Kommentar: Warum Christian Lindner absichtlich missverstanden wird

Christian Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag am Wochenende (Bild: dpa)
Christian Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag am Wochenende (Bild: dpa)

Seit gut elf Jahren engagiere ich mich schon ehrenamtlich in der Entwicklungs- und Flüchtlingshilfe. Am Anfang war da der westafrikanische Staat Liberia – ein Land, welches damals aus einem langen, brutalen Bürgerkrieg kam und zu dem ich über persönliche und berufliche Kontakte einen besonderen Bezug hatte. Als Ex-Unternehmer hatte ich allerlei Tiefschläge und Enttäuschungen hinter mir, und so wuchs in mir das Bedürfnis, endlich etwas Konstruktives und Positives zu tun. Etwas Bleibendes. etwas, das anderen hilft. Diese Motivation brachte mich übrigens auch zum Journalismus.

Als erstes half ich dem gebeutelten Staat dabei, eine Ständige Vertretung (Mission) bei der UN in Genf aufzubauen. Nach und nach leistete ich Unterstützung bei diversen Hilfs- und Bildungsprojekten, etwa Schulunterricht für Mädchen oder Modernisierung der dortigen Universität. Bald schlossen sich weitere Hilfsprojekte an, diesmal in Malawi, auf der anderen Seite Afrikas, wo ich mich für Medikamentenlieferungen und bessere Ausstattung von Kliniken einsetzte. Hier erwiesen sich meine guten Beziehungen zur Politik als äußerst nützlich – nicht nur zur FDP, der ich seit dem Jahr 2000 angehöre, sondern auch zu allen anderen demokratischen Parteien. Malawi profitierte von diesen Kontakten: Sowohl zahlreiche Parteifreunde aus der FDP, als auch private Freunde mit SPD-Parteibuch halfen eifrig und ermöglichten die Realisierung von so manchem Hilfsprojekt.

Flüchtlingshilfe vor Ort

Vor vier Jahren gründete ich dann den Verein “Liberale Flüchtlingshilfe e.V.“; dieses Engagement führte mich viele Male in dem Mittleren Osten und verhalf mir zu umfassenden Einblicken und wertvollen Hintergrundinformationen über die Region. Die Flüchtlingswelle sah ich bereits 2014 kommen und warnte die Politik eindringlich. Ich machte in zahlreichen persönlichen Gesprächen mit Spitzenpolitikern deutlich, dass dringend deutlich mehr konkrete Hilfe vor Ort notwendig sei, damit es nicht zu einer Massenflucht nach Europa kommt. Leider blieb diese Hilfe aus – mit den bekannten Folgen.

Ich selbst tat, was ich konnte; unser Verein brachte Hilfsgüter sogar an solche Orte in Krisengebieten, wo andere NGOs kapitulierten, weil ein Aufenthalt dort wegen der Angriffe des IS zu gefährlich war. Tatsächlich sahen meine Mitarbeiter und ich uns mehrfach massivem Beschuss durch die Terrormiliz ausgesetzt. Doch es gelang uns, zahllosen Menschen in Not zu helfen. Auf diese Erfolge bin ich stolz. Mein humanitäres Engagement hat mir mehr Erfüllung gebracht, als es jeder geschäftliche Erfolg je vermocht hätte.

In der FDP für Toleranz und gegen Rassismus

Wieso erwähne ich all das, warum berichte ich in der Einleitung eines Kommentars von meinen Aktivitäten, meiner Vorgeschichte? Weil ich mich dagegen verwahre, dass man mich in eine Schublade steckt oder mir womöglich einen “Nazi-Stempel” aufdrückt, um so jede sachliche Debatte über Migration und Flüchtlinge zu verhindern. Ich will ganz einfach präventiv klarstellen, dass mir in Fragen zu Fluchtursachen und humanitärer Hilfe niemand etwas zu erzählen braucht. Ich kenne die Materie, in all ihren Facetten.

Ob in Liberia oder in Malawi, ob im Irak oder in Syrien vor Ort: Rassismus ist eine Regung, die mir gänzlich fremd ist. Hautfarbe, Religion, Abstammung, Geschlecht, sexuelle Orientierung waren und sind für mich keine Merkmale, um Menschen zu definieren oder gar abzuwerten. Aus tiefster Überzeugung lehne ich solche Kategorisierungen ab, sie widersprechen auch meiner liberalen Einstellung total.

Ich bin in die FDP eingetreten, eben weil sie für Toleranz und Akzeptanz steht. Und gerade wegen dieser Grundausrichtung habe ich als Bundesdelegierter auch Christian Lindner zum FDP-Bundesvorsitzenden mitgewählt. Diese Entscheidung bereue ich bis heute nicht. Wäre morgen ein Wahlparteitag, ich würde mich auf direktem Weg nach Berlin machen und Christian Lindner erneut meine Stimme geben – aus tiefer Überzeugung.

Nah bei den Menschen – klar bei Verstand

Nun fand an diesem Wochenende ein programmatischer Parteitag der FDP statt, an dem ich leider nicht teilnehmen konnte; ich habe ihn aber von meinem Arbeitsplatz in London aus verfolgt. Christian Lindner sprach zur Eröffnung fast eineinhalb Stunden. Es war eine lange, aber inhaltlich packende, sehr gute Rede. Neben vielen anderen behandelten Themen gab Lindner darin eine bemerkenswerte Anekdote zum besten: Er erzählte von “normalen” Menschen beim Einkaufen beim Bäcker, von ihren subjektiven Gefühlen, ihren Ängsten; davon, wie sich unsere Gesellschaft als Folge der gegenwärtigen Politik verändert. Es ging dabei auch um Zuwanderung und ihre sichtbaren Folgen, um Verunsicherung und Zweifel.

Für mich als aktiven Flüchtlingshelfer, der permanent mit dem Themen Flucht, Ängste, Rechtspopulismus, Rassismus, politische Fehlentscheidungen und Notsituationen zu tun hat, war diese Anekdote unglaublich wichtig. Christian Lindner sprach hier nicht als FDP-Bundesvorsitzender; er sprach nicht als Bundestagsabgeordneter; er sprach nicht als abgehobener Berufspolitiker, der dank staatlicher Absicherung keine Angst vor der Zukunft haben muss. Nein, Christian Lindner sprach als Mitbürger, als ein Deutscher “wie du und ich”, der Augen hat zum Sehen, Ohren hat zum Hören, ein Gehirn hat zum Denken – und vor allem ein Herz hat, um zu fühlen. Lindner gab in unverstellt wieder, was in jedem normalen Menschen vorgeht, wenn er in seinem Alltag mit den sichtbaren Auswirkungen von Migration und Flüchtlingszuwanderung konfrontiert wird.

Die Intention von Lindners veranschaulichenden Worten war, dass die Gefühle und Sorgen dieser Menschen endlich ernstgenommen werden sollen. Und zwar nicht aus einer akademisch-ideologischen, abgehobenen Perspektive heraus, zu der Politiker und Journalisten allzu oft neigen, sondern bodenständig und direkt. Lindner weiß: gerade dann, wenn man die Menschen an der Basis ignoriert und nicht mehr ernst nimmt, droht die Gefahr einer schleichenden negativen Veränderung der Gesellschaft. Wenn die politische Elite des Landes in Talkshows von einer völlig anderen Realität redet als der, die die Bürger tagtäglich erleben, und wenn in den Redaktionsstuben anhand passender Statistiken und angeblicher Expertisen ein völlig anderes Bild Deutschlands gezeichnet wird als das, was jeder tatsächlich sieht, dann kommt es zur Entfremdung.

Gerade deswegen redete Lindner in seiner Anekdote beispielhaft von den “Normalos” in der Bäckerei: Von der Hausfrau, die Brot kauft; von der Oma, die sich ein Teilchen holt und vom Dachdecker, der für sich und seine Kollegen belegte Stullen einkauft. Und er beschrieb die Verunsicherung, die diese Leute heutzutage – völlig natürlich – immer häufiger beschleicht, wenn sie in der Einkaufsschlange neben sich Menschen mit Migrationshintergrund sehen: Anders als noch vor einigen Jahren können sie sich heute eben nicht mehr sicher sein, ob es sich dabei um langjährige Mitbürger, um gut integrierte Fachkräfte handelt – oder um illegale Zuwanderer, wenn nicht gar islamistische Gefährder.

Es geht um den Vertrauensverlust der Bürger gegenüber dem Staat – und um die Gefahren, die dieser langfristig birgt. Zum Beispiel, dass ein Staat, der Misstrauen und Unsicherheit schürt und seine Bürger alleine lässt, eben genau jene hässlichen Emotionen befördert, die er vermeiden will: Vorurteile und Ausgrenzung bis hin zu Rassismus. Die Menschen sind irritiert und teilweise angsterfüllt; auf vielen Gebieten scheint der Staat zu versagen. Abschiebungen werden praktisch kaum durchgeführt, die Polizei kapituliert vor Verbrechern und dem Mob, Salafisten und Islamisten stellen eine allgegenwärtige latente Bedrohung dar. Es wäre die Aufgabe der Politik, diese Menschen dort abzuholen, wo sie mit ihren Sorgen stehen – und sie nicht mit unglaubwürdigen Beteuerungen und fragwürdigen statistischen Taschenspiertricks in falscher Sicherheit zu wiegen. All dies steckte implizit mit in Lindners kurzer Anekdote.

Bitte lesen Sie Linders Aussage einmal selbst aufmerksam durch:

“Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.”

Merken Sie es? Christian Lindner hat hier keineswegs irgendetwas Rassistisches gesagt. Er hat den Staat und die aktuelle Regierungspolitik kritisiert. Er hat gesagt, dass Gesetze klar durchgesetzt werden müssen, damit Migrantinnen und Migranten nicht Opfer von Vorurteilen werden. Das Zitat ist bemerkenswert anti-rassistisch und realpolitisch.

Das eigentliche Problem

Das Problem an dieser Anekdote aber ist, dass man sie missverstehen kann – was in Deutschland heißt, dass sie automatisch missverstanden wird. Prompt wurden Lindner empört “rechte”, populistische, fremdenfeindliche, ja rassistische Stereotype unterstellt – und das, obwohl es ihm um das exakte Gegenteil ging.

Es sind vor allem zwei Personengruppen, die Lindners Rede auf die Barrikaden treibt. Die eine sind die “Wohlstandsmoralisten”: Ihnen fehlt Bezug zur Lebenswirklichkeit der normalen Bürger; aufgrund ihres überdurchschnittlichen Einkommens, ihrer meist (ab)gehobenen Wohngegend und ihres ebenso privilegierten sozialen Umfelds leben sie in einer kultivierten, heilen Welt, die ihre geistige Entsprechung in einer Art Meinungsblase findet: man wählt grün, abonniert die “Zeit”, lebt sein Utopia und mag sich nicht mit den Niederungen der realen Welt da draußen befassen.

Im SUV geht’s zum Biosupermarkt, dort ist die Welt ja noch in Ordnung; hier und da mal paar Klamotten in die Altkleidersammlung, 50 Euro je an “Amnesty International” und “Save the Children” überwiesen, ein Gender-* hinter jeden Wortstamm, regionales Obst und fair getradeten Kaffee goutiert – schon hat man für sich die Welt gerettet und ist fein raus. Und natürlich gehört die wohlfeile Empörung über alles, was sich als “rechts” auslegen lässt, zum Lifestyle dazu. Auf Inhalte und Sachfragen gehen diese Kreise meist gar nicht ein, ihr Menschen- und Weltbild ist vollendet vorgefasst.

Die unanständige Reaktion fördert Rassismus

Die zweite Gruppe ist dagegen ungleich bösartiger – und sie schadet unserer Gesellschaft in besonderem Maße: Dies sind die typischen FDP-Hasser, die Anti-Liberalen, die vor allem unter den deutschen Journalisten stark vertreten sind. Da kommt eine smarte Reizfigur wie Lindner als Feindbild grade recht. Jedes Wort – und sei es noch so positiv, wie an diesem Wochenende – wird im Munde herumgedreht. Man will Lindner nicht nur vorsätzlich falsch verstehen – man entstellt den eigentlichen Kern seiner Äußerungen vollends. Auch dieser Personenkreis macht sich gar nicht die Mühe, Lindners Gedankengänge nachzuvollziehen. So kommen dann groteske und zudem beleidigende Überschriften zustande wie “Ätzend ausländerfeindlich” oder “Sound der AfD”, ergänzt um ebenso primitive Texte, die Lindner verleumderisch gleich in die Nazi-Ecke stellen.

Dass solche absurden Vorwürfe nur dazu beitragen, echten Rassismus, Nationalsozialismus, Sozialdarwinismus und Hass zu verharmlosen, nehmen die verantwortlichen Autoren billigend in Kauf. Der Zweck, erfolgreiche Anti-FDP-Meinungsmache – heiligt offenbar jedes Mittel. Was diese feindseligen Wortführer nicht kapieren wollen: Eben diese allgegenwärtige Nazi-Keule ist es, die der AfD und anderen menschenfeindlichen und rassistischen Gruppen Zulauf bringt. Eben diese Stigmatisierung und versuchte Unterdrückung missliebiger Meinungen ist es, die immer mehr Menschen frustriert!

Durch die Art von “Kritik”, der sich der FDP-Chef seit seiner Parteitagsrede ausgesetzt sieht, durch dieses Bashing wird ein Keil in unsere Gesellschaft getrieben. Unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird der Boden entzogen, wenn jede Debattenkultur vor die Hunde geht. Medienvertreter berichten nicht mehr über Politik; sie lassen auch ihren eigentlichen Auftrag kläglich vermissen, politische Äußerungen wiederzugeben und zu interpretieren. Stattdessen machen sie selbst Politik. Sie gehen vom Negativ-Campaigning ins Dirty-Campaigning. Sie werfen jede Regel des Journalismus über Bord, jeden menschenlichen Anstand. Jede ethische Grenze wird gebrochen.

Wie aber können wir von unseren Bürgern erwarten, dass sie klug und besonnen reagieren, wenn es selbst die Vertreter der “meinungsbildenden Schichten” nicht tun, die eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen sollten?