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Kommentar: Warum Atomkraft keine Zukunft hat

Protest gegen das Atomkraftwerk Philippsburg: Ende des vergangenen Jahres wurde es nun abgeschaltet (Bild: Reuters)
Protest gegen das Atomkraftwerk Philippsburg: Ende des vergangenen Jahres wurde es nun abgeschaltet (Bild: Reuters)

Eine verlockende Technologie – aber voll schlimmer Gefahren und nicht ausreichend zu kontrollieren: Kernenergie gehört abgeschaltet.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sauber ist die Atomkraft – auf den ersten Blick. Ein magisch anmutendes Spiel mit den Grundelementen der Chemie, und am Ende entsteht eine unglaublich reichhaltige Energieform, während aus den Schornsteinen Wasserdampf quillt. Atomkraft ist voller Verheißung. Man denkt dabei an Raumschiffe, die sich wie durch nichts bewegen, wie bei Captain Future. Oder an das Perpetuum Mobile bei Jim Knopf. Und dennoch werden gerade in Deutschland Atomkraftwerke abgeschaltet. Zum Jahresende war der Meiler im baden-württembergischen Philippsburg dran, Block Zwei wurde endgültig runtergefahren; stattdessen wird nun kurzfristig wohl Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen importiert. Soll das wirklich die Zukunft sein?

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Für die Atomkraft, so märchenhaft sie klingt, gibt es jedenfalls keine, und zwar aus guten Gründen:

  1. Auf den zweiten Blick schädigt auch sie die Umwelt, und zwar jeden Tag.

  2. Ihre Technologie ist nicht beherrschbar.

  3. Geht etwas schief, geschieht nicht einfach ein Unfall, sondern droht eine Katastrophe.

  4. Atomkraftwerke sind kaum sicherbare Ziele für Terroristen, dann: siehe Punkt 3.

  5. Durch Atomkraft entsteht ein strahlender Restmüll und damit ein Problem, das wir Menschen in Jahrzehnten nicht gelöst haben und den Generationen nach uns für Abertausende von Jahren aufbürden.

Am Anfang stand ein großes Versprechen. 1957 gründen sechs Länder in Westeuropa, darunter die Bundesrepublik, die „Europäische Atomgemeinschaft“ (EURATOM). Wohlstand für alle sollte die neu entdeckte Energieform bringen. Und dann wurde geklotzt. Mit riesigen Subventionszahlungen wurden Atommeiler und Wiederaufbereitungsanlagen gebaut – dagegen sind die Hilfsgelder für die Windkraftbranche weniger als ein laues Lüftchen. Atomkraft kostet. Vergleichsweise günstig wird zwar der Atomstrom produziert. Zieht man aber die Subventionen und die Folgekosten für die Gesellschaft ab, sind Energieträger wie Sonne oder Wind jedoch viel billiger.

Ein Erdbeben und der anschließende Tsunami demonstrierten in Fukushima, wie schnell es durch Einwirkung von Außen zur Katastrophe kommen kann (Bild: Reuters/Yomiuri Shimbun)
Ein Erdbeben und der anschließende Tsunami demonstrierten in Fukushima, wie schnell es durch Einwirkung von Außen zur Katastrophe kommen kann (Bild: Reuters/Yomiuri Shimbun)

Doch diese Erkenntnis setzte sich jahrelang nicht durch. Zu stark wirkte noch das Versprechen von 1957. Doch dann kam das Jahr 2011.

Im japanischen Fukushima ereignete sich ein Reaktorunfall, ein Erdbeben und anschließende Tsunamiwellen hatten für Kernschmelzen gesorgt. Das Ergebnis: Ungefähr 100.000 bis 150.000 Einwohner mussten das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Hunderttausende in landwirtschaftlichen Betrieben zurückgelassene Tiere verhungerten.

Diese Bilder riefen eine verdrängte Erinnerung hervor: an die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986. Wegen Fehlern im Betrieb explodierte der Reaktor; wie viele Menschen starben, ist unbekannt. Über hundert Kraftwerksangehörige und Feuerwehrleute starben, zahllose Menschen wurden evakuiert und eine Atomwolke schwebte über Europa. Radioaktivität tötet: Die Schätzungen der durch den Atomunfall verursachten Krebstoten variiert zwischen 4000 und 60.000. Noch heute ist die Gegend verseucht. Und noch heute sterben Menschen an den Folgen.

2011 kam dann die Wende. Der Mensch lernt halt durch Erfahrungen, wie beim Anfassen einer heißen Herdplatte. Ein Fukushima in Frankfurt oder Tschernobyl in Tschernitz? Lieber nicht. Seitdem sieht man in Deutschland keine Zukunft mehr für die Atomkraft, bis 2022 sollen alle Meiler abgeschaltet werden. Das ist keine unrealistische Rechnung, denn die regenerativen Energien holen rasant auf und Atomstrom hat einen Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland von 11,7 Prozent – das ist nicht wenig, aber auch nicht viel.

Gedenkfeier für die Opfer des Unglücks von Tschernobyl am 26. April 2019 (Bild: Reuters/Valentyn Ogirenko)
Gedenkfeier für die Opfer des Unglücks von Tschernobyl am 26. April 2019 (Bild: Reuters/Valentyn Ogirenko)

Allerdings soll jetzt eine komplette Energiewende geschafft werden. Das heißt: Eigentlich müssen wir weg von der Kohle, denn diese Energieerzeugung setzt jene CO2-Emissionen frei, die uns die Klimabilanz verhageln und einen nicht geringen Anteil am Klimawandel haben. Kohle ist Dreck. Und könnte da nicht Atom einspringen?

Nein. Schauen wir uns mal die Folgen dieser Verlockung genauer an.

Die angebliche Sauberkeit

Für Atomkraft braucht man Uran. Das ist ein schwer radioaktives Schwermetall, und dessen Abbau in der Erde vergiftet Luft, Wasser und Böden. Das Zeug strahlt. Um es für Kraftwerke benutzen zu können, muss es angereichert werden und dafür lange Transportwege zurücklegen; währenddessen strahlt es weiter. Und auch im Alltagsbetrieb geben Kraftwerke Radioaktivität ab - zwar in geringen Dosen, aber es handelt sich nicht um irgendetwas: Seit Jahren ist bekannt, dass die Krebsraten von Kindern, die im Umkreis von Kraftwerken leben, erhöht sind. Zufall?

Die angebliche Kontrollierbarkeit

Der Wissensfortschritt des Menschen raubt den Atem. Vieles gelingt uns. Technisch sind wir dermaßen auf der Überholspur, dass wir das kaum verarbeiten können. Atomkraft aber ist uns, zumindest immer noch, eine Nummer zu groß für die zivile Nutzung. Es soll ja meinetwegen damit geforscht werden. Aber bei der Energiegewinnung wird es immer den Faktor Mensch geben, und wir sind halt keine Maschinen (und auch die machen Fehler). Irgendwann gibt es eine Unachtsamkeit, ein nicht einkalkuliertes Phänomen – und dann ist mit den Folgen zu kämpfen.

Die angebliche Harmlosigkeit

Die Unfälle von Tschernobyl und Fukushima sind nur Sinnbilder dessen, was passieren könnte. Fällt ein Windrad um, könnte es eine Kuh töten. Explodiert ein Kernkraftwerk, macht es seine Umgebung unbewohnbar. Es wird immer ein Restrisiko bestehen – und daher ist die Frage zu beantworten: Ist diese Kraft dieses Risiko wert? Denn bei der Atomkraft kann es zum großen Knall kommen. 1992 gab die Prognos AG eine umfassende Studie heraus: Man schätzte die Möglichkeit eines Unfalls mit breiter Verstrahlung auf einmal in 1700 Jahren. Die Kosten eines solchen Unfalls bezifferte die Studie auf 2,6 bis 6,1 Billionen Euro, das war das dreifache des damaligen Bruttosozialprodukts in Deutschland. Der „Schadenserwartungswert“ lag also bei 3,3 Milliarden Euro im Jahr, bittschön auf den Atomstrom aufzuschlagen. Im Mai 2012 veröffentlichte aber das Max-Planck-Institut für Chemie eine Studie, wonach das Risiko katastrophaler Kernschmelzen wie in Tschernobyl und Fukushima wesentlich höher ist als bisher abgeschätzt, und zwar einmal in 10 bis 20 Jahren – oder 200 mal häufiger als bisher angenommen.

Die angebliche Sicherheit

Zum Faktor Mensch gehört auch die terroristische Bedrohung. Es ist mitnichten auszuschließen, dass ein kompetent geführter Terroranschlag gegen ein Atomkraftwerk versucht werden könnte. Von Leuten, die eben vernichten wollen. Unmöglich ist das nicht, nicht wahr? Oder wie ein ehemaliger Vorgesetzter von mir einmal sagte: Ich habe schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen. Atomkraftwerke, auch die in Deutschland, sind nicht besonders geschützt. Mit einer gewissen Logistik können sie „geknackt“ werden. Und dann?

Die angebliche Lagerfähigkeit

Noch immer entstehen in Deutschland jedes Jahr 230 Tonnen verbrauchter Brennelemente. Bis zum Ende der zivilen Atomnutzung werden wir allein in Deutschland 29.000 Kubikmeter stark radioaktiven Atommülls produziert haben. Das lässt sich nicht leicht entsorgen. Bisher hat man jedenfalls keine überzeugende Lösung gefunden. Das Zeug strahlt ja, und das Tausende Jahre lang. Ich hatte mal den Job, als Berichterstatter des Bundestags jeder Sitzung des so genannten Gorleben-Untersuchungsausschusses beizuwohnen, über zwei Jahre lang. Heraus kam, wie schludrig man in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts nach einem Endlager für Atommüll gesucht hatte und sich aus nicht gerade sicherheitsrelevanten Gründen heraus für den Salzstock in Gorleben entschieden hatte. Heute sucht eine Kommission noch immer nach einem Standort. Und sie muss einen finden, irgendwohin muss das Zeug ja. Und wir wollen noch mehr davon?

Besser also, wenn wir die Finger davon lassen. Das mag konservativ klingen. Aber auch Grenzen müssen erkannt werden. Austesten können wir sie in der Wissenschaft. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass es viele neue kreative Ideen bei der Energiegewinnung geben kann. Atomkraft erscheint da als alter Hut.