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Kommentar: Wie Richard David Precht „Fehleinschätzungen“ ins beste Licht rückt

Der „TV-Philosoph“ hat erstmals zugegeben, beim Ukrainekrieg Fehlerhaftes geredet zu haben. Richard David Precht tut dies aber derart elegant, dass am Ende seiner Sätze nur bleibt: War doch alles nur folgerichtig. Stimmt. Moral und Empathie fallen eben nicht vom Himmel. Besonders nicht für ihn.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Richard David Precht (Bild: Ying Tang/NurPhoto via Getty Images)
Auch ein Philosoph kann mal irren, nur das Zugeben fällt anscheinend schwer. (Bild: Ying Tang/NurPhoto via Getty Images)

Es gibt viele sinnlose Fragen, die man sich stellen kann. Weniger Bedeutung hat zum Beispiel, wie man als „Nationalpsychologe“ bezeichnet werden kann, ohne Psychologie studiert zu haben – aber diese Betitelung Richard David Prechts durch die „Neue Zürcher Zeitung“ wird eine Prise Ironie in sich tragen. Dafür kann er nichts. Auch nicht dafür, landauf, landab als „Philosoph“ beschrieben zu werden, wobei er doch in Germanistik promovierte, nicht in Philosophie. Aber wir neigen halt dazu, bei anderen gern dick aufzutragen, im Guten wie im Schlechten. Das ist unsere private, deutsche Inflation.

Eine weitere sinnlose Frage ist, warum Precht bei Nennung seines Vornamens unter „Richard David“ firmiert – sind beides seine Vornamen, wurde er schon immer in der Grundschule so genannt? Richard David, nun aber an die Tafel! Oder ist „David“ nur ein von den Eltern zwar gegebener, aber nie aktiv genutzter Zwischenname (wie meistens), den Precht selbst irgendwann hervorgekramt hat, um sich aufzuhübschen? Richard Precht, das klingt eigentlich auch ganz nett, ein bisschen wie Bert Brecht. Aber ansonsten gilt: Je länger, desto doller, das kennt man von Adeligen.

Eine dagegen sinnvollere Frage, die ich mir in diesem Jahr immer wieder stellte, war: Wie geht jemand wie Precht mit seinen Einlassungen zum Ukrainekrieg um, mit seinen Annahmen und Vorhersagen? Immerhin war klar, dass er von Beginn an falsch lag. Wie kommt er da raus, fragte ich mich. Kommt am Ende ein großes mea culpa, oder wenigstens ein leises sorry?

Es gilt das geschriebene Wort

Precht hat sich nun an die Beantwortung dieser Frage gemacht. In einer derart eleganten Art, dass er am Ende nicht nur kein Jota belämmert dasteht, sondern so großartig wie ehedem. Beim Ständehaustreff der „Rheinische Post“ in Düsseldorf sagte Precht, zu Beginn des Ukrainekrieges Fehleinschätzungen aufgesessen zu sein. „Die Ukraine in eine Position der Stärke zu bringen, ist viel besser geglückt, als nahezu alle Beobachter, auch ich, zu hoffen gewagt haben.“ Und weiter: „Damals haben die Militärexperten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle die gleiche Prognose gestellt und gesagt, dass die Ukraine diesen Krieg binnen Tagen, Wochen oder vielleicht ein, zwei Monaten verlieren wird.“

Eine Frau im ukrainischen Cherson, nach dem Rückzug der russischen Soldaten. Im Hintergrund: eine Essensausgabe (Bild: REUTERS/Murad Sezer)
Eine Frau im ukrainischen Cherson, nach dem Rückzug der russischen Soldaten. Im Hintergrund: eine Essensausgabe (Bild: REUTERS/Murad Sezer)

Was Precht nicht sagt: All diese Militärexperten haben nicht dazu geraten, dass sich die Ukrainer kampflos ergeben. Auf diese Idee kam aber Precht. Ich hab nachgeschaut, was ich in dieser Kolumne am ersten Kriegstag im Februar geschrieben hatte: „Die Ukraine wird diesen militärischen ‚Konflikt‘ verlieren. Ihre Regierungsmitglieder müssen um ihr Leben fürchten. Der Kreml sieht für das Land einen Vasallenstatus vor, ein sich Hinstrecken Moskaus hin. Die grassierende Korruption und die Oligarchen wird Putin kaum bekämpfen, wird er sie doch in der Ukraine umso nötiger brauchen; viele Alliierte wird er ja nicht finden.“

Also hatte auch ich am ersten Kriegstag eine „Fehleinschätzung“, wäre aber nie in die Anmaßung geraten, den Ukrainern ihren Widerstand ausreden zu wollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Precht schon vorher eine verniedlichende Sicht auf die Politik des Kremls hatte. Am zweiten Kriegstag schrieb ich in dieser Kolumne: „Aber nun muss an Sanktionen rausgehauen werden, was geht. Es muss möglichst schmerzen, auch uns. Das sind wir den leidenden Ukrainern schuldig, der Humanität. Putin macht solange weiter, wie er denkt, dass er kann. Er gehört international geächtet.“

Als sich dann schon Anfang März andeutete, dass der von der russischen Regierung geplante „Blitzkrieg“ nicht den donnernden Erfolg zeitigte, forderte ich damals die Einrichtung einer Flugverbotszone, über bis heute ergebnislos diskutiert wird, in den vergangenen Tagen verstärkt: „Die Nato wird von Putin als Schreckgespenst aufgeblasen. Und weil die Ukraine nicht Mitglied in diesem Verteidigungsklub ist, muss man ihren Bürgern beim Verrecken zusehen. Stellen wir uns also einmal vor, es gäbe nicht die Nato. Wie würde eine funktionierende und zivilisierte Weltgemeinschaft auf einen Überfall wie den Putins reagieren? Sie würde sich nicht mit historischem Ballast herumärgern müssen und eine eindeutige Antwort finden. So wie jetzt wirtschaftlich viele, viele Staaten an einem Strang ziehen, würden in solch einem Fall viele, viele Staaten eine Botschaft an Moskau senden. Sie würde lauten: Das lassen wir nicht durchgehen. Wir würden euch bestrafen, zur Not auch militärisch.“

Natürlich ist hier garnix

Von Precht gab es bis heute nur komische Forderungen nach Friedensverhandlungen über irgendetwas, Belehrungen über die Intelligenz der Kapitulation. Und nun das Eingeständnis seiner „Fehleinschätzung“.

Precht sagte diese Woche: „Wir wissen jetzt erst, wie unglaublich stark die ukrainische Armee von Anfang an gewesen ist, bevor die Waffenlieferungen kamen.“ Und weiter: „Insofern bin ich natürlich von einer Fehlannahme ausgegangen, dass es sich nicht lohnt, sich zu verteidigen, wenn der Krieg in ein, zwei Wochen verloren ist. Man kann sehen, wie man sich täuschen kann.“

„Natürlich“ war nichts an seiner Annahme. Denn der Widerstand der Ukrainer hatte Grundsätzliches, eine Moral, den Willen zur Freiheit, zur Selbstbestimmung. Oder mal etwas krass ausgedrückt: Für jeden, der das Herz auf dem Flecken für Herzlichkeit hat, wird die Ukrainer verstanden haben, ihnen alles Recht dazu eingestanden haben und für alles eingetreten sein, das ihnen hierzu hilft. Dafür braucht es Empathie. Prechts Belehrungen zeugten davon kaum.

Spätestens zwei Wochen nach Kriegsbeginn hätte Precht seine „Fehlannahme“ kassieren können. Tat er aber nicht. Später ging es erst los mit dem Schreiben eines „offenen Briefes“, mit dem Labern von einer „diplomatischen Großoffensive“ und von angeblich unklaren Kriegszielen.

Was Precht eingestand, soll ihn am Ende wieder fehlerfrei dastehen lassen. Das kommt der Quadratur eines Kreises gleich. Somit hat er die Frage nicht beantwortet, machte nur ein paar Seitwärtsschritte. Das mit der Empathie lernt man halt nicht an einem Tag.

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