Kommentar: Wer am lautesten aufschreit, hat die meisten Privilegien

Der Sicherheitskontrolle am Flughafen kann nicht jede*r gleichermaßen gelassen entgegensehen (Symbolbild: Getty Images)
Der Sicherheitskontrolle am Flughafen kann nicht jede*r gleichermaßen gelassen entgegensehen (Symbolbild: Getty Images)

Privilegien. Einer dieser Begriffe, der endlich die breite Masse antrifft. Die weiße, deutsche Mehrheitsgesellschaft auch. Aufgrund dessen veröffentlichte der Deutschlandfunk eine Checkliste mit existenten Privilegien. Denn Patriarchat und Kolonialzeit haben auch heute großen Einfluss auf die Gesellschaftshierarchien. Aber genau die, an die sich die Kritik richtet, wollten damit so gar nichts anfangen, und das sagt doch mehr über sie aus, als ihnen lieb ist.

Ich bin keine Unterstützerin von Floskeln. Aber dass die, die am lautesten rufen, sich angegriffen fühlen oder Unrecht haben, das trifft manchmal ganz aleatorisch zu. Die Facebook-Seite des Deutschlandfunks veröffentlichte die Privilegien-Checkliste MIT Erklärungen. Die Stichpunkte waren weiß sein, männlich sein, Identifikation mit dem Geburtsgeschlecht, bezahlter Job, keine Behinderung haben und Flughafenkontrollen gelassen entgegensehen zu können.

Sie titelten “Auf wie viele Privilegien kommen Sie – und wie oft haben Sie schon darüber nachgedacht?”, um eine Sensibilisierung für das meist strukturell diskriminierende herrschende System zu erwirken. Das passt aber genau denen, die diese Privilegien inne haben, überhaupt nicht. Und den Appell, mal darüber nachzudenken, den haben sie erst recht überhört und ganz gegenteilig gehandelt.

Die Empörung der weißen Männer

“Male Tears” nennt man das in feministischen Kreisen auch. Aber auch weiße Menschen fühlen sich durch den Post in ihrem Weißsein angegriffen und reagieren empört. Jedoch sind es größtenteils weiße Männer gewesen, die diesen Post überhaupt nicht berechtigt fanden: “Darf man jetzt kein weißer Deutscher mehr sein?”

Argumente wie “wieso werden Menschen jetzt nichtmehr nach persönlichen Erfolgen bewertet, und warum werden weiße Menschen prinzipiell abgestuft?” strömten durch die Kommentarspalte. Und genau hier ist der Knackpunkt, und der Beweis für das Zutreffen Privilegien der Checkliste.

Auch Frauen meldeten sich zu Wort, ganz harsch drückte es Judith Sevinc Basad aus. Sie bezeichnete die Liste des DLF als “paternalistisch” und “sexistisch”. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, außer zu fragen, wie sie es schaffte, diese beiden Begriffe mit der Checkliste zu assoziieren.

Sie schreibt für die “NZZ”, die für ihre rechtskonservativen Meinungen bekannt ist. Dass auch Personen, die selbst von den Privilegien anderer betroffen sind, so etwas schreiben und nicht reflektieren können, ist nunmal auch Teil des Systems. “Du bist nicht Opfer genug” lautet der Tenor, und ja, man sollte als nichtbetroffene Person von Rassismus etc. einfach mal schweigen und nicht den Raum einnehmen.

Schön ist es in der privilegierten Komfortzone

Anstatt darüber nachzudenken, weshalb es mehr Thomasse als Annas oder Aminas in deutschen Chefetagen gibt, oder wieso es mehr weiße Journalist*innen gibt, die über Muslime schreiben, als Muslime, die überhaupt schreiben, fühlt man sich in der eigenen Komfortzone in Frage gestellt und zutiefst zu Unrecht angegriffen. Und die These, dass wirklich alle Thomasse genauso geeignet sind wie die Aminas und nur aufgrund ihrer Kompetenzen in ihren Positionen sind, wage ich auch zu bezweifeln.

Denn es ist so schön an diesem Ort, an dem man niemals wegen seiner Hautfarbe Angst vor der Exekutive haben muss. Oder davor, nachts nach 00:00 Uhr alleine über die Straße zu gehen, da man einer Gruppe Männer begegnen könnte und nicht weiß, was passiert. Eigentlich sind doch die, die man selbst angreift, immer in der der Beweispflicht. Im westlich zivilisierten Raum kann ich doch als weißer Mann gar nichts falsch machen und nicht von dem eigens erschaffenen hierarchischen System profitieren, die ganzen Salims können gar nicht besser als ich sein.

Sich auf dem Heimweg nich ständig über die Schulter sehen zu müssen, ist auch ein Privileg (Symbolbild: Getty Images)
Sich auf dem Heimweg nich ständig über die Schulter sehen zu müssen, ist auch ein Privileg (Symbolbild: Getty Images)

Als “kaum definierbar” oder “vermeintlich erschaffen” kommentiert die “Bild”-Zeitung die Stichpunkte der Checkliste. Die, die am Flughafen Angst vor einer Kontrolle haben müssen, seien “kaum definierbar” als Gruppe. Ich befürchte, dass Johannes, 26, Informatikstudent, weiß, noch nie in den Afro gegriffen wurde, oder ihm die Tasche sechs Mal durchsucht wurde weil er Moslem ist, PoC ist und einen Bart trägt.

Wo die Hierarchisierung wirklich anfängt

Was passiert in Wirklichkeit wenn, man auf die eigenen Privilegien angesprochen wird? Man spricht die Marginalisierung anderer aus Unreflektiertheit ab. Die Menschen, die sich darüber aufregen, sind auch die, die anderen Menschen Geschlechter zu- oder absprechen und die volle Deutungshoheit ausleben. Es wird argumentiert, dass durch solche Checklisten eine noch größere Hierarchie entstehe.

Aber nein, die Hierarchie ist längst da, und alles was der Deutschlandfunk tat. war darauf hinzuweisen. Der Hinweis füttert nicht die Anzahl der Opferhierarchie, sondern entlarvt die, die sich gar keiner Benachteiligung durch das Systems zurechnen dürfen. Und dementsprechend stillschweigend nachdenken sollten - aber Moment, ich vergaß, das System und seine Deutungshoheit. So ist die Debatte über die Liste größer als der intendierte Input, man nimmt wieder den Raum Marginalisierter ein.

Abschließend beweist dieser Facebook-Post nur das, was Marginalisierte und Feminist*innen seit Jahren analysieren und feststellen: Patriarchat und weiße Privilegien gehen Hand in Hand, und sie schaffen die Vorteile für die weiße, insbesondere männliche Gesellschaft, und übertragen ihr die Deutungshoheit.

Aber es ist keine Frage des ob, sondern des wo. Und es wird dauern, bis der Gegenwind sich minimiert, falls er das überhaupt mal wird. Alles, was mir zu sagen übrig bleibt, ist: Habe immer ein Auge auf die Privilegien, denn ganz tief im Inneren wissen Privilegierte, welche Vorteile sie ihnen bringen.

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