Kommentar: Wie ich zehn Stunden auf der Corona-Demo verbrachte

Ähm, Mindestabstand? Die "Freiheits"-Demo der Corona-Skeptiker am vergangenen Samstag in Berlin geriet recht freiheitlich. (Bild: AP Photo/Michael Sohn)
Ähm, Mindestabstand? Die "Freiheits"-Demo der Corona-Skeptiker am vergangenen Samstag in Berlin geriet recht freiheitlich. (Bild: AP Photo/Michael Sohn)

Am vergangenen Samstag gingen Zehntausende gegen die Corona-Einschränkungen auf die Straße. Welche Leute waren das? Am Ende des Tages brauchte ich jedenfalls dringend ein Bier.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wie sich im Nachgang an die „Corona-Demo“ genannten Proteste gegen die Hygieneeinschränkungen alle nur noch über die rechten Reichstagsstürmer echauffierten, hat mich schon erstaunt. Okay, ein paar Dutzend Flaggenschwenker auf den Treppen zum Bundesparlament, das war schon heftig – aber vor allem NUR ein Symbol. Was sich vorher an dem Tag abgespielt hatte, war auch nicht ohne; übrigens wehten schon in den Morgenstunden völlig unbehelligt Reichsfahnen vorm Reichstag, bloß interessierte das keinen.

Von 08:30 Uhr bis 18:30 Uhr gab ich mir den Skeptikerflow. Mein Fazit: Auch wenn bundesweit mobilisiert wurde, sind die bis zu 50.000 Demonstranten eine beeindruckende Zahl. Man war diesmal auch nicht so bescheuert und behauptete wie bei der Demo von Anfang August, es seien eine Million unterwegs gewesen. Mir selbst als Reporter wurde kein einziges Mal kritisch oder unfreundlich begegnet (okay, vielleicht ein, zwei Mal), ich wurde nicht behelligt, auch dass ich in der Menge eine Maske trug, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Dennoch hatte ich Zusammenkünfte, über die ich, wenn ich ein Tagebuch hätte, eine Menge Arrogantes hineingeschrieben hätte.

Dies hier ist aber kein Tagebuch, also bin ich höflicher.

Mich erschütterte, wie die Demonstranten und auch die Organisatoren, auf die ich traf, sich keinen Deut um die Hygienebeschränkungen scherten. Sie waren ihnen schlicht egal. Permanent sah ich den ganzen Tag lang Leute, die den Mindestabstand nicht einzuhalten versuchten. Masken waren ja nicht vorgeschrieben, die trug eh keiner. Aber der Abstand war vorgeschrieben. Schon das „Hygienekonzept“ der Querdenken-Veranstalter las sich wie der Witz in einem Kloheftchen. Dass die Polizei nicht schon am Vormittag den Demonstrationszug mit Vehemenz auflöste, der sich vom Brandenburger Tor gen Torstraße auf den Weg machte, kann nur mit größtmöglicher Berliner Toleranz erklärt werden. Die Demonstranten hatten ja das Recht gegen Mindestabstände zu demonstrieren. Sie aber bewusst nicht einzuhalten, war ein Verstoß. Sie hätten übrigens auch den Zug dadurch „größer“ machen können – aber Nachdenken schien bei den selbst ernannten „Aufgeweckten“ kein Hit zu sein.

Familienausflug

Als ich eine Ordnerin fragte, was sie gegen das Nichteinhalten der Abstände zu tun gedenke, hielt sie mir ihr Megafon vors Gesicht und rief aus einem halben Meter Entfernung: „Lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe zu tun.“ Offiziell war sie Mitglied eines „Deeskalationsteams“, und ich hatte freundlich gefragt, jedenfalls fand ich ihre Antwort nicht gerade deeskalierend.

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100 Meter weiter fragte ich eine vierköpfige Familie, warum sie mit Fahnen des „QAnon“-Verschwörungsglaubens“ herumlaufen – es geht um die Phantasie, dass irgendwo Kinder gefangen gehalten würden, deren Blut von irgendwelchen Eliten zwecks Verjüngung geschlürft wird, mit Donald Trump als Drachentöter Georg, also ein herausragendes Stück Unsinn. Ich fragte den Papa: „Glauben Sie denn, dass da irgendwo Kinder versteckt werden?“

Er: „Ja, das glaube ich.“

Ich: „Wo sollen die denn sein? Haben Sie Hinweise?“

Er schwieg, versuchte das Gespräch zu beenden, ohne unfreundlich zu werden. Da zog ihn seine Frau am Arm und sagte: „Was redest du mit dem, der trägt eine Maske.“

Potpourri

Die große Masse der Demonstranten zeigte sich nicht rechtsextrem gesonnen. Wahrscheinlich, weil sie es nicht sind. Aber mit Leichtigkeit ließen sie sich von solchen Fahnen umwehen. Daher wird diese Querdenken-Bewegung bald in sich zusammenfallen. Ihr einziges einendes Band ist die Ablehnung der Hygieneeinschränkungen von Bund und Ländern. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Ich sah reine Impfablehner, Kapitalismuskritiker, Verschwörungsfreaks und solche, die im Virus eine Erfindung sahen, manche darin ein manipulatives Instrument zur Weltherrschaft – und natürlich die Rechten, die froh waren endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem sie mal laufen und sich einbilden können, sie wären mehr als sie sind.

Doch dann war der Tag vorbei. Selbst ein, zwei Straßen weiter interessierte sich in Berlin kein Hund und keine Katze für diese Demo. War was?

Doch dann kamen am Ende die Reichstagsstürmer, das waren die mit dem Sahnehäubchen. Ich hatte mich vorher, geplättet von meinen Eindrücken, in den Feierabend verabschiedet. Vorher hatte ich zwei Stunden lang jenen rechten Block vor der russischen Botschaft begleitet, der wenig später den harten Kern der Reichstagsphantasten bilden sollte: Reichsbürger, eine Neonazi-Kameradschaft, esoterische Blumenmädchen und ein, zwei Jesuse. Auch einen Sokrates gab es, er hatte sich entsprechend antikgriechisch gewandet. Zuerst umgarnten sie die Polizisten, riefen „Wir demonstrieren für euch“, „Ihr gehört zu uns“, „Wir verstehen euch“. Und: „Helden, Helden!“

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Da aber die Veranstaltung von der Polizei bereits als aufgelöst erklärt wurde, begannen die Beamten mit chirurgischen Eingriffen, nahmen mal den einen mal die andere mit. Das fand die Menge gar nicht nett. Da waren die Polizisten nicht mehr Helden, sondern „Volksverräter“, und: „Wir wissen wo ihr wohnt“, rief ein Chor immer wieder. Außerdem skandierten sie immer wieder „Putin, Putin“, und als ich einen fragte, ob er den russischen Präsidenten denn gern als Kanzler hätte, sagte er: „Den nehme ich auch als Präsidenten.“ Daraufhin ich: „Haben Sie keine Angst, dass Sie von dem was in den Tee kriegen?“ Er lachte. Das sei doch eh alles Show, sagte er. Womöglich meinte er die „vermeintliche“ Vergiftung des Kremlkritikers Nawalny und die Demo gleichermaßen. Was mich mitunter nervte, war das Schauspiel der Demonstranten mit dem Namen “Die verfolgte Unschuld vom Lande”. Während die Beamten sich einzelne Protestler herauspickten, riefen die anderen: “Warum macht ihr das? Wir sind doch friedlich”, und taten ungläubig. Dass die Beamten allein wegen dem Verstoß gegen die Hygieneregeln vorgingen, und nicht wegen angeblicher Gewalttätigkeit, blendeten sie aus.

Verfassungshuberei

Dass Reichsbürger nicht gleich Reichsbürger ist, hatte ich schon in den frühen Morgenstunden verstanden. Wieder zurück zum Reichstag: Dort hatten Leute ein mittelalterlich aussehendes Zelt aufgeschlagen, merkwürdige Fahnen allerorten, als wären die Fürstentümer Deutschlands wieder auferstanden. Einen Ordner fragte ich, wofür oder wogegen man demonstriere. „Für die Erfüllung des Potsdamer Abkommens von 1945“, sagte er. Was denn erfüllt werden soll, fragte ich weiter. Er sei zu müde, antwortete er. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, die Satire-Zeitschrift Titanic habe sich unter die „Corona-Skeptiker“ gemischt.

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50 Meter weiter erhielt ich dann Aufklärung. „Die reden nur, wir dagegen machen“, sagte eine Frau mit Blick auf das Zelt und den Ordner, der vor Müdigkeit wirklich beinahe vom Hocker fiel. Die Frau war vom „preußischen Gemeindeamt Schinne“ und erklärte: „Wir haben uns souverän gemacht.“ Wie man dann so zusammenlebe, fragte ich. Sie: „Wir wohnen quer über Deutschland verteilt.“

Ich: „Aber wie geht das dann als eine Gemeinde?“

Sie: „Wir haben keine Gemeinde gegründet, sondern ein Amt.“ Dann folgte ein Monolog über verschiedene Verfassungen aus dem 19. und aus dem 20. Jahrhundert, von dem ich nur verstand: Es ist kompliziert.

Am Abend also durchbrachen diese „Souveränen“ die Absperrgitter vorm Reichstag, liefen die Stufen hoch und waren ganz happy. Sie schwenkten ihre Fahnen; gesehen hatte ich das nur im Nachhinein auf YouTube.

Und dann?

Ja, wirklich: Was dann? War das der Beginn einer Revolution?

Nein, drei wütende Polizisten schimpften herum, scheuchten die „Souveränen“ die Treppe wieder herunter, und Schluss. Aus die Maus.

Also, das Feierabendbier war schwer verdient.

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