Kommentar: Wer hat Angst vorm Muezzin?

In Köln kann heute erstmals in Deutschland öffentlich zum islamischen Gebet gerufen werden – und der Aufschrei bleibt nicht aus. Das ist viel Lärm um Nichts. Man sollte die Moschee mal im Dorf lassen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Muezzin ruft in Akko, Israel, die Gläubigen zum Gebet (Bild: REUTERS/Ammar Awad)
Ein Muezzin ruft in Akko, Israel, die Gläubigen zum Gebet (Bild: REUTERS/Ammar Awad)

In Köln kann von nun an das Abendland untergehen, und zwar regelmäßig freitags in der Mittagszeit. Die Stadtverwaltung hat der Zentralmoschee der Ditib erlaubt, einmal in der Woche zum wichtigsten Gebet der Muslime offiziell zu rufen – also mit Lautsprecher.

Sowas kann natürlich unterschiedliche Gefühle auslösen. Man kann ordentlich genervt von sowas sein, ich persönlich mag den Muezzinruf sehr, erinnert er doch an arabische Länder und an schöne Aufenthalte dort, eben Alltag, und da nicht wenige Muslime in Deutschland leben, gehört meiner Meinung nach der Gebetsruf auch hierhin wie die Butter aufs Brot, oder eben nicht; jedem nach seiner Fasson, würde der Berliner sagen.

Okay, gewöhnungsbedürftig war es damals schon, mitten in der Nacht mit dem Spruch geweckt zu werden, dass das Gebet besser sei als der Schlaf, das fand ich zum Beispiel überhaupt nicht. Aber so weit wird es in Köln nicht kommen, von den Schichtarbeiterinnen und -arbeitern ausgenommen, die freitagmittags davon gestört werden könnten. Aber ansonsten?

Ich mag auch Kirchenglocken, bin neben dreien aufgewachsen, fand sowas immer normal. Daher teile ich nicht die Bedenken jener, die religiöse Symbole ins Private schicken wollen, nach dem Motto: In der Öffentlichkeit habe all dies nichts zu suchen. Religion ist doch eh gerade auf dem Rückzug, die christliche wie die islamische auf jeden Fall. Glocken und Muezzin sind Erinnerungen aus einer alten Zeit, in der sowas noch den Tag regelte und auch zeitliche Orientierung bot, als noch nicht jeder mit Smartphone rumlief. Es ist der Hauch von Verflossenem in einer sich durchdigitalisierenden Zeit. Es ist direkt romantisch.

Für konkrete Hinweise wäre man dankbar

Bedrohlich jedenfalls ist es nicht. Der Muezzinruf ist kein Hinweis auf eine Islamisierung der Gesellschaft. Wenn fünf Minuten von einer Balustrade gesungen oder geplärrt wird, bedeutet das keine Übernahme, nicht ein Zentimeter deutschen Bodens färbt sich in irgendeinen neuen Ton. Alles andere darüber ist nur symbolisches Geschwätz. Fundamentalistisch gesonnene Muslime haben dadurch kein Jota mehr Einfluss. Und sollten sie es so sehen, dann irren sie sich, wie so oft.

Es ist auch unerheblich, dass einer Organisation wie der Ditib nun als erster der Muezzinruf probeweise erlaubt wurde. Sie ist die mit Abstand größte islamische Institution in Deutschland, und ein Gebetsruf ist aus islamischer Sicht ein Allerweltselement, welches alle Gläubigen teilen, seien sie liberal oder Dschihadisten. Klar, die Ditib war von Anfang an keine deutsche Einrichtung, sondern komplett vom türkischen Staat kontrolliert. Und mit der religionspolitischen Entwicklung in der Türkei hin zu einem konservativ-nationalistischen Kurs, einer religiösen Fundamentalisierung, geht auch die Ditib als abhängiges Organ mit. Transparenz kennen die führenden Funktionäre nicht. Aber ihnen deswegen den Gebetsruf verwehren? Dadurch würde ihm eine Relevanz zugewiesen, die er nicht hat. Wir können da ruhig die Moschee im Dorf lassen.

Die wahre Bedeutung dessen

Ditib hat einen sehr kritischen Umgang zu erfahren, viele bohrende Fragen gestellt zu kriegen – aber all dies geht auch ohne Nichtanerkenntnis eines normalen Rechts der freien Religionsausübung. Wenn nun der Psychologe Ahmad Mansour darin eine „sträfliche Naivität“ sieht, sollte er genauer darlegen, was er damit meint. Er erkennt im Muezzin die Möglichkeit einer „Machtdemonstration des politischen Islam“. Würde er Ähnliches empfinden, käme der gleiche Ruf von einer liberalen Moschee? Warum diese Differenzierung beim gleichen Stück Butter auf dem Brot? Und zu behaupten, bei den Kirchturmglocken gehe es nur um den Klang, ist selber sträflich naiv: Für mich bedeuteten sie früher immer das Nahen der Sesamstraße im Fernsehen und heute die Erinnerung an Hochzeit und Tod, an Vergänglichkeit und neues Leben. Damit ist dies so religiös aufgeladen wie der Inhalt der islamischen Gebetsrufe.

Deutschland steht, mal wieder, nicht vor einer Machtübernahme von Muslimen. Es gibt auch keinen entsprechenden Trend. In Frankreich kann man mit dem Schüren dieser Ängste durch Romaneschreiben prima Geld verdienen, in Deutschland ein bisschen weniger. Aber es bleiben Romane.

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