Kommentar von Ulrich Reitz - Ein Manöver sagt mehr über Olaf Scholz aus als alles andere
Der Bundeskanzler will ein zentrales seiner wenigen Rechte wegdelegieren. Die beiden Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union sollen entscheiden, wann Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt. Damit vermengt Scholz Parteifragen mit Staatsdingen.
Es gibt nicht so viele Sachen, die ein Bundeskanzler ganz allein entscheiden kann. Der deutsche Regierungschef ist längst nicht so mächtig wie der amerikanische Präsident, was man gerade an Donald Trump studieren kann. Aber dieses eine Recht gibt das Grundgesetz dem Bundeskanzler: nach Artikel 68 feststellen zu lassen, ob er Inhaber der Richtlinienkompetenz noch die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament auf seiner Seite hat.
Wenn das nämlich nicht mehr der Fall ist, kann der Bundeskanzler wollen, was er will, durchsetzen kann er es nicht mehr. Der Kanzler hat fertig.
Scholz hat fertig und muss jetzt selbst entscheiden
Scholz hat fertig seit dem Moment, als er seinen Bundesfinanzminister aus seiner Regierung geworfen hat. Bis auf einen, Volker Wissing, haben die liberalen Minister das Scholz-Kabinett nach Christian Lindners Rauswurf freiwillig verlassen, damit im Übrigen auf eine üppige Ministerpension verzichtend.
Jedenfalls: Der Bundeskanzler hat im Parlament keine Mehrheit mehr. Um das feststellen zu lassen, stellt Scholz die Vertrauensfrage. Das macht alles Sinn. Denn Scholz könnte weiter regieren, ohne Frage – er bräuchte gar niemanden um Erlaubnis zu bitten.
Niemand könnte Scholz als Bundeskanzler einer Minderheitenregierung entlassen. Es gäbe nur eine Möglichkeit, den SPD-Mann an der Regierungsspitze loszuwerden: Das Parlament müsste ihn mit Mehrheit durch einen anderen Bundeskanzler ersetzen.
Die Vertrauensfrage und das konstruktive Misstrauensvotum stehen in unserer Verfassung im Verhältnis zueinander – sie sichern die Stabilität des demokratischen Systems. Und der Kanzler entscheidet selbst, ob und falls ja, wann der die Vertrauensfrage stellt.
Was, falls sich Mützenich und Merz nicht einigen?
Dieses ureigene Recht will Scholz jetzt delegieren – an die beiden Fraktionsvorsitzenden von SPD und Union. Über diese beiden – aktuell Rolf Mützenich und Friedrich Merz – ist zu sagen: Sie kommen in der deutschen Verfassung nicht vor.
Und zwar deshalb, weil die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes es nicht wollten, dass ein Bundeskanzler von seinem Recht auf Vertrauenstest dadurch Gebrauch macht, dass er de facto nicht davon Gebrauch macht. Scholz sagte bei Caren Miosga dazu diesen Satz: „Wenn sich Mützenich und Merz einigen, daran werde ich mich orientieren.“
Daran knüpfen sich Fragen. Diese: Was, falls sich Mützenich und Merz nicht einigen? Stellt der Bundeskanzler dann die Vertrauensfrage – oder lässt er es bleiben? Und falls er sie auch bei Nicht-Einigung dieser beiden zu stellen beabsichtigt – wann dann? Bleibt es bei seiner alten Ankündigung, also Januar?
Was heißt „orientieren“? Sagt Scholz: Aha, Mützenich und Merz haben sich geeinigt, sie schlagen mir vor, noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage zu stellen, aber das finde ich doch zu früh, weil: Die Bürger sollten erst einmal „geruhsam“ (hat Scholz wirklich gesagt) Weihnachten feiern – obwohl die Hälfte von ihnen keiner der beiden christlichen Kirchen noch angehört.
Scholz ersetzt sein Recht durch eine Kungelrunde hinter verschlossenen Türen
Scholz könnte sich auch dahingehend „orientieren“, dass ihm eine Einigung nicht gut genug ist, weil der Fraktionsvorsitzenden-Konsens etwa eine Rentenreform nicht beinhaltet. Die Merz ablehnt, weshalb er sich mit Mützenich auch darüber nicht einigen kann.
Schließlich: Heißt „orientieren“, dass doch nicht Merz und Mützenich entscheiden, sondern Scholz allein? Und falls ja – nach welchen Kriterien?
Kurzum: Der Kanzler hat durch seine zentrale Aussage bei Miosga über die Vertrauensfrage – und die anschließenden Neuwahlen – keine Klarheit geschaffen, sondern: Unordnung gestiftet. Einen Raum der Interpretation ausgerechnet an einem heiklen Punkt, wo Raum für Interpretationen nach der Vorstellung des Grundgesetzes gerade nicht herrschen sollte.
Die Verfassung gibt dem Kanzler die Möglichkeit, für Klarheit zu sorgen – und das vor aller Augen: im und für den Bundestag, und für die Öffentlichkeit. Scholz ersetzt dieses Recht durch eine Kungelrunde hinter verschlossenen Türen.
Habeck hat – instinktsicher – einen weiteren Punkt gemacht
Deutschland ist aber keine Kungelrunden-Republik, jedenfalls nicht in diesen Staatsdingen. Man kann und muss eine gewisse Ernsthaftigkeit erwarten. Die allerdings ist Scholz schon schuldig geblieben, als er seinen Finanzminister nicht nur hinauswarf, sondern ihm auch noch allerhand persönliche und charakterliche Defizite bescheinigte.
Das war mit der Würde des Amtes schwer zu vereinbaren.
Robert Habeck, der Dritte aus dem Ampel-Regierungstrio, hat in eine Kamera gesagt, er sei nicht damit einverstanden, die Vertrauensfrage an die Erfüllung bestimmter sozialdemokratischer Lieblingsprojekte zu knüpfen.
Damit hat Habeck – instinktsicher – einen weiteren Punkt gemacht. Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Staatsdingen und Parteipolitik. Scholz hat beides vermischt. Und allein dadurch demonstriert, dass dieses Amt ihn überfordert.
Mit dem Staat spielt man nicht
Die Union tut gut daran, dieses willkürliche Geschacher rundheraus abzulehnen. Mit dem Staat spielt man nicht, man instrumentalisiert auch nicht Staatsangestellte für parteipolitische Zwecke – auch keine Bundeswahlleiterin.
Denn allein der Anschein der Intervention bringt diese Frau in einen unhaltbaren Zustand: Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass ein Wahltermin frei von parteipolitischen Erwägungen festgelegt wird. Wenn nicht einmal mehr das funktioniert, wie sollen dann noch überhaupt Gesetze ans Laufen kommen?
Dass Polen uns Papier anbietet, um eine Bundestagswahl abhalten zu können, hat die Grenze zur Satire überschritten. Deutschland macht sich lächerlich, der Kanzler trägt durch sein Taktieren rund um ein wertvolles Verfassungsrecht Verantwortung dafür.
Scholz hat mit seiner Wurschtigkeit Deutschland einen Bärendienst erwiesen, er hat das Land, dort draußen über Jahrzehnte gerühmt für dessen Organisationskraft und Verlässlichkeit, der Lächerlichkeit preisgegeben.
Scholz sollte ganz einfach zurücktreten.