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Kommentar: Wie sich CDU und SPD gleichermaßen berappeln

Andrea Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer müssen ihre Parteien jeweils durch eine Selbstfindungsphase führen (Bild: dpa)
Andrea Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer müssen ihre Parteien jeweils durch eine Selbstfindungsphase führen (Bild: dpa)

Christdemokraten und Sozialdemokraten stellen sich inhaltlich neu auf. Das bedeutet nicht das Ende der Großen Koalition. Vielmehr ist es ein Schritt weg vom eigenen Untergang.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn Reizworte allzu jucken, sollte man sich ihrer entledigen. Genau dies unternehmen gerade jene Parteien, die einmal als Volksparteien in Deutschland galten. Die SPD wirft ihre “Agenda 2010” über Bord, und die CDU übt die Zeit nach “Merkel” – beides ist für sie erfolgsversprechend.

Seit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in den Anfängen der Nullerjahre die Reform der Sozialgesetzgebung durchgesetzt hat, mit “Hartz IV” und anderem, was kein Gedöns war, leidet die SPD daran. Der linke Flügel machte nie seinen Frieden mit den härten Auflagen für die Schwächsten im Land. Jetzt, wo die Staatseinnahmen auf einem guten Niveau verharren, wäre die SPD eigentlich von allen guten Geistern verlassen, sollte sie an den Daumenschrauben festhalten.

Ein Jahr für die Geschichtsbücher

Und die CDU erlitt mit der Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, im Jahr 2015 allein auf die Aufnahme von Geflüchteten zu setzen, die eh längst ihre Länder verlassen hatten, ein Trauma. Eigentlich nur ein kleines, denn im Großen und Ganzen entwickelte sich diese Aufnahme zu einer Erfolgsstory, die in den Geschichtsbüchern als große Tat der Kanzlerin gefeiert werden wird. Doch zum einen hatte sich die CDU noch immer nicht vollends von der Politik der Blindheit gegenüber Zuwanderern verabschiedet, und zum anderen mobilisierte die AfD als neue Partei all jene, die eben keine neuen Leute bei “sich” in der Straße haben wollten.

Der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer hat bleibende Schäden hinterlassen (Bild: Reuters)
Der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer hat bleibende Schäden hinterlassen (Bild: Reuters)

Und dann gab es noch die CSU und ihren Chef Horst Seehofer. Der meinte, sein Profil über Krawall schärfen zu müssen und personalisierte die Auseinandersetzung mit Merkel derart, dass es ihr reichte, nach all den Jahren der Kanzlerschaft. Damit erledigte sich Seehofer selbst mit, und seine Partei steht gerade als einzige in der Berliner Koalition da, die ihren Erneuerungswillen bei der Person des neuen Mannes Markus Söder ablädt. Der gibt sich tapfer neu. Ob er diese Rolle meistert, ist noch ungewiss.

Friedrich wer?

Die CDU jedenfalls hat zu “Werkstattgesprächen” eingeladen, um die Geschehnisse seit 2015 aufzuarbeiten. Es geht darum, ein wenig Dampf abzulassen. Merkel kam nicht. Aber demontiert werden soll sie auch nicht, es geht der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer um den Blick in die Zukunft (in der sie Kanzlerin sein will). Wer erinnert sich übrigens noch an Friedrich Merz? Nun werden die Unkenrufe lauter, welche das nahende Ende der Großen Koalition verkünden. Dabei erscheint das Gegenteil realistischer.

Natürlich ist das neue Sozialpaket der SPD eine Provokation der Union: Länger Arbeitslosengeld, kein rascher Griff nach dem Vermögen, mehr Rente für geringer Verdienende, mehr Mindestlohn. In der Koalition lässt sich das allermeiste davon nicht realisieren. Damit stellt sich die SPD aber auf sichere Füße. Sie ist endlich wieder eine Partei, die soziale Gerechtigkeit zum Markenkern erklären darf. Das macht sie für die Wähler erkennbarer und gräbt übrigens auch der AfD ein wenig Wasser ab, denn so wird demonstriert, dass an die Schwachen im Land gedacht wird, ohne sie gegen andere, wie Geflüchtete, auszuspielen. Man könnte ja die AfD fragen, was sie für Arbeitslose zu tun gedenkt – die würde schnell Reißaus nehmen.

Die Große Koalition muss also nicht platzen. Die an ihr beteiligten Partner können sich nun offen ihrer unterschiedlichen Meinungen versichern – noch nie in der Geschichte war eine Regierungskoalition selige Eintracht. Die SPD profiliert sich. Und die CDU entlädt Reizinhalte, ohne mit ihnen zu brechen. All dies erscheint clever. Man wird sich an diesen Tag noch erinnern.