Kommentar: Wie Friedrich Merz seine Chancen wegpoltert

Friedrich Merz of Germany's Christian Democratic Union (CDU) speaks during the traditional Ash Wednesday party meeting in the Thuringian city of Apolda, Germany, February 26, 2020. REUTERS/Christian Mang
Friedrich Merz bei seinem Aschermittwochsauftritt in Apolda (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Der Aspirant auf den CDU-Chefsessel macht auf stark. Damit gefällt er AfD-Anhängern. Die wählen ihn aber nicht in den Parteivorsitz.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Friedrich Merz weiß, was er tut. Jedenfalls ist er bemüht diesen Eindruck zu verbreiten. Zackig kommt er daher und demonstriert Führungsqualitäten – oder was er glaubt dafür zu halten. Immerhin zeigt er sich überzeugt, dass er AfD-Wähler zurück zur CDU holen könne und meint dies zu schaffen, indem er eben markige Worte ins Land hinausschickt.

Diese Taktik droht schon jetzt nicht aufzugehen. Merz manövriert sich mit diesem Gepolter weg von seinen Chancen.

Jüngstes Beispiel sind Beschwörungen, die er losließ. Die „Bild“-Zeitung, die ebenso wie er meint verstanden zu haben, was „das Volk“ so denkt, dient sich ihm mit der Schlagzeile an: „Merz-Ansage an Erdogan“. Jawoll, soll der Leser denken, endlich zeigt der Merz dem Sultan, welche Glocken geläutet haben. Doch was sagte Merz?

Groß, und dennoch klein

Er äußerte sich zu den katastrophalen Zuständen an der türkisch-griechischen Grenze, zur humanitären Katastrophe, die sich dort abspielt. Zuerst mahnte Merz an, dass der Türkei bei der Bewältigung der Aufnahme von Geflohenen mehr geholfen werden müsse – das ist richtig und wichtig. Doch dann kam der Verbalhammer: „Und gleichzeitig müssen wir ein Signal an die Flüchtlinge dort geben: Es hat keinen Sinn, nach Deutschland zu kommen", betonte Merz. "Wir können euch hier nicht aufnehmen."

Stark soll das klingen, ist aber in Wirklichkeit das Gegenteil. Warum soll man das eigentlich nicht können? 2015 wurde die Aufnahme von hunderttausenden Geflohenen bewältigt, und es zeichnet sich ab, dass die derzeitigen Bewegungen nicht die Ausmaße von 2015 haben. Merz redet also Deutschland klein. Außerdem ignoriert der Volljurist Merz einige Artikel des Grundgesetzes, besonders jenen über das Recht auf Asyl. Es geht ja auch nicht darum, nun alle an dieser Grenze ausharrenden Menschen nach Deutschland zu bringen – diese Herausforderung ist europäischer Natur. Worüber redet Merz also?

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Er bemüht lediglich die Klaviatur des populistischen Abwehrreflexes. Wie sollte denn ein Signal aussehen, dass es keinen Sinn mache, nach Deutschland zu kommen? Möchte er den Menschen an der türkisch-griechischen Grenze eines seiner Bücher in die Hand drücken? Vielleicht „Mut zur Zukunft“? Oder „Nur wer sich ändert, wird bestehen“? „Mehr Kapitalismus wagen“ ist auch ein interessanter Titel, vielleicht können die in der Türkei gestrandeten Syrer etwas damit anfangen; wirtschaftlich schlecht geht es ihnen ja. Die türkische Gesellschaft ächzt, immerhin sind 3,6 Millionen ins Land geflohen – und die Hilfszusagen aus Europa sind nicht so geflossen, wie man es versprach.

Die Adressaten aus dem Blick verloren

Ein mögliches „Signal“ senden gerade Rechtsradikale aus, die aus Europa, auch aus Deutschland nach Griechenland reisen und dort Action-Urlaub gebucht haben, nämlich Jagd auf Menschen in Not. Neben dem Spaßfaktor der bösen Gewalt wird es den Nazis auch um ein „Signal“ gehen; bestimmt denken sie tatsächlich, dass sie die Grenzen des Abendlandes verteidigen.

Doch Merz irrt, wenn er denkt den Chefsessel einer christdemokratischen Partei erobern zu können, indem er christliche Werte beiseiteschiebt. Immerhin muss er ganz dringlich nicht AfD-Anhänger von sich überzeugen, sondern CDU-Mitglieder, die als Delegierte beim nächsten Bundesparteitag darüber entscheiden. Die haben im Zweifel doch womöglich etwas übrig für christliche Nächstenliebe.

Merz läuft gerade in eine für ihn ungünstige Richtung. Er meint für sich zu werben. Dabei verschreckt er umso mehr.

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