Kommentar: Was erschreckt an einem NPD-Ortsvorsteher?

Supporters and members of the far-right National Democratic Party (NPD) march during a demonstration on May Day in Berlin, May 1, 2013. REUTERS/Fabrizio Bensch (GERMANY  - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Martialisch mag man es bei der NPD schon (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

In Hessen wählen Lokalpolitiker einen Neonazi in ein Ehrenamt. Da wurde ein wenig zu kurz gedacht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Über den NPD-Politiker Stefan Jagsch ist nun einiges bekannt geworden. Er grüßt die Leute auf der Straße, wird von Nachbarn in einem kleinen Ort, in dem er aufgewachsen ist und immer noch dort lebt, als aufrichtig beschrieben. Als einer, der sagt, was er denkt. Ich stelle ihn mir vor als eine „ehrliche Haut“.

Solche Typen in der Lokalpolitik kann man gut gebrauchen. Sie handeln meist pragmatisch und lösungsorientiert, denn es geht in der Regel nicht um Stellschrauben des Alltags, die immer politisch sind, sondern um die Suche nach einem Auskommen miteinander. Jagsch wurde nun vom Ortsbeirat Waldsiedlung, das ist die kleinste politische Einheit in Deutschland, mangels anderer Kandidaten von den Vertretern der anderen Parteien zum Ortsvorsteher gewählt. Er vertritt nun als Ehrenamtler die Ortschaft gegenüber der Gemeinde. Es heißt, für ihn habe auch gesprochen, dass er mit Computern umgehen und Mails schreiben könne. Diese Erklärung ist ehrlich.

Die Leute in der Waldsiedlung wussten also, wen sie ernannten. Man kennt sich ja. Und die NPD ist eine Partei, die nicht verboten ist. Man darf sie wählen, und deren Politiker auch. Man darf sie aber auch nicht wählen. Und da verstehe ich nicht, warum die Lokalpolitiker in der Waldsiedlung das nicht taten – Computerkenntnisse hin oder her.

Das Leben geht außerhalb der Ortsgrenzen weiter

Denn Jagsch spielt zwar sicherlich kein doppeltes Spiel: Er mag aufrichtig sein und sagen, was er denkt. Er mag sich mühen um ein gutes Miteinander in der Waldsiedlung. Aber die Welt ist größer als die paar Straßen – und wer ihn gewählt hat, ohne sein Weltbild zu teilen, das untrennbar vom Ortsbild ist, der verwechselt Äpfel mit Birnen und tut so, als habe Privates nichts mit Politik zu tun. Hat es aber. Darüber sollten die Ortsbeiratsmitglieder von Waldsiedlung noch einmal nachdenken.

Der offizielle Facebook-Auftritt von NPD-Politiker Stefan Jagsch (Bild: Screenshot/Facebook)
Der offizielle Facebook-Auftritt von NPD-Politiker Stefan Jagsch (Bild: Screenshot/Facebook)

Denn Jagsch sieht seine kleine Ortschaft auch mit den Augen eines Politikers. Er ist stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Hessen, und die NPD ist, offen und ehrlich, eine rechtsextreme Partei von Neofaschisten, also die moralische und inhaltliche Nachfolgepartei der NSDAP unter Adolf Hitler. Er kandidierte auch schon mal für den Landtag und für den Bundestag, hat also durchaus Größeres im Blick. Und er, der in der Ortschaft nun eine vereinende Aufgabe zu erfüllen hat, hat Einigkeit kaum im Sinn, wenn es um Größeres geht: In einem Interview zur Landtagswahl mit dem Hessischen Rundfunk hatte er 2013 für den Fall eines Wahlerfolg eine Koalition mit den anderen Parteien ausgeschlossen, „da sie mit ihrem Verhalten den Volkstod fördern und teilweise auch noch öffentlich propagieren“. Das klingt nicht gerade nach Konsensorientiertheit.

Und was passiert, wenn sich ein Journalist bei ihm erkundigt, sagen wir zu vermehrten Rohrbrüchen in einer Straße von Waldsiedlung? Oder eine Frage zu den geplanten Dorffesten im Jahr hat? Immerhin steht im Facebook-Profil von Jagsch, also ziemlich prominent: „Und wenn sie auch geifern, Lügenpresse bleibt Lügenpresse.“ Nun, ein ausgeprägtes Feindbild scheint der Herr zu haben, vor allem gegenüber Leuten, die er nicht kennt. Und wer bei seinem Facebook-Account ein wenig runterscrollt, bleibt rasch bei einem Eintrag vom 17. August hängen. Dort steht ein Foto von einer Art Bastion, dazu in Wildwestlettern: „Tatort Spandau“, und darunter in einer Schrift wie vor 90 Jahren: „Wir vergessen nicht.“

In Liebe zum Hitler-Fan

Zuerst verstand ich nicht, was Jagsch damit meinte, zumal nur ein schwülstiges Gedicht dabeistand, da ging es um einen, der denkt, und dann entsteht ein Funke und so weiter – und am Ende: „Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“ Da fiel mir ein, dass der 17. August ja der Todestag von Rudolf Heß ist, der als Hitler-Stellvertreter eine lebenslange Gefängnisstrafe in Spandau absaß. Alt- und Neonazis spinnen gern Legenden um sein Leben (er war ein ganz schlimmer Mensch) und um seinen Tod (am Ende interessierte sich wirklich niemand für ihn, außer „Kameraden“ vom Schlage Jagsch’). Was hat die Ortschaft Waldsiedlung nun zu erwarten? Den Aufbau eines Heß-Denkmals?

Stefan Jagsch huldigt NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß (Bild: Screenshot/Facebook)
Stefan Jagsch huldigt NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß (Bild: Screenshot/Facebook)

Es geht hier nicht um einige Verfehlungen aus der Vergangenheit, das ist auch kein Rosinenpicken. Man hat die Freiheit Jagsch zu wählen oder es nicht zu tun. Seine Freundlichkeit ist offenbar nicht für alle Menschen gedacht, da ist er selektiv. Warum er gewählt worden ist, bleibt mir ein Rätsel.