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Kommentar: Verbrennen von Fahnen - Sowas macht der feine Antisemit nicht

Anti-Israel-Protest in Berlin (Bild: Getty Images)
Anti-Israel-Protest in Berlin (Bild: Getty Images)

Donald Trumps Jerusalem-Entscheidung führte zu israelfeindlichen und judenfeindlichen Demos in Deutschland. Und zu einem Aufschrei. Was machen wir nun damit?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Zum Glück leben wir in Zeiten, wo alles auf den Tisch kommt. Da lässt sich nichts mehr verstecken. Man liebte bisher nur heimlich Schnaps? Jetzt ist er der letzte Schrei und du darfst dich Connaisseur nennen, wenn du ihn schlürfst. Dich beschleicht ein schlechtes Gefühl im Angesicht schwarzer Haare deines Nachbarn? Jetzt darfst du dich einen besorgten Bürger nennen. Du hattest schon immer einen Knacks, wenn du an Juden dachtest? Da bist du nun in feiner Gesellschaft.

Nein, mit den arabischen Prolls von der Straße hast du nichts zu schaffen, die sind dir zu primitiv. Das Verbrennen von Israelfahnen ist nicht dein Stil, auch nicht das grölende Adressieren von Morddrohungen an einen Staat, als wäre er ein Mensch.

Hass ernährt sich selbst

Die Proteste gegen die Entscheidung Donald Trumps, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, wurden hauptsächlich von Arabern in Deutschland auf die Straße getragen. Da mischte sich Wut mit Hass. Wut von den Kindeskindern vertriebener Palästinenser, die noch in Berlin die Schlüssel zu ihren ehemaligen Häusern aufbewahren; dass sie Freunde von Besatzungspolitik werden, ist kaum zu erwarten. Und Hass, der nicht von Ohnmacht getrieben ist, sondern sich in seiner Niederträchtigkeit selbst ernährt.

Kommentar: Antisemitische Proteste in Deutschland – ISIS hui, Israel pfui?

Von diesen Protesten hat sich die deutsche Öffentlichkeit, da bist du mittendrin, distanziert. Und das ist auch gut so. Zuerst überraschte mich, wie einhellig Politiker Stellung zu den Hassparolen bezogen. Später beschlich mich indes der mulmige Verdacht, dass diese Verurteilungen so eindeutig geschahen, weil es leicht fällt: Es sind ja die Araber, denen kann man eben auf die Finger hauen. Wenn es aber darum geht, antisemitische Vorfälle als solche zu benennen – dann wird man vorsichtiger; eine Ohrfeige, ein Mobbing, ein Überfall auf Juden bleibt dann nach Behördenlesart oft nur ein Überfall und nicht einer, weil sie Juden sind. So bleibt das Strafregister judenrein. Nicht eine Gesetzesverschärfung bräuchten wir, sondern ein Beistehen mit Juden.

Das Böse ist weit weg

Antisemitismus bleibt indes den Orientalen und den deutschen Meganeonazis vorbehalten, uns Westentaschenberockte geht das nichts an. Antisemitismus bleibt ein Monster, darunter geht es nicht. „Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben“, markierte der Linken-Politiker Diether Dehm, und der Publizist Jakob Augstein schrieb einmal: „Der Antisemitismus-Vorwurf wird inflationär gebraucht.“

Man will ja selber keiner sein. Alles unter Auschwitz ist dann also normal, oder? Ein Übellauniger übrigens, der bei einem der jüngeren Tweets Augsteins schlechtes denkt: „À propos Rechtsstaat: Bei aller Empörung – das Verbrennen ausländischer Fahnen ist nicht grundsätzlich verboten. Mal einen Blick ins StGB werfen, §104“

Vielleicht sollte Twitter seine Politik überdenken und zu den 140 Zeichen zurückkehren, das ließe die Gemeinheiten ein wenig eindämmen. Bei aller Empörung, Augenzwinker, was soll diese Rechtsbelehrung im Schatten der Hassausbrüche? Dass alles, was nicht grundsätzlich verboten ist…?

Da überrascht es kaum, dass Augstein in einem noch jüngeren Tweet schreibt: „Vor einigen Jahren sah es so aus, als sei Israel im Westen isoliert. Heute kann man feststellen, dass sich im Gegenteil der Rest des Westens auf einen israelischen Weg begeben hat.“

Was ist nun neu?

Faszinierend, was solch ein kleiner Staat wie Israel alles bewirken kann. Nicht nur, dass sich Kolumnisten wie wir uns daran abarbeiten, nein, die ganze Welt israelisiert sich also, was natürlich nichts Gutes bedeuten kann. Augstein meint damit den Trend, statt auf die Stärke des Rechts auf das Recht des Stärkeren zu setzen – vielleicht meint er Trumps Politik. Ansonsten ist dieser Trend durchaus oft zu beobachten, nur ist er eben eine neue Rechtspopulisierung unserer Politik und kein „israelischer Weg“, denn dass Israel im Umgang mit Palästinensern und seinen arabischen Nachbarn auf das Recht des Stärkeren setzt, ist kein neuer Trend. Das ist jahrzehntelange Praxis. Daran hatte sich der Westen doch längst gewöhnt.

Kommentar: Jerusalem kann Hauptstadt für alle sein

Aber ich vergaß: Diese Praxis zu beschreiben, das gehe angeblich nicht. Oder in den Worten Augsteins: „Aber wenn jede Kritik an israelischer Besatzungspolitik antisemitisch ist, hört Antisemitismus auf, etwas Verwerfliches zu sein.“ Es ist ein Irrtum zu meinen, man „dürfe“ eine Kritik nicht üben. Mich hinderte bisher niemand daran, rassistische Politik in Israel zu kritisieren, die Ungleichbehandlung der Palästinenser, die Besatzung des Westjordanlands und die Isolierung Gazas; glaube nicht, dass mich das zum Antisemiten machte.

Ich wäre womöglich ein Antisemit, redete ich den ganzen und jeden Tag davon, sähe nicht anderes Unrecht in der Nahostregion und vor allem in meiner deutschen Heimat. Ich wäre vielleicht einer, erkennte ich nicht an, wie vorbildlich Israel übrigens für die gesamte arabische Welt in anderen Belangen dasteht. Und ich wäre sicherlich einer, wünschte ich mir, dass Antisemitismus aufhört etwas Verwerfliches zu sein.