „Wir sind noch zwei Talkshows davon entfernt zu diskutieren, ob Hitler wirklich ein Verbrecher war.“ Nein, sind wir nicht und manchmal wünscht man sich inzwischen einen ruhigen, versierten Historiker als Sofort-Faktenchecker im Talkshow-Hintergrund.

Dazu wird von Journalisten längst so etwas erfunden wie eine rhetorische Kontaktschuld. Wenn Friedrich Merz von Messerangriffen spricht und Markus Söder im Festzelt von Gillamoos über die Grünen herzieht, findet “Zeit”-Journalistin Jana Hensel, die beiden redeten „als wären sie bei der AfD“.

Die “taz”-Journalistin Sabine am Orde, eine eigentlich besonnene innenpolitische Beobachterin, kommentiert einen Tweet von Merz über die auch kriminellen Folgen von Migration: „Der Sound nähert sich beängstigend der AfD an.“

Merz spricht nur die harte Wahrheit aus

Dabei hat Merz mit keinem einzigen Wort irgendetwas sachlich Falsches gesagt, hier sein Zitat: „Fast täglich passieren Messerangriffe, im Jahresdurchschnitt gibt es zwei Gruppenvergewaltigungen am Tag. Oft begangen von Migranten, denen jeder Respekt fehlt vor Frauen und vor unserer Kultur. Das müssen wir beenden! Der unkontrollierte Zustrom muss gestoppt werden.“

Neu am Merz-Sound ist lediglich dies: Niemand aus der eigenen Partei widerspricht mehr dem CDU-Vorsitzenden. Die ungeschminkte Realität über die auch kriminellen Folgen der Einwanderung auszusprechen, ist in der Union Common Sense geworden. Merz selbst nennt es einen Neuanfang nach der Merkel-Zeit, damit scheinen Linke noch zu fremdeln. Dafür landet er nun in der Nazi-Ecke. Es ist einfach nur maßlos.

Eine führende “Spiegel”-Journalistin geht den langjährigen, seriösen „Tagesthemen“-Mann Ulrich Wickert, eher ein Linksliberaler, an, der im Fernsehen neben ihr sitzend behauptet hat, Frauen trauten sich mittlerweile nicht mehr auf den Hamburger Jungfernstieg. „Haben Sie mit allen Hamburger Frauen gesprochen, konfrontiert ihn Melanie Amman. Bemerkenswerter Nebenaspekt daran: die Spiegel-Frau glaubt offenbar eher an die Ungefährlichkeit von Migranten als an die Gefährdung von Frauen durch dieselben. Manchmal wünscht man dem Feminismus wieder eine stärkere Stimme.

Ein SPD-Mann mit Klartext

Angesichts dessen kann der Duisburger Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir vielleicht froh sein, dass er bislang unter dem Radar der Hamburger Sagbarkeitswächterin geblieben ist. Zur Einordnung: Der Mann ist nicht nur Sozialdemokrat, sondern auch noch Parlamentarischer Staatssekretär bei Nancy Faeser. Die Ministerin sagt übrigens aktuell, man könne mit ihr inzwischen bei der Migration über so gut alles reden. Mit Bob Dylan: “Times, they are changin”.

Jedenfalls, Özdemir postete bei Facebook dies: „Wir können nachvollziehen und erläutern, warum ausländische Straffällige immer noch im Land sind und nicht in ihr Heimatland zurückgeführt wurden. Die Menschen fühlen sich aber unsicher, wenn sie Volksfeste besuchen und Ansammlungen von respektlosen, vorwiegend ausländischen Männern ihnen im Stadtteil den Gehweg versperren, während unsere Bevölkerung im eigenen Stadtteil außen rumläuft.“

Für Menschen, die in der Städtelandschaft im Ruhrgebiet wohnen, wo wie an keinem anderen deutschen Ort erfahren wurde und wird, wie Integration geht und wie nicht und was sich seit ein paar Jahren geändert hat im Straßenbild und im Sicherheitsgefühl, ist, was Özdemir da aufschreibt, nicht neu. Möglicherweise aber für manche Journalisten in Berlin Mitte.

Was Berliner Sozis leugnen

Für mich geradezu rührend ist die Bemerkung des Duisburger Sozialdemokraten Özdemir, der sich völlig korrekt und dabei doch über die bedrohlichen Neuzugänge echauffierend als „unsere Bevölkerung“ identifiziert, womit gemeint ist: Gerade auch integrierte Migranten, wie es Staatssekretäre mit Spitzengehalt nun einmal sind, werden aktuell zu Opfern des öffentlichen Dominanzgebahrens der post-integrativen Migrantenwelle seit 2014 ff.

Man muss wissen, dass die SPD in Duisburg noch ist, was sie in Berlin schon längst nicht mehr ist und im Osten noch nie war: Volkspartei. Was ist eine Volkspartei? Die politische Formation, die noch genau weiß, was in den Stadtteilen ihrer Großstädte läuft. Und was nicht mehr.

Özdemir sagt auch, was die Sozialdemokratie in Berlin lange leugnete: „Wir versuchen zu relativieren, dass das Bürgergeld eigentlich gar nicht höher ist als ehrliche Arbeit.“ Wann haben eigentlich Sozialdemokraten in Berlin von „ehrlicher Arbeit“ im Unterschied zu leistungslosem Stütze-Empfang geredet? Früher war es aber genau das, was die Arbeiterpartei SPD zur Arbeiterpartei machte.

AfD-Vertreter werden jetzt gerne mit fragwürdigen Einschätzungen ihrer Parteifreunde zur NS-Zeit konfrontiert. So auch der AfD-Chef Chrupalla, als er aufgefordert wurde, sich bei Lanz zur Waffen-SS zu äußern. Masala macht daraus, wenn man diesen Diskursraum öffne, laufe es auf eine Relativierung der NS-Geschichte hinaus.

Chrupalla und sein Auftritt bei Lanz

Nun hält Chrupalla keine Vorträge über die NS-Vergangenheit mit dem Ziel, diese zu verharmlosen. Bei Lanz hat er dies gesagt: „Natürlich war die SS eine verbrecherische Organisation. Da gibt es doch überhaupt keine Diskussion. Aber es hat nicht jeder, der Mitglied der SS war, Verbrechen begangen.“ In den letzten Kriegsjahren seien Kinder in die Waffen-SS zwangsverpflichtet worden, die keine Kriegsverbrechen begangen hätten. Das ist mehr oder weniger der Stand der Wissenschaft, jedenfalls kaum ein Anlass, Chrupalla einen „Vogelschiss“-Skandal (wie weiland Alexander Gauland) anzudichten.

Dazu als Beleg der Ausschnitt einer “Spiegel”-Geschichte von 2013, die sich mit der Vergangenheit des jahrelangen Tatort-Kommissars „Derrick“ in der Waffen-SS beschäftigte. Horst Tappert war, was er zeitlebens verschwieg, sogar Mitglied einer Totenkopf-Division. Das waren die, die oft auch noch lustvoll alle Grausamkeiten gerne auch persönlich begangen, die man sich nur bei übelster Phantasie noch ausdenken kann.

Der “Spiegel” schrieb: „Das Vorgehen der Waffen-SS war verbrecherisch. Doch die alleinige Mitgliedschaft wurde später nicht als Verbrechen gewertet. In einem Nürnberger Urteil vom 30. September 1946 heißt es: ‘Der Internationale Militärgerichtshof erklärt die Personengruppe als verbrecherisch im Sinne des Statuts, die offiziell als Mitglieder in die SS aufgenommen wurden (...) einschließlich der Mitglieder der Allgemeinen SS, der Waffen-SS, der SS-Totenkopfverbände und der verschiedenen Polizeiabteilungen.’ Ausdrücklich ausgenommen wurden all jene, die ‘vom Staat auf solche Art in die Reihen der SS gezogen wurden, dass ihnen keine andere Wahl blieb und die keine Verbrechen begingen’.”

Wir haben ein Migrationsthema

Die AfD ist erfolgreich. Sie wurde in den vergangenen Jahren auch stets erfolgreicher. Alle bisherigen Versuche, sie klein zu halten, sind gescheitert. Die AfD lebt davon sehr gut, dass sie vom „Establishment“ mit Empörungsgesten belegt wird, bisweilen solchen, die einem Faktencheck nicht standhalten.

Inzwischen kann man wohl von einer Diskursvergiftung sprechen, vielleicht auch von einer durch linke Eliten, Journalisten, die sich eher als Antifa-Aktivisten begreifen, gehören leider dazu. Die Folge ist, dass man bei aller zur Erbauung der eigenen Freundeskreise gepflegten Empörung aus dem Blick verliert, was wichtig ist.

Es gibt ein Migrationsthema, das nicht nur ein Kommunikationsproblem ist, wie der Kanzler meint.   Dafür eine Lösung zu finden und darüber darum auch ungeschminkt zu sprechen, ist Aufgabe demokratischer Parteien. Liefern die nicht, machen es eben andere.

Gerade läuft es nicht schlecht für die AfD.