Kommentar: Wie man sich beim Burkini blamiert

Die Freibadsaison beginnt: In Deutschland ist Burkini erlaubt, und zunehmend auch für Frauen Brustfreies – Freiheit eben. Doch in Frankreich schlägt das hohe Wellen. Die "Umvolkungs"-Fantasten sind wieder am Werk.

Jedem nach seiner Fasson: Zwei französische Aktivisten in Cannes (REUTERS/Eric Gaillard)
Jedem nach seiner Fasson: Zwei französische Aktivist*innen in Cannes. (Bild: REUTERS/Eric Gaillard)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon interessant, über was man sich herrlich aufregen kann. Konservative Sittenwächter*innen schlagen schon mal Alarm, wenn zu viel Haut gezeigt wird. Also, wenn diese Haut weibliches Geschlecht umhüllt. Denn die so genannte Unzüchtigkeit könne nach dieser Lesart nur von Frauen ausgehen; als könne ein Männernippel nicht erotisch sein. Und als wäre Erotik schlecht. Und als würde ein Stück Haut an sich eine garantierte Totalsexualisierung bedeuten.

Haben wir nicht andere Probleme?

Okay, diese Debatte ist unheimlich symbolisch. Man könnte auch fragen: Haben wir nicht andere Probleme? Aber immerhin sind heute Hitze und Gewitter angesagt.

Klar ist, dass die Verhüllungsgebote an Frauen in Bädern eine einzige Hierarchieangelegenheit sind. Die einen dürfen machen, wie sie wollen (Männer), die anderen nicht (Frauen). Die Privilegien bleiben somit gewahrt.

Während aber an Meer und See nippeltolerante Zonen gelten und dort auch Frauen entscheiden können, ob sie freibrüstig baden, gilt in Bädern die Hausordnung. In München ist vieles erlaubt, in den meisten anderen Regionen nicht. Göttingen hat nun festgelegt, dass am Wochenende die Wahlmöglichkeit besteht. Es ist schon ein wenig viel Gedöns um unsere Haut.

Die spinnen, die Gallier

Nahezu kirre wird es beim Blick auf unseren französischen Nachbarn. Da hat die Stadt Grenoble verfügt, dass ab 1. Juni brustfrei erlaubt sein wird. Und auch Badeanzüge, die über Arme und Beine gehen, sind erlaubt – die waren bisher verboten. Und nun regt sich ein Sturm der Entrüstung. Wegen zu viel Busen? Nein, wegen der Verhüllung weiblicher Gliedmaßen. Denn die werden oft von Musliminnen getragen. Einige wenige tragen ja auch Kopftuch, und wenn sie öffentlich baden wollen, liegt es nahe, dann auch nicht allzu viel vom Körper zu enthüllen. Jedem nach seiner Fasson, wie der Berliner zu sagen pflegt.

Doch in Frankreich gibt es Konservative, die hassen offenbar Praktisches und lesen in Belanglosigkeiten eine Bedeutung hinein, die auf Bäume steigt. Grenobles Bürgermeister jedenfalls erntet eine Menge Häme. Eine Unterwerfung unter den Islam sei sein Schritt, heißt es. Oder unter die Islamisten. Er sei ein Partner des politischen Islam. Und so weiter.

Warnung vor einem "schleichenden" Unterwerfen

Das ist Quatsch. Der Siegeszug einer Religion, einer Religionsausrichtung, einer Gruppe von Menschen oder was auch immer vollzieht sich nicht in der Frage, wer wie baden darf. Halt, rufen die Mahner*innen, es fängt immer im Kleinen an! Wehret den Anfängen!

Wessen soll hier erwehrt werden? Der Freiheit? Um nichts anderes geht es hier.

Eine Islamisierung ist weder in Frankreich noch in Deutschland erkennbar. Beweise hierfür sind sehnlichst erwünscht. Badeordnungen aber gehören nicht dazu. Dennoch ist die Warnung vor einem "schleichenden" Unterwerfen ein Hit. Man kann damit Anhängerschaft sammeln wie die AfD oder auch Bücher verkaufen, wie Michel Houellebecq oder Constantin Schreiber es machen. Wahrer wird diese beschwörungshafte Warnerei dadurch nicht.

Mal genau hinschauen

Weder in der Kultur noch in der Politik oder in der Wirtschaft deutet sich etwas an. Überhaupt DIE Muslime in der Gesellschaft als eine Gruppe wahrzunehmen, ist realitätsfernes Schubladendenken. Und auch die Demograf*innen winken ab: Zum einen kriegen muslimische Eltern gar nicht so viel mehr Kinder als nichtmuslimische, dass sich langfristig irgendeine Entwicklung anbahnen würde. Und zum anderen zeigen ihre Biografien eine Orientierung an den großen Verhaltensströmen einer Gesellschaft. Alles andere ist Fantasterei.

Und natürlich Teil eines großen Plans. Solche Pläne müssen immer groß sein, sonst erregen sie nicht genügend Aufmerksamkeit, bei den Plänen zur Ausarbeitung einer Badeordnung verhält es sich ähnlich. Jener große Plan jedenfalls erzählt vom Vorhaben einer Umvolkung, von einem absichtsvollen Ersetzen der eingeborenen Bevölkerung mit Neuankömmlingen. Das ist eine Saga wie Elben gegen Orks, unhübsch einfach. Aber sie ist überraschend erfolgreich. Warum, kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht erörtert werden, aber sie bietet auf jeden Fall Halt im Sinne einer Orientierung in Zeiten, die mehr Buntheit und Verflechtungen sehen. Oder in den Worten von Facebook: Es ist kompliziert. Das Ding mit den Elben & Orks versucht unser Leben zu entkomplizieren. Was natürlich unmöglich ist. Wenn man an der Realität interessiert ist. Aber das sind die so genannten Warner*innen nicht.

Mehr Nippelfreiheit also tut der Gesellschaft gut, im Verhüllen wie im Enthüllen. Und für die Gliedmaßen gilt es ähnlich. Darauf ab ins nächste Freibad.

Im Video: Aufregung um Burkini-Entscheidung von Grenoble