Kommentar: Wie läuft es mit dem Nachbarn Putin?

Russlands Präsident Putin ist ein eher schwieriger Nachbar (Bild: AFP Photo/Alexei Druzhinin)
Russlands Präsident Putin ist ein eher schwieriger Nachbar (Bild: AFP Photo/Alexei Druzhinin)

Der Giftanschlag auf einen Doppelagenten dokumentiert neue Abgründe in den Beziehungen mit Russland. Brave Demokraten müssen sich warm anziehen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wie geht man mit einem rabaukigen Nachbarn um, der sich nicht scheut fiese Methoden anzuwenden? Man könnte Kekse backen und rüberbringen, man könnte selbst mies agieren. Doch aussichtsreich erscheint beides nicht.

Europa ist in einer misslichen Lage. Im Inneren begehren Regierungen auf, die mit dem Gemeinschaftsgedanken wenig anfangen können und stattdessen auf Alleingänge setzen, welche im Autokratismus enden. Und von außen sägt ein Nachbarland mit unlauteren Methoden an der Rechtssicherheit, am inneren Zusammenhalt, kurz: arbeitet mit brutalen Einschüchterungsmanövern am eigenen Machterhalt. Das ist billig. Aber das müssen wir uns in diesen Tagen klar machen, zum Einschlafen und zum Aufstehen.

Demokratie wird lächerlich gemacht

Die Rabauken haben gerade, aber nur gerade, Hochkonjunktur. Aus Russland kommen: eine Trollarmee zur Manipulation der Sozialen Medien, Versuche zur Beeinflussung demokratischer Wahlen, Hacking von Bundestag und -regierung, militärische Schattenmissionen in der Ukraine, Georgien und auf der Krim. Und ein Schwall Fake News, die das Grundvertrauen in unser demokratisches Lebensmodell erschüttern sollen. Erinnert sich noch jemand an den “Fall Lisa” in Berlin, an das angeblich entführte und vergewaltigte Mädchen und an den entrüsteten russischen Außenminister Sergej Lawrow, der sich die Blöße gab in diese konstruierte Affäre hinein zu lügen?

Nein, das ist lange her, was im Januar 2016 geschah, ist angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Vergessenheit geraten.

Aktuell dreht sich die Aufregung um einen Giftanschlag auf einen ehemaligen russischen Doppelagenten und seine Tochter. Mitten in England, ausgeführt mit einem international geächteten Chemiegemisch, welches zu Zeiten des Kalten Kriegs nur in der Sowjetunion hergestellt wurde.

Ein endgültiger Beweis für die Täterschaft des Kremls wurde bisher nicht präsentiert. Aber es gibt nur Hinweise in eine Richtung: den Kreml. Und das Gerede dort, wie mit “Verrätern” umzugehen sei (inhuman) und die schlichte Frage, wer sonst im Besitzt dieses Giftes ist.

Bisher mauert der Kreml. Wir mussten uns indes schon vorher daran gewöhnen, dass sich das russische Volk eine Regierung leistet, für die Lügen Programm sind und der geheimdienstliches Vorgehen aus Zeiten des Kalten Krieges als billiges Mittel zum Zweck dient. Mit solchen Nachbarn ist nur schwer gut Kirschen essen.

Russlands Außenminister Lawrow kann lügen, ohne mit der Wimper zu zucken (Bild: AFP Photo/Yuri Kadobnov)
Russlands Außenminister Lawrow kann lügen, ohne mit der Wimper zu zucken (Bild: AFP Photo/Yuri Kadobnov)

Und dann haben wir selbst auch noch “Russland-Versteher” im eigenen Land, eine krude Allianz aus Linksaußen und Rechtsaußen: Die Rechten lieben an Putin seine Abneigung gegenüber der Demokratie, und die Linken mögen an ihm… ja, was eigentlich? Sozialistisch kann man seine Herrschaft nicht mehr nennen. Vielleicht ist es Nostalgie?

Jedenfalls tut es in der Seele weh, dass Putin auf die Frage eines amerikanischen Fernsehsenders, was er zu den Vorwürfen russischer Beeinflussungsaktionen bei den US-Präsidentschaftswahlen zu sagen habe, fabulierte: “Vielleicht sind sie nicht einmal Russen”, sagte er. “Vielleicht sind sie Ukrainer, Tataren, Juden, vielleicht haben sie nur die russische Staatsbürgerschaft. (…) Vielleicht haben sie eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine Greencard. Vielleicht haben die Amerikaner sie für diese Arbeit bezahlt.”

Er weiß es eigentlich besser

Was lernen wir daraus? Zum einen bestätigt Putin, dass es Einmischungen gab. Aber ein ehrlicher Russe, der würde sowas nicht machen. Putin spielt die bekannte Klaviatur des Diebes, der nach dem Dieb ruft und ihn natürlich in Minderheiten sucht, denn das ist ein billiger Trick. Denkt er, dass er mit solch einem Quatsch durchkommt? Ähnlich wie die AfD, die in doppelten Staatsbürgerschaften nur Elend zu erkennen vermag, könnten die Täter bei Putin auch aus dieser Gruppe kommen. Und last, but not least: Juden. Bei einer internationalen Verschwörung zum heimlichen Drehen an Urnengängen dürfen Juden nicht fehlen. Die Lügenprotokolle der “Weisen von Zion” haben es kaum anders formuliert; da aber im Links-/Rechtsaußen-Spektrum diese antisemitische Fake News immer noch kursiert, nimmt Putin sie halt in den Mund.

Das schmerzt, denn Putin ist viel vorzuwerfen, aber kein russischer Machthaber vor ihm hat Juden fairer behandelt als er. Antisemitismus war Programm unter den Zaren wie auch unter Stalin. Erst jetzt, in Putins Regierungszeit, etablierte sich eine echte Respekts- und Erinnerungskultur.

Wie reagiert man also auf den Anschlag in Großbritannien und die Verstrickung Russlands darin? Kommen Rabauken daher, ist das eigene Aufkrempeln von Ärmeln oftmals ein falsches Signal. Einfach durchgehen lassen wäre auch keine Lösung. So bleibt den demokratischen Staaten erstmal nur das Wort. Sich nicht beirren lassen, Argumente laut erheben, mit dem Abbruch von Beziehungen vor allem auf Wirtschaftsebene drohen und gegebenenfalls durchziehen. Und dennoch zur Fußball-WM nach Russland fahren, denn Sportler haben mit diesem Rabaukenmist wenig zu tun, ausrichten können sie noch weniger. Man sollte dieses unmoralische Vorgehen der russischen Staatsführung wann immer möglich ansprechen, sie damit nerven. Der neue Außenminister Heiko Maas könnte seinen Amtskollegen Lawrow fragen, wie er es schafft, beim Lügen nicht zu erröten.

Mehr als unsere Rechtsstaatlichkeit haben wir nicht. Im Endeffekt wird sie mehr sein als alles, was autokratische Staaten zu bieten haben: Sicherheit, Wohlstand, Vertrauen, Glück durch Freiheit. Was will man mehr?

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