Kommentar: Warum unser Pech-Präsident gehen sollte

Frank-Walter Steinmeier kommt nicht aus dem Saft. Er bleibt ein Bundespräsident, der sich permanent selbst schwächt – das zeigt eine aktuelle Rede seines Vorgängers. Unser Staatsoberhaupt braucht eine Exit-Strategie.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Rede im Oktober in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Rede im Oktober in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

In seiner zweiten Amtszeit wollte Frank-Walter Steinmeier eigentlich durchstarten. Den Leuten eine Orientierung geben, der Politik nötige Mahnungen ins Notizbuch schreiben. Starke Reden halten. Doch von alldem verspürt man: nichts.

Dass der Bundespräsident keine lauten Worte wählt, er blass redet, mehr nett als ungestüm durchs Leben schreitet, ist dabei kein Problem. So war er immer, man kannte ihn, als er ins höchste Amt Deutschlands gewählt wurde. Okay, mancher meinte auch damals schon, er solle besser nicht Präsident werden (ich auch) – vor allem wegen einer Hypothek moralischer Natur: Dass Steinmeier als früherer Kanzleramtsminister dafür sorgte, den Bremer Murat Kurnaz nicht aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo zu holen, ist ein einziges Scheitern, eine Disqualifizierung für politische Verantwortung; die Amerikaner hatten längst herausgefunden, dass sie Kurnaz aus falschem Terrorverdacht unschuldig eingebuchtet hatten und wollten ihn loswerden, aber Steinmeier schüttelte den Kopf. Warum? Man kann nur vermuten, dass er keinen theoretischen Stress wollte. Es war hartherzig. Denn der nette „Steini“ kann auch anders. Etwa, wenn er sich gegenüber Ukrainern aufregt, weil sein Amtskollege in Kiew zeitweilig ein unfreundliches Spiel mit ihm spielte und nicht zu einem Besuch einlud. Das mochte der Bundespräsident überhaupt nicht, da konnte er plötzlich Klartext reden, sich fulminant in Szene setzen.

All dies macht sein aktuelles Wirken in Schloss Bellevue umso tragischer.

Alles hat eine Vorgeschichte

Denn der Ukrainekrieg Russlands lässt ihn noch schwächer dastehen, als er ohnehin schon war. Steinmeier laberte noch bis kurz vorm Rollen der Panzer von einer Partnerschaft mit Russland, von Wandel durch Handel, er verteidigte die Gaspipelines – und steht nun vor den Trümmern der eigenen Politik, von denen er meint, das sei alles so nicht absehbar gewesen, aber das ist nur ein weiterer Irrtum.

Man muss sich nur vergegenwärtigen, was sein Amtsvorgänger Joachim Gauck vor kurzem sagte. Er hielt zum Volkstrauertag eine Rede, und es war eine, wie man sie sich von Steinmeier wünschte. Gauck stellte fest, dass das Russland unter Putin „eine unmittelbare Bedrohung für uns selbst“ sei. Das ist nicht kriegslüstern, sondern nüchtern – es sind ja gerade die „Russlandversteher“, die uns vor der Gefährlichkeit der Nuklearwaffen warnen, freilich mit dem Motiv, die russische Regierung deswegen nicht all zu sehr zu reizen. Diese Sicht ist unrealistisch, paternalistisch und arrogant, schlicht falsch. Gauck jedenfalls zog in seiner Rede die Schlussfolgerung: Bürger und Politiker müssten sich „immer wieder“ die Frage stellen, sagte er, „was können wir noch leisten, um den Überfallenen beizustehen?“

Selbst angelegte Ketten

Steinmeier dagegen gibt sich schmallippig wegen Teestundenausladungen, spricht von Spielregelbrüchen der russischen Regierung und tut so, als sei die Zeit vor der russischen Invasion eine des blühenden Friedens in der Ukraine gewesen. Das war sie auch in den meisten Landesteilen – aber die kriegerischen Umstände im Osten blendete er aus, die waren stets zuallererst Putin geschuldet; aber einen nötigen Gegendruck baute der damalige Außenminister Steinmeier nicht auf, setzte auf Abkommen, auf Papier, über das Putin nur lachte.

Der Bundespräsident hat sich kritisch über seine eigene Russlandpolitik geäußert. Aber nicht kritisch genug, um nun als Vorbild zu gelten. Um stark zu sein. Steinmeier ist längst eine lame duck, er ist wie gelähmt.

Es ist kaum vorstellbar, wie er noch Wegweiser sein kann. Aktuell ist Steinmeier nur Amtsverwalter. Und es schmerzt schon allein, dass man sich in dieser schwierigen Zeit einen Gauck (ein bisschen) zurückwünscht, der in seiner drallen Selbstverliebtheit wirklich kein guter Präsident gewesen war und in dessen Gegensatz der ruhige und bescheiden auftretende Steinmeier auch wohltuend wirkt.

Steinmeier sollte schauen, wie er gesichtswahrend aus Schloss Bellevue herauskommt.

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