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Kommentar: Unsere Weihnachtsmärkte haben sich verändert

Solange sich in puncto Kitsch alle einig sind, eignen sich Weihnachtsmärkte hervorragend zur Integration (Bild: AP Photo/Matthias Schrader)
Solange sich in puncto Kitsch alle einig sind, eignen sich Weihnachtsmärkte hervorragend zur Integration (Bild: AP Photo/Matthias Schrader)

Wie soll das eigentlich gehen mit der Integration? Auskunft gibt unser aktuell Heiligstes: der Weihnachtsmarkt. Ein Frontbericht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gestern machte ich einen Realitätscheck. Wir leben oft in den Tag hinein, gedankenverloren und schwupp: ist plötzlich alles digitalisiert, eine Menge Fremder auf der Straße und der Döner auch nicht mehr, was er einmal war.

Da hilft nur den Anker zu werfen, und zwar an einem bekannten Ort. Fernglas raus und schauen, inwiefern sich die alte Stätte verändert hat. Mich zieht es seit Jahren zum gleichen Weihnachtsmarkt, und diese Plätze haben sich zu neuralgischen Punkten unserer Gesellschaft entwickelt; zumindest zahlreichen Medienberichten zufolge.

Syrer wagen sich aufs Eis

Auf meinem Weihnachtsmarkt war ganz schön was los. Vielen Leuten scheint es nicht schlecht zu gehen, man haute an den Buden ordentlich rein. Es gab denselben herrlichen Duft aus gebrannten Mandeln und Fettwurst, doch auf der Schlittschuhbahn bemerkte ich eine erste Veränderung: Es waren doch nicht wenige Syrer auf dem Eis. Die meisten hielten sich an der Außenwand fest und bewegten sich im Schneckentempo fort, diesen neuartigen Instrumenten an ihren Füßen noch nicht recht trauend.

Sie hielten sich wacker. Fielen hin, standen brav auf. Lachten. Und erfuhren so ganz integrationswillig, was einen Weihnachtsmarkt ausmacht. Übrigens heißt mein Weihnachtsmarkt genauso. Obwohl Religiöses dort so wenig über allem schwebt wie die Regierungslust über der FDP, käme niemand auf die Idee, ihn in einen Lichtermarkt umzubenennen, wie die AfD hier und da unkt.

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Die Beispiele, wo konkret ein Weihnachtsmarkt, also eine traditionsreiche und christliche Bezeichnung, schnöde einen anderen Namen erhielt, habe ich bisher nicht mitgekriegt. Ich vermute: Das denken sich die Leute von der AfD nur aus, damit sie meckern können, irgendwo muss das Abendland ja in Gefahr sein. Ähnlich verhält es sich in Österreich mit dem Nikolaus, jedes Jahr schlägt die FPÖ, das rechtspopulistische Pendant zur AfD im Alpenland, Alarm: Angeblich werde der Nikolaus verbannt – eben aus falscher Rücksicht vor „dem Islam“. Das wird er natürlich nicht. Und dennoch versucht die FPÖ es halt. Wann merken eigentlich die Leute, dass man sie für dumm verkaufen will?

Pirouette sitzt noch nicht

Jedenfalls kam ich nicht umhin, den Syrern auf dem Eis eine astreine Integrationsleistung zu attestieren, wenn mich jemand fragte. Eher negativ fielen einige bleichgesichtige Teenager auf, die ihre Mädchen mit Pirouetten zu beeindrucken suchten, oder was sie dafür hielten. Die hielten den Betrieb auf dem Eis auf. Und wenn sie hinfielen, standen sie nicht wie die Syrer sofort auf.

Solch Integration verlangt ja mancher von den zu uns Geflüchteten, die sollen wissen, woraus das Abendland besteht – und ein Weihnachtsmarkt ist ebensolches in Duftkultur.

Da verstehe ich einige Meldungen der vergangenen Tage nicht. In Thüringen hat eine Gruppe einen Syrer angegriffen, weil der sich auf einem Weihnachtsmarkt erdreistet hatte, an einem Stand deutsche Bratwurst überm Grill umzudrehen. Nun gehörte er zum Personal, er wurde dafür bezahlt, aber eine deutsche Wurst, so dachte sich wohl die Meute, will nicht von jedem angefasst werden. Ist ein sensibles Wesen.

Ungefähr so dünnhäutig wie jene Leute, die in Berlin einen Aufstand wegen eines neuen Spielplatzes versuchten. Die Kinder durften in einem Votingverfahren entscheiden, welches Motto der Spielplatz tragen sollte, und sie entschieden sich für „Ali Baba und die 40 Räuber“ – also für Holzgeräte, von denen eines einen orientalischen Kuppelbau mit Halbmond trug. „Jetzt werden schon Spielplätze zu religiösen Einrichtungen“, twitterte die Berliner AfD-Fraktion besorgt; es folgte die übliche Hetze.

Kleine Baustilkunde

Ich verstehe diese Leute nicht. Ali Baba ist eine Figur aus der Geschichtensammlung Tausendundeiner Nacht, sie gehört zu den Klassikern der Weltliteratur, und religiös ist daran nichts. Die Kuppel ist ein rein architektonisches Merkmal, auch christliche Kirchen oder jüdische Synagogen wurden im Orient so gern gebaut. Und dass der Halbmond ein islamisches Symbol sei, würde spätestens Mecki bestreiten, um einen Klassiker der deutschen Literatur zu bemühen: Der berühmte Igel aus der TV-Zeitschrift „hör zu“ bereiste in einem 1959 erschienen Buch den Mond, und im Werk tummelt es sich vor Kuppelbauten und Halbmonden. Wir können also die Kirche im Dorf lassen.

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Ähnlich töricht verhalten sich übrigens Zeitgenossen, die meinen, in einer Nichtanerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels einen Kniefall vor dem Islam, vor dem Terror oder whatever zu sehen; über solche Sicht kann ein christlicher Palästinenser, dessen Familie in Ostjerusalem seit Generationen lebt, nicht einmal müde lächeln.

Vielleicht könnten wir, zur Weihnachtszeit, mehr auf uns schauen als auf andere. Das ist schwer, ich weiß. Aber wenn eine Polizeimeldung, wieder von einem thüringischen Weihnachtsmarkt, zurecht kaum große Wellen schlägt, weil sie die Festnahme eines Mannes zum Inhalt hat, dem andere zu Hilfe kamen und wiederum die Polizisten attackierten – wie groß würde man diese Nachricht blasen, wenn es sich um Geflohene handelte?