Kommentar: Was jeder von uns beim Nahostkonflikt tun kann

Dieses Bild aus Israel ist aus dem Jahr 2009, könnte aber von gestern sein: Zivilisten ducken sich wegen eines Raketenangriffs aus Gaza (Bild: REUTERS/Baz Ratner)
Dieses Bild aus Israel ist aus dem Jahr 2009, könnte aber von gestern sein: Zivilisten ducken sich wegen eines Raketenangriffs aus Gaza (Bild: REUTERS/Baz Ratner)

Immer noch fliegen Raketen aus Gaza, gibt es massive Militärschläge als Reaktion – und Pogromstimmung in Israel auf beiden Seiten. Ohnmacht macht sich breit. Dabei können wir einiges tun.

Ein Kommentar von Jan Rübel

An Krieg ist nichts Gutes, das erzählt uns das Waffenklirren zwischen den Hamas-Milizionären und den israelischen Streitkräften aufs Neue. Dennoch hier ein Versuch, nach dem Guten zu schauen, nach vorn. Denn kein Konflikt, so lange er auch andauert wie der jahrhundertlange im Nahen Osten, kennt ein Copy Paste. Nichts wiederholt sich komplett. Und so ist gerade einiges anders.

Mitgefühl für Israel wächst

Endlich gibt es ein echtes Mitgefühl in Deutschland für die Bedrohungslage in Israel. Es sind wohl doch ein paar Raketen zu viel gewesen, die es über unsere Wahrnehmungsschwelle hinwegschafften. Langsam entwickelt sich ein Gespür dafür, wie es ist, wenn plötzlich Sirenen aufheulen und man alles stehen und liegen lassen muss, weil von da oben könnte etwas anrauschen, dass dich und deine Liebsten…

…und damit reift die Erkenntnis, dass sowas gar nicht geht. Daher ist es gut, dass nun Israelfahnen von Behörden und Rathäusern in Deutschland hängen, dass die Aggression der Hamas aus Gaza so stark verurteilt wie nie zuvor. Unheil zu benennen, das tut not. Und daran zu erinnern, dass es ein im Völkerrecht verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung gibt. Auch ist es Zeit, dass sich ALLE in Deutschland an diese Fahnen gewöhnen, ohne gleich Aufregungspickel zu kriegen.

Empathie mit Palästina ist gut

Die in ihrer Massivität doch überraschende Attacke der radikalislamischen Hamas führt dazu, dass Sympathie für Palästinenser gerade nicht hoch im Kurs steht. Dabei brauchen sie diese umso mehr. Gut wäre es, wenn wir aufhören, keinerlei Mitgefühl für Palästinenser zu zeigen. Sie werden gerade an sich dämonisiert, sind die "bösen Buben". Aber auch sie leiden und sind bedroht. Die Vergeltungsschläge der israelischen Streitkräfte sind entgegen allen Unkenrufen nicht so zielstrebig, wie sie vorgeben zu sein. Sie verletzen und töten unglaublich viele Zivilisten und zerstören öffentliches Leben. Diese militärischen Reaktionen sind überzogen. Auch sind nicht alle Palästinenser Fans der Hamas – aber in Gaza hat diese Gruppe ein nur unter Risiken in Frage zu stellendes Regime errichtet; und die Fatah, welche in der Westbank regiert und größter Widersacher der Hamas bleibt, ist zu einer korrupten Clique alter Männer (ja, die gibt es nicht nur bei uns) verkümmert. Hätten die Palästinenser freie Wahl, sie würden sich gewiss nicht von Hamas regieren lassen.

Differenzierung hilft der Wahrheitssuche

Langsam greift hierzulande die Erkenntnis Raum, dass Juden in Deutschland nicht mit Bürgern in Israel gleichzusetzen sind. Die Probleme (und leider auch manch gute Dinge) im Nahen Osten wandern nicht deckungsgleich übers Mittelmeer. Einen Juden in Deutschland zum Regierungssprecher aus Jerusalem zu machen, ist ein mieser Schubladentrick. Je weniger wir uns diesen Vereinnahmungsreflexen hingeben, umso besser.

Antisemitismus ansprechen

Wer „Kindermörder Israel“ ruft, bedient sich eines alten antisemitischen Klischees. Antisemitismus tritt gerade deutlicher zutage. Da ist die alte deutsche Judenfeindlichkeit und der Hass auf „Israelisches“ in türkischen und arabischen Communitys, der nicht allein importiert ist, sondern auch ein deutsches Phänomen ist. Wir leben ja alle hier. Es geht auch nicht darum, keine Kritik zu äußern. „Israelkritik“ aber ist an sich schon ein komisches Wort, es wertet ab – wie kann ein Land an sich in eine Schublade gesteckt und „kritisch“ bewertet werden? Würde ich hier eine „Dänemarkkritik“ oder eine „Kanadakritik“ loslassen, würde sich der Leser doch auch fragen, ob ich einen an der Waffel habe.

Ein geweiteter Blick auf Palästina erhellt

Gut wäre ferner, einen Blick auf die negierte, aber existierende palästinensische Zivilgesellschaft zu lenken. Palästinenser schauen auf eine lange Kulturgeschichte in ihrer Region zurück – da helfen auch nicht die Märchen von Israelis, jüdische Siedler wären im 19. Jahrhundert in ein leeres Land gekommen. Sowas gilt vielleicht für die im Spreewald siedelnden Sorben des siebten Jahrhunderts. Palästinenser aber verfügen über eine Identität, über Erinnerung. Und viele sind auch heute gut gebildet, haben ein reichhaltiges Kulturleben entwickelt, das zweierlei trotzt: Erstens den kultur-, weil demokratischen Diktaturen ihrer palästinensischen Herrscher in Gaza-Stadt und in Ramallah und zweitens den fehlenden Freiheiten durch die israelische Besatzung, an deren Ungerechtigkeit und Völkerrechtswidrigkeit sich nichts geändert hat. Gut wäre es also, in Deutschland, von der Politik und von der Öffentlichkeit, das Versagen der palästinensischen Führungen lauter anzusprechen.

Falken sind blöd

Überhaut gibt es auf palästinensischer wie israelischer Seite Politiker, die ein Interesse am Konflikt haben. Mit dem Schüren einer Gegnerschaft können sie Anhänger binden und mobilisieren. Hamas will sich mit seinem Raketenterror als Sperrspitze eines „Widerstands“ gegen die Ungerechtigkeiten der israelischen Regierung aufstellen. Und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu scheut natürlich eine weitere Eskalation, denn er ist nicht der araberfeindlichste unter israelischen Politikern. Aber dass gerade kaum jemand über seine Anklagen vor Gericht wegen mutmaßlicher Korruption spricht, freut ihn sicherlich.

Es ist leicht, Kompliziertes anzuerkennen

So schnell renkt sich nichts ein. In Deutschland könnte ein Impuls helfen, einfachen Parolen nicht rasch nachzulaufen. Der Raketenterror der Hamas ist kein Ausdruck von Hilflosigkeit angesichts der militärischen Stärke des israelischen Staates und seiner Politik gegenüber Palästinensern. Dieser Raketenterror ist zynisches und menschenfeindliches Kalkül in einem Power Game. Eine weitere Parole, die nicht weiterhilft: Das ständige Wiederholen von Beschwörungen in Israel, man wolle ja in Frieden leben, aber das gehe ja nicht wegen Gaza & Co. Für die Raketen gibt es keine Rechtfertigung. Aber die Hamas wäre weitaus weniger in der Lage, welche abzufeuern, wenn israelische Regierungen eine Politik der Augenhöhe mit ihren palästinensischen Nachbarn verfolgen würden, wenn sie sich nicht ihnen gegenüber erhöhen und ihnen fundamentale Menschenrechte wie Bewegungsfreiheit und Wohnungsfreiheit versagen würden.

Zuhören hilft

Schließlich können wir einander in Deutschland mehr zuhören. Versuchen, herauszufinden, was den Zorn von Demonstrierenden in Berlin-Neukölln ausmacht – was daran anzugehender Antisemitismus ist, was eine Reaktion auf den deutschen Rassismus, was ein Eindruck von Ungerechtigkeit in Nahost. Und weitermachen beim verbesserten Zuhören der Nöte von Menschen, die zwischen Tel Aviv und Jerusalem, zwischen Nahariya und Beersheba jeden Tag unschuldig zu Bunkern rennen müssen.

Video: Kinder - unschuldige Opfer im Gaza-Konflikt