Kommentar: Und dann kam - nichts

Die Neuseeländer solidarisieren sich eindrucksvoll mit ihrer muslimischen Community (Bild: AFP/David Lintott)
Die Neuseeländer solidarisieren sich eindrucksvoll mit ihrer muslimischen Community (Bild: AFP/David Lintott)

Manchmal wünsche ich mir in der deutschen Politik ein bisschen bessere Selbstinszenierung à la Emmanuel Macron oder Justin Trudeau. Beschämt lese und höre ich mich durch die Reaktionen der Politik bezüglich des Attentats im neuseeländischen Christchurch und wünsche mir, im Namen eures Egos, inszeniert euch solidarisch, ihr Seehofers und Nahles.

50 Personen sterben durch Schusswunden, sie sterben, weil sie Muslime sind. Der Täter bezog sich explizit auf seine rechten und antimuslimischen Parolen, viele Menschen haben das Video oder Ausschnitte davon gesehen. Bei solch einer Tat bleibt eigentlich nur eins: Solidarität und politische Konsequenzen. Wie das funktioniert, zeigt die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Sie zögerte nicht, fuhr nach Christchurch, zog ein Kopftuch an und trauerte gemeinsam mit den Hinterbliebenen. Sie weinte mit, sie zeigte Fassungslosigkeit und benannte es als das, was es ist: Terror.

Terror = ISIS

Terror, das ist dieses von den westlichen Medien geprägte Wort, das jeder Mensch nur beim Hören mit Islam, ISIS, Verschleierung und Islamisierung verbindet. „Das war ein Einzeltäter, das kann gar kein Terror sein, das war ein Wahnsinniger.“ Ach, und die Person, die das im Namen von ISIS, tut ist kein Irrer? Diese Reaktionen zeigen, wie es um die Muslime in der Gesellschaft bestellt ist. Die Reaktionen der deutschen Politik noch viel mehr.

Verurteilt euer Urteilsvermögen

Überall lese ich “…verurteilt den Anschlag/Terror.” Ich bin dabei in erster Linie dankbar, dass die Medien mehrheitlich von Terror sprechen. Aber die banalen, sporadischen Bekundungen machen mich wütend. “Ein Angriff auf alle.” So der Tenor von Andrea Nahles. Nein, Frau Nahles, von antimuslimischem Terror sind Sie nicht betroffen, außer Sie zeigen sich solidarisch mit den Opfern. Ein Tweet der alle anderen Menschen auch einbezieht, weil diese nun auch im Mittelpunkt stehen sollten, gehört nicht dazu.

Die Kanzlerin äußerte: “Angriff auf Betende und ihre Gotteshäuser.” Wieso wird hier betend unterstrichen? So ganz nach dem Motto: Wenn wir sie als fromm bezeichnen können, können wir uns mit ein paar Zeilen solidarisieren.

Horst Seehofer sieht kein größeres Problem mit Islamfeindlichkeit in Deutschland (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch)
Horst Seehofer sieht kein größeres Problem mit Islamfeindlichkeit in Deutschland (Bild: Reuters/Fabrizio Bensch)

Horst Seehofer, Innenminister, sagte Folgendes: Nach seiner Ansicht lebe der Großteil der Menschen in Deutschland friedlich miteinander. Bezüglich des Attentats fügt er hinzu, dass islamfeindlichen Straftaten mit aller Härte entgegengetreten werden müsse.

Nun würde ich behaupten, die Passage “der Großteil” kann ganz kreativ interpretiert werden. Statistisch gesehen beträgt der Anteil der muslimischen Menschen in Deutschland circa 6%. Ob man das dem friedlich miteinander lebenden Großteil zurechnen kann? Fraglich. Und nette Geste des Innenministers, mit einer solch tatkräftigen Meinung das Attentat zu verurteilen. Komisch jedoch ist, dass die Demokratie nur dann in Gefahr ist, wenn die Täter eine andere Hautfarbe als weiß haben.

Friedlich Betende

Weitere Minister äußerten sich meist über Twitter oder Instagram über den geschehenen Terror. So formulierte Außenminister Heiko Maas:

Vorweg: Was möchte er mit “friedlich betende Muslime” ausdrücken? Gibt es unfriedlich betende? Welche Zielgruppe soll diese Aussage haben? Maas möchte das ausdrücken, was auch Andrea Nahes und Co. wollen: Ihr sporadisches Beileid bekunden, weil das eben ihr Job ist, aber dabei bloß nicht allzu sehr den Menschen in Deutschland auf den Schlips treten, die mit dem Islam mal so gar nichts anfangen können.

Irgendwo in meinem Kopf gibt es diese Utopie, die sich vorstellen kann, dass Angela Merkel oder Horst Seehofer Moscheen besuchen, solidarisch sind, trauern und zeigen, dass die Gemeinschaft besteht.

Ihre Abwesenheit bezeugt, dass dies gerade in Deutschland nicht existiert. Auf Social Media sieht man Bilder des kanadischen Premierministers Trudeau, der gemeinsam mit kanadischen Muslimen trauerte und sprach.

Natürlich hat diese Art von Solidarität mit Marginalisierten auch einen selbstinszenierenden Beigeschmack, aber in Zeiten von Demokratie und wiederkehrenden Wahlkämpfen bietet das auch keine große Angriffsfläche. Denn politische und aufmunternde Worte der Staatsoberhäupter sind ein wichtiger Teil des Ganzen. Repräsentation ist das Zauberwort.

“Und was ist mit euch?”

Nach aufmunternden, stärkenden Worten und starken Regierungspersonen suche ich hier vergeblich. Aber ich wünsche es mir. 950 Angriffe auf Moscheen im Jahre 2017, 587 in den ersten drei Quartalen 2018. Laut der Regierung haben die meisten Fälle einen rechtsradikalen Hintergrund. Aber der Großteil lebt friedlich miteinander, mit den friedlich betenden Moscheen neben den friedlichen Rechtsradikalen, die doch nur wütend und verunsichert sind.

Paradoxerweise begegneten mir nach dem Attentat auch folgende Vorwürfe: “Und was ist denn mit euch?” Warum sollen wir uns solidarisieren, wenn Muslime auch keine Demos veranstalten nach islamistischen Terroranschlägen? Als muslimische Person ist niemand verantwortlich dafür, Demos zu initiieren, wenn so etwas passiert. Das erwartet aber auch wirklich niemand von der Gegenseite. Aber diese Forderungen zeugen von der tiefen gesellschaftlichen Spaltung, zu der auch deutsche Politiker ihren Teil beitragen.

Jacinda Ardern beweist in Zeiten der Trauer Menschlichkeit und Führungsstärke (Bild: TVNZ via AP)
Jacinda Ardern beweist in Zeiten der Trauer Menschlichkeit und Führungsstärke (Bild: TVNZ via AP)

Im Namen einer Religion oder Ideologie Terror auszuüben, ist und bleibt einfach Terror. Solidarisieren, Verurteilen und Trauern hat nichts mit Schuldzuweisungen zu tun, sondern ist schlicht und einfach menschlich und eint. Daran mangelt es in dieser Regierung arg. Wie fatal das internationale Wegschauen und verharmlosen des antimuslimischen Rassismus ist, hat Neuseeland gezeigt. Ein Wachrütteln generell ist nicht zu erwarten, aber solche Situationen zeigen, welche Länder starke Regierungen haben und welche nicht. Ardern und Trudeau gehören definitiv dazu.

Es bleibt leider eine Frage der Zeit, bis solch verheerende Ausmaße auch in Deutschland herrschen. Recherchen von unter anderem der “taz” deckten rechtsradikale Netzwerke auf, deren Spuren auch im Attentat von Christchurch wiederzufinden sind. Auch NSU 2.0 findet statt, doch die Politik schaut weg. Eine Tragödie, zu wissen, dass derartige Ereignisse passieren müssen wie in Christchurch, um auch in Deutschland eine neue Attitüde gegen antimuslimischen Rassismus zu erwirken. Aber das ist nunmal die Realität unserer großteils friedlichen Gesellschaft.